Wir stehen einerseits einer nie gekannten Flut von Information gegenüber. Andererseits unterliegen wirklich wichtige Informationen immer öfter einer Geheimhaltung. Während sich Unternehmen und Staat anstrengen, den „gläsernen Bürger“ und den umfassend überwachten Beschäftigten Wirklichkeit werden zu lassen, braucht eine starke Demokratie das Gegenteil: einen gläsernen Staat und eine transparente Wirtschaft. Davon sind wir weit entfernt. Das Informationsfreiheitsgesetz von 2005 ist dafür symptomatisch: ein noch zu wenig genutztes Instrumentarium, das durch seine zahlreichen Einschränkungen, nicht zuletzt durch exzessiv gefasste Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, unbrauchbar zu werden droht. Dagegen wenden sich z. B. Whistleblower, die auf Rechtsbrüche und Missstände aufmerksam machen. Um sie zu ermutigen, benötigen sie nicht nur gesellschaftliche Anerkennung, sondern auch einen besseren rechtlichen Schutz vor Repressalien und Nachteilen.
Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer mit welchen Budgets politische Entscheidungen beeinflusst. Dies erfordert ein verpflichtendes, sanktionsbewehrtes Lobbyisten-Register, in dem Interessenvertreter ihre Auftraggeber und Kunden, die Themen ihrer Arbeit, Finanzquellen und Budgets offen legen. Darin müssen sämtliche Interessenvertreter, beispielsweise Unternehmen, Verbände, Nichtregierungsorganisationen, PR-Agenturen, Denkfabriken, Anwaltskanzleien und selbstständige Lobbyisten, erfasst sein. Journalistinnen und Journalisten stehen in der Verantwortung, Hintergründe und Interessen(konflikte) sichtbar zu machen. Zu den Grundlagen, um diese Aufgabe erfüllen zu können, zählen ausreichende Ressourcen, die sie von Redaktionen, Verlagen und Sendern erhalten müssen. Gegen Spindoktoren und Hochglanz-produktionen, gegen Lüge und Verschleierung sind inzwischen viele Initiativen unterwegs, die auf Transparenz drängen und – oft im digitalen Netz – neue öffentliche Foren anbieten.
Die Klagen über die deutsche Presse- und Medienlandschaft werden häufig nur durch noch schlimmere Zustände in anderen Ländern gedämpft. Von fortschreitender Pressekonzentration, lokaler Monopolbildung und den zur Oberflächlichkeit verurteilenden journalistischen Arbeits-bedingungen ist zu reden, wenn es um die Bedingungen einer demokratisch verfassten Medienöffentlichkeit geht. Tom Schimmeck hat einige Aufgaben benannt:
• Die Gesellschaft muss die Medieninhaber viel stärker in die Pflicht nehmen (u.a. durch Redaktionsstatute, Presserecht, institutionalisierte Pressekritik). Sie haben eine enorme demokratische Verantwortung.
• Wir brauchen eine Renaissance des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens, die für Unabhängigkeit, Qualität, Meinungsvielfalt und Offenheit für alle gesellschaftlichen Gruppen Sorge trägt.
• Quer durch die Medienlandschaft und ihre neuen digitalen Ergänzungen ziehen sich verstärkte soziale Ungleichheiten und Ausgrenzungen. Eine demokratische Öffentlichkeit braucht aber gleiche Zugangs- und Beteiligungschancen.
• Wir brauchen ein anderes, freieres, zornigeres, couragierteres journalistisches Selbstverständnis. Zu viele werden gebrochen durch lebenslange Praktika, durch den Druck des Marktes. Zu viele schwimmen mit im Mainstream. Wir haben immer besser ausgebildete Journalisten. Aber die Interessen der Mittelschicht sind deutlich überrepräsentiert. Und mit ihr eine bestimmte Lebenswirklichkeit, eine bestimmte Wahrnehmung. Auch ein Grund, warum ein Thema wie Mindestlohn es so schwer hat.
• Wir brauchen Strukturen wie Stiftungen und Vereine, die unabhängigen Journalismus fördern.
• Wir müssen mehr große Internet-Experimente wagen. Magazine, Foren und Portale aufbauen, die echte Öffentlichkeit schaffen. Und Wege finden, damit sie Erfolg haben und sich tragen.
Neben einer beachtlichen Anzahl von neuen Projekten (von Lobbypedia bis zu Radio- und Fernsehalternativen im Internet) und Kooperationen zwischen den Kongressteilnehmerinnen und –teilnehmern wird der Kongress als wichtiger Impuls betrachtet, der als Anstoß für weitere Initiativen und Kongresse geben sollte.