Assad ist gestürzt und in Deutschland hat die Debatte darüber begonnen, ob syrische Flüchtlinge nicht zurückkehren können. Doch das Ende von Assads Diktatur ist nicht der Beginn einer freien Gesellschaft.
Knapp 1,3 Millionen Menschen mit syrischen Wurzeln lebten Ende vergangenen Jahres in Deutschland. Die meisten von ihnen kamen nach 2015 nach Deutschland. Sie flohen vor dem 2011 begonnenen Bürgerkrieg in ihrem Land. Seitdem Syriens Diktator Baschar al-Assad im Dezember nach Russland floh, hat sich die Lage beruhigt.
Ahmed al-Scharaa, Chef der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die maßgeblich an Assads Sturz beteiligt war, ist mittlerweile Interimspräsident. Es soll eine neue Verfassung ausgearbeitet werden und freie Wahlen geben, doch mit beidem hat man es nicht eilig: 2028 sollen die Syrer an die Urnen gerufen werden.
Auch wenn die Bundesrepublik mittlerweile die Rückreise nach Syrien fördert, die Reisekosten übernimmt und eine Starthilfe von 1.700 Euro pro Person anbietet, hält sich das Interesse der in Deutschland lebenden Syrer in Grenzen: Auf Anfrage der Welt am Sonntag teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit, dass Stand 30. Januar 2025 lediglich 150 Anträge auf finanzielle Unterstützung zur Rückreise gestellt und 36 Förderungen bewilligt wurden. Einer der Syrer, die Deutschland nicht verlassen wollen, ist Aladin W.*
Für W. als Sympathisant der Demokratischen Kräfte Syriens, das angeführt von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten das im Nord- und Ostsyrien liegende kurdische Autonomiegebiet verteidigte, wurde die Lage immer gefährlicher. Zu den Angriffen von Assads Truppen kamen der Terror extremistischer bewaffneter Gruppen, die mit der Türkei verbunden sind. 2022 floh W. nach Deutschland. Hier engagiert er sich als nicht-religiöser Syrer in der Säkularen Flüchtlingshilfe. Zu seiner Familie, die im Land geblieben ist, hat er Kontakt: "Wie viele Syrer", sagt W., "habe ich mich über den Sturz des Diktators am 8. Dezember 2024 gefreut. Doch diese Freude verwandelte sich schnell in Sorge und Wut mit dem Aufstieg der sogenannten 'Syrischen Rettungsregierung', die von Hayat Tahrir al-Sham kontrolliert wird."
Diese Gruppe behauptet zwar, sagt W., unabhängig von globalen dschihadistischen Organisationen zu sein, wird jedoch weiterhin von den Vereinten Nationen und den Vereinigten Staaten als terroristische Organisation eingestuft. Noch besorgniserregender sei ihr Verhalten vor Ort: "Es gibt weiterhin außergerichtliche Hinrichtungen, die strikte Durchsetzung strenger islamischer Gesetze in allen Bereichen, einschließlich Bildung und Wirtschaft." Zudem fehle jegliche politische Vielfalt. Dies werfe ein düsteres Bild auf die Zukunft der Freiheit in Syrien. Die Besorgnis sei groß: "Wir brauchen echte Lösungen, die Freiheit und Gerechtigkeit für alle Syrer garantieren – fernab von Tyrannei, islamischem Extremismus und mit einer klaren Trennung von Religion und Staat."
Für W. gibt es genug Warnzeichen, die zeigen, dass Syrien nicht auf dem Weg in die Freiheit ist: Drei Brauereien in den Provinzen Homs und Sweida seien mittlerweile geschlossen worden, in der Hauptstadt Damaskus habe es Entscheidungen wie die vollständige Trennung von Männern und Frauen in öffentlichen Bussen gegeben und nicht-islamische religiöse Stätten seien zerstört worden.
"Angesichts dieser Entwicklungen ist die Situation für die Nicht-Religiösen noch schwieriger geworden. Die Meinungsfreiheit ist stark eingeschränkt und es wird gefährlich, in einer Weise zu leben, die den auferlegten religiösen Normen widerspricht." Der derzeitige syrische Justizminister sei beispielsweise ein Richter der al-Nusra-Front gewesen, einer der Vorläuferorganisationen der nun regierenden HTS, und habe zwei Frauen in Idlib verurteilt, die vor laufenden Kameras und ohne jegliche Rechtsgrundlage hingerichtet worden seien.
Auch gibt es noch keinen Frieden in Syrien. Nach dem jüngsten Bericht von Human Rights Watch bombardieren türkische Drohnen fast täglich Zivilisten. Das Sicherheitsvakuum, das nach der Flucht von Assad entstand, sagt W., führe zu erheblichen Aktivitäten von ISIS und machte deutlich, wie wichtig die internationale Unterstützung für ein staatliches Verfahren für die Gefangenen der größten Terrororganisation und den Schutz von Lagern für ihre Familien ist. "Der Krieg geht auch gegen die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) am Tishreen-Damm weiter, um die Stadt Kobani zu besetzen, die 2015 von Terroristen angegriffen wurde."
Die derzeitige Situation für nicht-religiöse Menschen in Syrien sei von Unsicherheit und Angst geprägt. Es gebe keinen Schutz ihrer Rechte und keine klare Vorstellung von der Sicherung der individuellen Freiheiten, da religiöse Extremisten immer noch große Teile des Landes kontrollierten: "Ich habe große Angst vor dieser Regierung."
*sein echter Name ist der Redaktion bekannt
6 Kommentare
Kommentare
Gerhard B. am Permanenter Link
Das ist Islam wie man ihn seit Jahrhunderten kennt, tiefste Indoktrination welche immer
Roland Fakler am Permanenter Link
In Syrien wird es im besten Fall eine Diktatur türkischer Prägung geben und im schlimmsten Fall eine afghanischer Prägung, freiheitliche Demokratie ist unter islamischer Führung nicht vorgesehen, sondern eine Illusion
Mutant77 am Permanenter Link
Die Situation im Norden Syriens ist tatsächlich prekär.
Daher ist diese pauschale Fokusierung auf eine relativ säkulare Gruppe (ähnlich wie die Alawiten, deren Verfolgung hat ebenfalls schon massiv begonnen) nur ein kleiner Teil der Flüchtlingsproblematik. Wir haben aber auch vermutlich hundertausende Anhänger konservativer Gruppen im aus Syrien Lande. Daher verstehe ich nicht warum sich immer auf die Fokusiert wird, die "unseren" Werten näher stehen, wir sollten die anderen genauer beobachten.
Daneben müssen wir aber mit dem NATO Partner Türkei und deren Moslembrüder freundlichen Regierung, über deren Aktionen im kurdischen Gebieten verhandeln. Noch schützen die USA diese, weil die an den Ölquellen die dort seit langer Zeit okkupiert wurden, beteiligt sind. Aber auch da gibt es Spannungen. Es sind z.T. eben keine kurdischen Siedlungsgebiete, wurden aber durch die Protektion der USA gegen Assad gehalten und den Kurden zugeschoben. Da man so den Staat wirtschaftlich in die Knie zwingen konnte.
Das darüber hinaus auch noch Israel neue Siedlungsgebiete in der Nähe von Damaskus erhofft, läßt die Situation auf Dauer schwierig werden. Aber klar ist, das wenig säkulare Regime in Tel-Aviv nutzt seine aktuelle Stärke und wird durch Trump unterstützt.
Aber trotzdem ist es natürlich gut auch diese Auschnitte der Situation zu zeigen. Zumal die Kurden direkt nach dem zusammenbruch auch die wichtige Stadt Manbij verloren haben, was wohl dem versuchten Angriff auf den Staudamm geschuldet war.
Tim Mangold am Permanenter Link
Eine freie Gesellschaft wird es vielleicht (noch) nicht, aber es ist erstmal die Möglichkeit für etwas Neues da, und Stand jetzt scheinen die neuen höchsten staatspolitischen Akteure mehr von Freiheit zu halten als di
Evil Ernie am Permanenter Link
"... und Stand jetzt scheinen die neuen höchsten staatspolitischen Akteure mehr von Freiheit zu halten als die vorherigen." Freiheit, für wen?
A.S. am Permanenter Link
Von Religiösen ist nicht Gutes zu erwarten, nur psychologische und physische Gewalt.