Öffentlichkeit und Demokratie

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BERLIN. (hpd) Was ist eine Utopie? Über die sichere Endlagerung von Atommüll in 500 Jahren zu sprechen, 75 Milliarden Euro Staatsausgaben zu haben oder der Aufruf, Demokratie zu einer Lebensform zu machen (Oskar Negt)? Am Wochenende trafen Journalisten, Verbände, Initiativen, Gewerkschaften zum Kongress „Öffentlichkeit und Demokratie“ zusammen.

Über 600 Leute nahmen am Kongress für Öffentlichkeit und Demokratie in der Friedrich- Ebert- Stiftung teil. Der Kongress wurde mit einem Vortrag von Oskar Negt eingeführt. Am Samstag fanden zahlreiche Workshops, Diskussionsrunden zu vier verschiedenen Themensträngen statt. Unter anderem war die Redakteurin des LabourNet Germany Mag Wompel, TAZ - Mitgründer Tom Schimmeck, der Verleger DuMont, Uli Röhm vom ZDF und viele weitere engagierte, nicht unbekannte Persönlichkeiten zu hören. Über ein emanzipatorisches Menschenbild und eine demokratische Öffentlichkeit wurde debattiert, über die Zukunft der Printmedien und öffentlich- rechtlichen Sendern, über die Möglichkeiten im Internet, über Klientelpolitik. Am Sonntag wurden Ideen und Projekte diskutiert und im Plenum vorgestellt. Wer da noch meint, unsere Demokratie sei leblos, hat sein Augenmerk wahrscheinlich nur noch auf den Bundestag gerichtet. Mit folgender Resolution wurde der Kongress verabschiedet:

I: Abschlusserklärung

Lasst uns eine demokratische Öffentlichkeit schaffen!
Diese Abschlusserklärung wurde von der „Initiative Öffentlichkeit und Demokratie“ verfasst und im Kreis von interessierten Kongressteilnehmern in einem Seminar überarbeitet. Die Erklärung wurde im Plenum vorgestellt und dort eingegangene Vorschläge wurden eingearbeitet.

Schafft eine demokratische Öffentlichkeit, lautet das Gebot der Stunde. Tief greifende gesellschaftliche Umbrüche, verstärkte soziale Polarisierungen und Ausgrenzung sowie der daraus erwachsende Veränderungsdruck in vielen Lebensbereichen können nur demokratisch, d. h. in gemeinsamer öffentlicher Anstrengung durch die „Weisheit der Vielen“ angemessen beantwortet und überwunden werden. Dies erfordert Menschen, die über hinreichend Autonomie, Urteilskraft und Handlungsfähigkeit verfügen – Eigenschaften, die nur in einem permanenten, in allen Lebensbereichen wirksamen demokratischen Prozess gelernt werden können. Dieses Ziel, Demokratie zur Lebensform (Oskar Negt) zu machen, mag utopisch erscheinen, aber es bietet einen verlässlichen Maßstab, um aktuelle Entwicklungen zu bewerten. Dazu braucht es Transparenz und Beteiligung im Rahmen einer demokratischen Öffentlichkeit. Sie ist gegen herrschaftliche Blockaden stets erneut zu erkämpfen.

Chancen demokratischer Gestaltung sind in allen Lebensbereichen in unterschiedlicher Weise beeinträchtigt. Der Vorrang des betriebswirtschaftlichen Kalküls, des antisozialen „unternehmerischen Selbst“ sind heute in allen Lebensbereichen spürbar: als Leitbild schulischer Bildungsprozesse, in den Kuratorien von Hochschulen, in öffentlichen Verwaltungen, auf kommunaler Ebene in Public Private Partnerships, in der Privatisierung öffentlicher Güter wie in den Sozialverbänden. Solche Leitbilder beschädigen das demokratische Gemeinwesen. Nach einem kurzen Krisenschock, mit seinen milliardenschweren Bankenrettungspaketen aus öffentlichen Haushalten, scheint es heute weiterzugehen als sei nichts gewesen. Jenseits einer wohlfeilen Krisenfixierung – mit ihrer folgenloser Empörung – bleibt deshalb festzuhalten, dass es nicht zuletzt um unterschlagene Wirklichkeiten im Alltag geht – von der betrieblichen Überwachungspraxis bis zu rechtsradikalen Dominanzräumen. Mag Wompel zitiert: „Eine Krise kann jeder Idiot haben, unser Alltag macht uns mehr zu schaffen“.
Wer heute von Wirtschaftsdemokratie spricht, wird als Phantast abgetan. Aber wie soll demokratisches Lernen und Leben möglich sein, wenn ein zentraler gesellschaftsprägender Bereich ausgespart wird? Immerhin nimmt die Zahl der Initiativen und Gruppen zu, die wie LabourNet Licht in den betrieblichen Alltag bringen, über Produktionsverhältnisse und Produkte aufklären und uns auch als Konsumenten die Chance geben, an der Kasse bewusste Entscheidungen zu treffen.