Gehirndoping – nicht ohne Risiken

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Plakat / Fotos: Theresa Siess

BERLIN. (hpd) Im Rahmen der interdisziplinären Tagung zum Thema „Leben 3.0 und die Zukunft der Evolution“ wurde auch über pharmakologisch unterstützte Leistungsoptimierung beim Menschen diskutiert. Nicht immer ist es so ungefährlich, wenn chemische Substanzen die Abläufe eines gesunden Gehirns unterbrechen.

Unter dem Motto „Schöner, schneller, schlauer – Human Enhancement“ hielt vergangenen Freitag unter anderem Professor Klaus Lieb, an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Mainz tätig, einen Vortrag über „Möglichkeiten und Grenzen des neuropharmakologischen Enhancement“ in der Akademie der Wissenschaften. Was bedeutet neuropharmakologisches Enhancement?

Neuropharmakologisches Enhancement definiert Klaus Lieb als „ eine Leistungsfähigkeitssteigerung bei gesunden Menschen durch psychoaktive Instanzen“. Psychoaktive Instanzen kann von Koffein bis zu Ginko vieles sein. Daher wird hier nochmal zwischen verschreibungspflichtigen Substanzen und nicht verschreibungspflichtigen Substanzen unterschieden. Nach Lieb, würde die Einnahme von einer verschreibungspflichtigen Tablette, um die Leistung des Gehirns zu steigern „Gehirndoping“ sein. Das wird dann auch nicht mehr Medikament oder Medizin genannt, sondern lediglich Substanzen oder „Neuroenhancer“.

Steigerung der Leistungsfähigkeit

Es gibt verschiedene Motivationen, dass jemand seine Leistungsfähigkeit als gesunder Mensch steigern will. Die wohl häufigste Methode ist, bei Müdigkeit eine Tasse Kaffee zu trinken. Es gibt jedoch durchaus einen Trend zu vermerken, dass immer mehr Leute bereit sind, zu Tabletten zu greifen, um ihre Konzentration zu verbessern, ihre Aufmerksamkeit zu erhöhen oder ihre Stimmung aufzuheitern. Gesellschaftliche Motive sind oft bei Jugendlichen, ihre schulischen Leistungen zu verbessern oder bei Erwachsenen, eine bessere Leistung im Beruf zu erbringen, um die Arbeitskraft voll aufzuschöpfen und das eben oft mehr, als auf natürliche Weise möglich ist. Auch im Militär ist inzwischen Hirndoping eine gängige Praxis. Doch darauf ging Professor Lieb aus zeitlichen Gründen in seinem Vortrag leider nicht näher ein.

Während Amphetamine in Deutschland als illegale Drogen gelten, werden diese in den USA eingeschränkt eingesetzt, zum Beispiel auch bei der bekannten Aufmerksamkeitsstörung ADS. Hier in Deutschland benutzt man dafür Ritalin, das Methylphenidat enthält.
Eine Anekdote nebenbei, wie es zum Namen Ritalin kam: Da damals die Forscher häufig die neuen Erfindungen an sich selbst ausprobierten, wurde Rita, die Frau des Forschers dazu verdammt, beim Tennisspiel zu testen ob das neue Medikament die Konzentration verbessere. Dementsprechend heißt das Medikament Ritalin.
Noch gibt es jedoch keine Substanzen, die nachgewiesen das Gedächtnis oder eine Lernleistung verbessern, meist beheben sie lediglich die Müdigkeit und dies auch nur, wenn man wirklich müde ist. Sowieso haben nur wenige Medikamente bei gesunden Menschen eine Wirkung. Antidepressiva, Ginkgo biloba zum Beispiel sind wie Placebos.

Seit dreißig Jahren kein neues Medikament

Bedenkt man, dass in den letzen dreißig Jahren kein neu erfundenes Medikament auf den Markt kam, kann man sich nur darüber wundern, warum die Pillenschlucker stetig zunehmen. Ein guter bzw. der einzige Verdienst von Pharmakonzernen, die ihre Medikamente loswerden wollen? In den USA dürfen diese noch öffentlich Werbung machen. „Wash your blues away with Prozaac“ heißt es dann auf Werbeplakaten. Hier noch nicht, Mensch sei Dank.

Zusätzlich verschieben sich die Grenzen zwischen krank und gesund immer mehr und es entsteht ein großer Graubereich. Schüchternheit wird zu einer Social Disorder und Unaufmerksamkeit zu ADS. Für beides hält der Pharmakonzern das entsprechende Mittel bereit – dass man dann wegen der Nebenwirkung Appetitlosigkeit bei Ritalin auch nicht konzentrierter ist, ist erst einmal Nebensache. Natürlich kann auch eine soziale Phobie sich zu einer Schwierigkeit entwickeln, doch es gibt durchaus effektivere Methoden als chemische Substanzen, damit umzugehen.

Bei einer Pilotstudie haben Lieb und sein Team herausgefunden, dass die Bereitschaft zu solchen „Neuroenhancers“ oft mit Alkoholkonsum, männlichen Geschlecht und schlechten Schulleistungen einhergeht. Welches dieser Phänomene ursächlich ist wurde noch nicht geklärt. Die meisten Befragten nennen „keine langfristigen Schäden“ und „keine Nebeneffekte“ als Voraussetzung der Einnahme solcher Mittel. Nebenwirkungen und Langzeitschäden bei neuropharmakologischen „Leistungsverbesserern“ sind bis heute jedoch noch nicht ausreichend untersucht und getestet worden. Wenigstens ist die Abhängigkeitsgefahr nicht so hoch, wenn man diese Substanzen in regelmäßigen Abständen dosiert zu sich nimmt, und zwar am besten eben nicht durch die Nase.

Natürliche Balance belassen

Insgesamt sieht Lieb die Zukunft von „Neuroenhancern“ sehr düster. Denn etwas bei einem schon gesunden Gehirn zu verbessern, in chemische Prozesse einzugreifen und die Produktion von z.B. Dopamin zu erhöhen, heißt auch immer gleichzeitig, dass etwas wo anders fehlt oder weggenommen wird. Eine Kuh, die möglichst viel Milch über das natürliche Maß hinaus produzieren soll, ist anfälliger für alle möglichen Krankheiten. Ein hoher Intelligenzgrad geht oft mit sozialer Inkompetenz einher. Zu wenig Schlaf auf Dauer führt zum Nervenzusammenbruch. Die natürliche Balance also zu belassen, mittelmäßige Fähigkeiten, ist für die Evolution des Menschen durchaus vorteilhafter. Manchmal geht es einfach nicht besser als gut.

Des Weiteren diskutierte Arnold Sauter die Begriffsverwendung Enhancement und Dirk Lanzerath die Möglichkeiten normative Grenzziehungen zu überdenken. Obwohl diese Vorträge durchaus anregend waren, trugen sie für mich nicht zur konkreten Erkenntnis bei. Denn am Schluss blieb eine Feststellung: Es gibt einen Trend, immer öfter und immer unbeschwerter nach Substanzen zu greifen, deren Nebenwirkungen und Langzeitschäden nicht bekannt sind und für das menschliche Wesen auf Dauer nicht gesund sein kann. Die Ursachen für diesen Trend mögen vielseitig sein, ob gesellschaftlicher Druck oder Optimierungsdenken, individuelle Faulheit oder Feigheit vor Konfrontation mit sich selbst, Anerkennungsdrang oder Konkurrenz. Hier könnten die Sozialwissenschaftler ihren Beitrag leisten, qualitativ mögliche Ursachen erforschen anstatt sich wieder in abstrakten, wenn auch wichtigen Überlegungen zu verlieren, die ihre Randposition als Wissenschaftler eher wieder verstärkt. Aus einer Zusammenarbeit mit einem Mediziner, einem Bioethiker und einem Politikberater hätte doch eigentlich ein gemeinsames Produkt entstehen können. So war es zwar interessant, sich die Perspektiven anzuhören, aber es bleibt eben dabei.

Theresa Siess