Was passiert, wenn sogenannte "Gutmenschen" mit Flüchtlingen arbeiten und die Dinge nicht so glatt laufen wie erhofft? Ursula Neumann vermittelt einen sehr persönlichen Eindruck von ihren diesbezüglichen Erfahrungen.
Seit eineinhalb Jahren geben wir zu dritt einen Sprachkurs für Flüchtlingsfrauen. Im Moment dümpelt er mit wenigen Teilnehmerinnen vor sich hin. Ziemlich viele Ehrenamtliche haben schon vor Monaten frustriert das Handtuch geworfen: Ärger, Enttäuschung über Unzuverlässigkeit, Unpünktlichkeit, auch das Gefühl, ausgenutzt zu werden …
Gutmensch trifft Flüchtling.
Ich erinnere mich an die Zeit der Flüchtlingswelle im Jugoslawienkrieg. Jemand aus unserer damaligen Gruppe meinte, die Arbeit mit den Asylsuchenden bringe einen manchmal in Gefahr, ausländerfeindlich zu werden.
Was hilft?
Zunächst mal eine Entidealisierung der Flüchtlinge:
Stellen Sie sich vor, Sie und Ihre Nachbarn müssten wegen Bürgerkrieg, Hunger, Terror fliehen. Da wäre die hilfsbereite Familie Meier, die allerdings entsetzlich fromm ist. Dann der rechthaberische Herr Müller, mit dem man aber schon auskommen kann, die intrigante Tratsche Krause, die zwanghaften Hubers, bei denen kein Gräschen am falschen Ort wachsen darf. Schließlich wären noch die Hansmanns aus der Villa, Ellenbogenmenschen, die sich für was Besseres halten, und die dubiosen Frankes, bei denen man nicht so genau weiß, wovon sie leben.
Glauben Sie, dass Sie und Ihre Nachbarn am Ende der Flucht geläutert und mit Heiligenschein versehen wären? Nein! Sie alle wären genauso hilfsbereit, rechthaberisch, intrigant, rücksichtslos, faul wie zuvor.
Opfer sein ist kein charakterliches Qualitätsmerkmal. Aber angesichts der Bilder des entsetzlichen Leids liegt die Psycho-Logik nahe: Opfer sind gut. Wer nur den leidenden, traumatisierten Menschen sieht, idealisiert. Damit ist Enttäuschung vorprogrammiert.
Noch mal angenommen, Sie müssten aus Deutschland fliehen: Meinen Sie, das gelänge Ihnen unter Beachtung der Straßenverkehrsordnung? Was glauben Sie, wie weit Sie kämen ohne sich vorzudrängeln, zu tricksen und zu bestechen, ohne zu lügen und zu klauen? Nicht bis an die Schweizer Grenze!
Der Flüchtling, der zuhause ein ehrliches Leben lebte, hat die Lektion lernen müssen: bloße Anständigkeit führt ins Verderben, Misstrauen ist überlebensnotwendig. Was ist daran erstaunlich, wenn er uns zu instrumentalisieren, ein bisschen zu behumsen sucht? "Frau Neumann, bitte schreib Amt, Mann kann nicht kommen. Soooolche Schmerzen." – "Anwalt sagen: Du zahlen 1000 Euro, ich helfen. Bitte, Frau Neumann. Biiiitttte!"
Sowas tut man nicht? In der Situation, in der die Flüchtlinge sind, täte ich es.
Was hilft?
Freundlicher Argwohn! Ein verständnisvolles, fast augenzwinkerndes "Ich kenne meine Pappenheimer".
Flüchtlingsarbeit ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Aber nicht in dem Sinn: Ich gebe meinen gesammelten Idealismus und dafür erwarte ich, dass meine bürgerlich-mitteleuropäischen Erwartungen hinsichtlich Dankbarkeit und Wohlverhalten erfüllt werden, sonst bin ich beleidigt. Sondern: Ich gebe ein begrenztes Engagement, begrenzte Zeit und erwarte, dass die andere Seite sich an Absprachen hält und ihren Teil beiträgt.
Ja, ich weiß um die unterschiedliche kulturelle Mentalität – allein was das klitzekleine Thema Pünktlichkeit betrifft. Von anderem ganz zu schweigen: Eine Frau, die in Afghanistan maximal zwei Jahre zur Schule ging, deren Funktion aufs Kinderkriegen reduziert war, wie sollte die umgehend kapieren, dass sie lesen lernen, Vokabeln pauken muss?
Ist mir egal! Nein, ist mir natürlich nicht egal. Aber wer hier in Deutschland ist, hat sich an deutsche Regeln zu halten. So, wie ich in Afghanistan ein Kopftuch trage.
Keine Erwartungen an Flüchtlinge zu haben, alles zu verstehen, alles zu akzeptieren, führt zu nichts außer zu Frust bei den Helfern. Auf Selbstüberforderung und Selbstüberschätzung folgt Zynismus. Wenn man dann auf dem harten Boden der Realität landet, wird das zu Unrecht den unwilligen, unfähigen Flüchtlingen angelastet.
Keine Gegenleistung zu fordern, schadet nicht minder den Flüchtlingen. Statt der Erfahrung "ich kann was", "ich kann selbst was ändern", macht es sie klein, hält sie im Baby-Status. Und wir ärgern uns dann über diese depressive Anspruchshaltung, den Aberglauben an ein Grundrecht auf bedingungsloses Gefüttertwerden. Ein Aberglaube, der gut vorbereitet wurde von grotesken Gerüchten über das deutsche Schlaraffenland.
Zurück zum Anfang: Sie und Ihre Nachbarn sind nach langer Flucht in einem wenig komfortablen aber sicheren Flüchtlingsheim angekommen. Zwar wissen Sie nicht, wie es weitergeht, haben keine Ahnung, ob Ihre Eltern noch leben, sind unsicher, ob Sie einen Aufenthaltsstatus bekommen. Aber immerhin: Die permanente Lebensgefahr besteht nicht mehr. Sie werden nicht mehr vergewaltigt, neben Ihnen sterben keine Menschen, es gibt keine Polizisten, Soldaten, die bestochen werden müssen. … Und dann erklärt Ihnen Frau Neumann die Uhr. Oder die Wochentage. Oder wo das Rathaus ist … Und Sie sind voll von entsetzlichen Bildern, die sich eingebrannt haben. Ihr Schädel ist am Zerplatzen.
Frau Neumann sagt: "Singen Sie ein Lied aus Ihrer Heimat!". Ihnen fällt keins ein. Sie wollen nicht, dass Ihnen eins einfällt. Frau Neumann besteht darauf und singt spürbar falsch ein Lied von irgendwelchen Entchen. Dann fällt Ihnen doch ein Lied von damals ein. Sie singen. Tränen laufen über Ihre Wangen. Es sieht so aus, als würde Frau Neumann auch weinen. Als Sie aufgehört haben, klatschen die Frauen aus Nigeria, aus dem Irak, aus Syrien, aus Somalia … Aber Sie sind noch lange nicht angekommen!
17 Kommentare
Kommentare
arnulf hopf am Permanenter Link
- sehr wichtig, was Ursula Neumann schreibt, und uns allen, die jetzt seit etwa zwei Jahren mit Flüchtlingen "arbeiten", ein Anlass, selbstkritisch unsere eigene Sozialisation wieder einmal auf Blinde Flecke
Dr. Bruno Osuch am Permanenter Link
Starker Text - danke!
Simone Lettenmayer am Permanenter Link
Genialer Artikel. Ja, es kam mir manchmal so vor, als würden die einen Flüchtlinge verachten und die anderen sie wie liebe kleine Hündchen behandeln, durch die man sich endlich gebraucht fühlen kann.
Mir kam es oft schon vor, dass sich doch diese Erwachsenen Leute bisschen veräppelt vorkommen. Da wuchs dann natürlich der Frust auf Helferseite, weil diese "Rolle" nicht angenommen wurde. Ich kannte eine drale, wunderschöne 15-Jährige Flüchtlingshelferin, die nicht kapiert hat, dass man in einem Männerwohnheim nicht alleine rumlaufen kann egal ob es Muslime oder Christen sind. Pure Naivität. Zum Glück ist ihr nichts passiert.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Schöner Beitrag.
Besonders die letzten beiden Absätze.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Zusammenfassung: Flüchtlingsarbeit verlangt nicht nur Idealismus, sondern auch Realitätssinn und Professionalität (inklusive Distanz). Andernfalls wirkt der Idealismus selbstzerstörerisch. Völlig zutreffend.
Schwierig wird die Flüchtlingsarbeit, wenn man sich den Satz "Ich gebe ein begrenztes Engagement, begrenzte Zeit und erwarte, dass die andere Seite sich an Absprachen hält und ihren Teil beiträgt" genauer überlegt: In Europa gehört zu "sich an Absprachen halten" eben auch die Pünktlichkeit dazu. In anderen Ländern ist das anders. Im Artikel wird das völlig richtig angedeutet. Auch der Zugang zur Wahrheit ist nicht überall derselbe: Was dem einen eine ausschmückende Geschichte ist, ist dem anderen eine glatte Lüge.
Vollends zermürbend ist der Umgang mit Asylwerbern, bei denen sich herausstellt, dass sie keineswegs aus Kriegsgebieten kommen oder verfolgt worden sind, die aber echten Asylanten Ressourcen wegnehmen, und die man nicht los wird. Hier kann ich es verstehen, wenn Menschen frustriert sind, wenn sie - zumal ehrenamtlich - viel Energie aufgewendet haben und dann feststellen müssen, dass sie - diesmal eindeutig, ohne kulturelles Schlupfloch - belogen und betrogen worden sind.
Es ist wichtig, sich von Anfang an klarzumachen: Wer Gutes tun will, muss damit rechnen, ausgenutzt zu werden. Eine andere Haltung führt zu Frustration. Die Bilder glücklicher, dankbarer Flüchtlingsfamilien sind für die Werbung, sie stellen nicht den Normalfall dar.
Kay Krause am Permanenter Link
Wie kann man es erreichen, dass die Besserwisser aus der AfD-Richtung diesen Artikel lesen?
coolvirgin am Permanenter Link
Beleidigung, Mobbing, gefährliche Körperverletzung, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Abzocke – das waren früher Szenen aus dem kriminellen Milieu.
Noch Fragen Herr Kay Krause?
Rainer Bolz am Permanenter Link
Dank eines gesunden Rechtsempfindens einer wachsenden Mehrheit:
Als Überzeugter Anhänger der sozialen Marktwirtschaft ( Ludwig Erhard) warte ich die nächste Wahl ab, — kann mir aber durchaus vorstellen dann auch die Afd zu wählen!
KDL am Permanenter Link
Auch wenn "Gutmensch" hier nicht das passende Wort ist, hier zeigt sich nämlich eher eine realistische Einschätzung. Diese ist bei "Gutmenschen" eher selten.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Könnte auch sein, dass Ihre Verwendung des Begriffs 'Gutmensch' falsch, weil diffamierend ist.
Yvonne am Permanenter Link
Ein Gutmensch ist kein guter Mensch sondern ein Narzisst, der lauthals schreit:"Schaut wie gut ich bin." Die finanziellen und gesellschaftlichen Probleme wälzt er achselzuckend auf die Bösmenschen ab, die be
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ach, so ist das...
Roland Fakler am Permanenter Link
Ein ehrlicher Bericht und ein tiefer Einblick in die menschliche Psyche. Allerdings hätte ich in einem HPD – Artikel auch einen Hinweis auf die weltanschaulichen Befindlichkeiten erwartet.
A.S. am Permanenter Link
Anknüpfend an den Kommentar von Frau Lettenmayer:
Wir sollten mal über unsere einges Verhalten nachdenken. Als im christlichen Kulturkreis sozialisiert leiden wir alle mehr oder minder am "Helfersyndrom". Speziell für gläubige Christen ist Helfen Gottesdienst. Und wenn dann aufgrund der gesellschaftlichen Fortschritte die wirklich Hilfsbedürftigen immer weniger werden, kommt man halt in Versuchung, Hilfsbedürftige zu importieren. Je mehr desto besser, je armseliger, desto besser. Bloss keine qualifizierten, die selber hier klar kommen! Und bei falschen Flüchtlingen und Halunken ganz fest die Augen zu.
Und dann aber wehe, wenn die Flüchtlingen sich nicht so helfen lassen wollen wie sich die Helfer das so denken!
Für viele der Flüchtlingshelfer und Flüchtlingshelferaktivisten, scheint mir, sind Flüchtlinge lediglich begehrte Objekte zur Auslebung ihres eigenen Helfersyndroms.
Außer der von Frau Neumann zu Recht geforderten Professionalität in der Flüchtlingshilfe sollten wir die Flüchtlinge als Menschen ernst nehmen und ihnen nicht unsere Vorstellungen von benötigter Hilfe aufzwingen.
Heinz de Moll am Permanenter Link
Danke für den differenzierten Beitrag.
Ulrike Strohsch... am Permanenter Link
Hallo, ich finde den Artikel erstmal gut und richtig/wichtig! Allerdings finde ich das Wort Gutmensch und was damit verknüpft wird ein Unwort.
Beate Schiegg am Permanenter Link
Ein wunderbarer Artikel, vielen Dank!