Buchausgabe der neuen "Mitte"-Studie

Rechtsextremistische Einstellungen

menschen_figuren.jpg

Die Buchausgabe der vom Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung erstellten neuen "Mitte"-Studie zu "rechtsextremen und demokratiegefährdenden Einstellungen" liegt vor. Sie enthält eine Fülle von neuen Erkenntnissen von großer gesellschaftlicher Relevanz, wirft aber auch im Detail einige kritische Fragen auf.

"Die Sollbruchstellen der Demokratie" (S. 24) ermitteln wollen die "Mitte"-Studien, die nach demokratiegefährdenden und rechtsextremistischen Einstellungen in Deutschland fragen. Seit 2002 erscheinen sie regelmäßig, aktuell mit Förderung der Friedrich-Ebert-Stiftung und durchgeführt vom Bielefelder Institut für Interdisziplinäre Konflikt-und Gewaltforschung. Von der aktuellen Ausgabe liegt jetzt auch die Buchversion vor, womit man manche Fehlwahrnehmung dazu aus der Medienberichterstattung korrigieren kann. Herausgegeben haben die Ausgabe 2022/23 Andreas Zick, Beate Küpper und Nico Mokros, haupt- bzw. nebenberufliche Mitarbeiter des Instituts. In den darin enthaltenen 13 Kapiteln werden jeweils die Ergebnisse überdetailliert in vielen Statistiken präsentiert, was mitunter den jeweiligen Leser verschrecken mag. Gleichwohl lohnt der Blick auf die Daten, lassen sich daraus doch wichtige Erkenntnisse ableiten. Und da dies auf gleicher methodischer Grundlage alle zwei Jahre geschieht, können die Entwicklungen über die Zeit genauer verfolgt werden. Auch die vorliegende Ausgabe kommt dabei zu beachtenswerten Ergebnissen:

Cover

Basis der Datenerhebung war eine repräsentative Erhebung, die vom 2. Januar bis 28. Februar 2023 telefonisch bei über 2.000 Personen erfolgte. Besondere Aufmerksamkeit dabei verdienen erneut die hohen Akzeptanzen von eindeutig rechtsextremistischen Einstellungen (in Klammern: teils/teils): "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert": 23,9 Prozent (19,2 Prozent), "Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert": 14 Prozent (12,2 Prozent), "Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns": 7,8 Prozent (12,6 Prozent) (vgl. S. 64f.). Es heißt dazu noch: In dieser Studie wiesen über alle "Dimensionen der rechtsextremen Einstellungen hinweg 8 Prozent in der Bevölkerung ein rechtsextremes Weltbild auf … Das sind erheblich mehr Befragte, die rechtsextrem eingestellt sind, als in den vier Erhebungen der letzten 9 Jahre, bei denen sich der Anteil auf 2 bis 3 Prozent bezifferte" (S. 71). Dazu bedarf eines Einwandes: Ein solches Einstellungspotential erhöht sich binnen so weniger Jahre normalerweise nicht so stark.

Hier wären einige kritische Reflexionen nötig. Wohlmöglich erklärt sich die angesprochene Entwicklung ganz anders: Die kontinuierlich bestehenden Einstellungen treffen auf ein gesellschaftliches Klima, das solche Bekenntnisse eher möglich macht, obwohl sie bereits zuvor latent existent waren. So würde sich auch eine andere Einsicht erklären: Danach ist bei Personen ein manifest rechtsextremes Weltbild zu 12,2 Prozent vorhanden, welche sich politisch selbst als "links" verorteten (während es bei "eher links" nur 3,3 Prozent ausmacht, vgl. S. 72). Hier besteht für die Deutung offenkundig ein Problem, das von den Autoren nicht gelöst oder auch thematisiert wird. Möglicherweise gibt es dafür keine überzeugende Erklärung, gleichwohl sollten solche Gesichtspunkte schon für die Leser angesprochen werden. Derartige nötige Detailkritik richtet sich aber nicht gegen die Grundaussagen der Studie. Sie enthält auch Datenmaterial zu noch ganz anderen Fragestellungen, woraus sich Einsichten über den Kontext von Einstellungen und Handlungen ergeben. Genau darin besteht auch der große Erkenntnisgewinn der sozialwissenschaftlichen Untersuchung.

Es geht etwa um Fragen wie Einstellungen zur Nachrangigkeit von Neuhinzukommender, den Kontext von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Krisenbewältigung, Krisenungewissheit und ihr Zusammenhang mit antidemokratischen Überzeugungen oder eine mögliche "Querfront" von "links" und "rechts". Auch Daten und Fragestellungen zu Themenkomplexen, die auf den ersten Blick scheinbar nicht zum Thema passen, gehören zum Inhalt der Studie: Dies gilt etwa für Einstellungen zur Klimaentwicklung oder zum Ukrainekrieg, aber auch für Einsamkeit und demokratiegefährdenden Haltungen oder entsicherte Marktförmigkeit als Treiber eines libertären Autoritarismus. Indessen machen die Darstellungen überzeugend deutlich, dass derartige Aspekte mit Demokratiegefährdungen einhergehen können. Irritierend ist nach wie vor auch an dieser Ausgabe der Studie, welche Auffassung von "Mitte" jeweils gemeint ist. Mal geht es um eine der Demokratie angemessene Idealvorstellung im politischen Raum, mal um eine eben auch für rechtsextremistische Einstellungen empfängliche soziale Sphäre.

Andreas Zick/Beachte Küpper/Nico Mokros (Hrsg.), Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23, Bonn 2023 (J. H.W. Dietz-Verlag), 424 S., 17,00 Euro

Unterstützen Sie uns bei Steady!