hpd: Inwiefern ist die Frage, ob Konstantin ein christlicher Kaiser war, überhaupt wichtig?
Rolf Bergmeier: Sie ist weder aus historischer noch kirchlich-theologischer Sicht wichtig. Das Christentum setzt sich nicht mit Hilfe Konstantins durch, sondern dank der Erlasse des Kaisers Theodosius am Ende des vierten Jahrhunderts. Dieser hebt das Christentum mit rund sechzig Erlassen zur Staatskirche hoch. Konstantin spielt in diesem Prozess des christlich-kirchlichen Werdens lediglich als Vorsitzender des Konzils von Nicäa (325) eine Rolle. Und die kann man durchaus kritisch bewerten.
hpd: Sie entwerfen in Ihrem Buch nicht nur ein Bild der spätantiken römischen Welt und des frühen Christentums, sondern setzen sich sehr kritisch mit einem beachtlichen Teil der Altertumsforscher auseinander. Welche Fehleinschätzungen sehen Sie bei den Kollegen?
Rolf Bergmeier: Die derzeit tonangebenden deutschen Konstantinforscher können sich aus der christlichen Weltanschauung nicht lösen und stehen damit im Konflikt von Glauben und Wissenschaft. Das Buch zeigt an zahlreichen Beispielen, dass dabei allzu häufig die Wissenschaft verliert.
hpd: Ein Kritikpunkt an der althistorischen Zunft, den sie mehrfach anbringen, ist deren zu großes Vertrauen auf schriftliche Quellen. Die Auswertung zeitgenössischer Texte gehört aber zum grundlegenden Handwerk der Geschichtswissenschaft – wo genau liegt das Problem bei den Texten des frühen 4. Jahrhunderts?
Bergmeier: Nachdem das Christentum Ende des 4. Jahrhunderts Staatskirche geworden ist, werden die Literaturbestände hinsichtlich ihrer Verträglichkeit mit der neuen Ideologie selektiert, so dass uns überwiegend Werke der damaligen Kirchenhistoriker überliefert sind. Diese schreiben aber nach eigenem Bekunden keine Geschichte, sondern Heilsbotschaften. Um diesen einen höheren Wahrheitsanschein zu verleihen, streuen einige Kirchenhistoriker „Originaldokumente“ in die Texte ein. Diese werden von der modernen Forschung meist als „zweifelsfreie Texte“ bewertet, da – so die Begründung – die Zeitgenossen eine Mogelei entdeckt hätten. Dabei wird jedoch zu wenig beachtet, dass wir uns nicht auf die Texte des 4. und 5. Jahrhunderts abstützen, sondern auf Kopien aus dem 9. und späterer Jahrhunderte. Diese mittelalterlichen Kopien stammen alle aus klösterlichen Schreibstuben und wurden natürlich auf Linientreue geprüft. Oder anders: Die gesamte christlich-kirchliche Literatur von den Evangelien bis zu den spätantiken Kirchenhistorikern liegt unter dem begründeten, teilweise auch nachweisbaren, Verdacht der Fälschung. Wer diesen Texten folgt, hat die Schlacht um die historische Wahrheit schon verloren.
hpd: Und wem gebührt dann der Titel „Begründer des Abendlandes“?
Rolf Bergmeier: Den Philosophen, Wissenschaftlern, Denkern und Poeten der griechisch-römischen Epoche. Ihnen verdankt das Abendland vor allem seine grundlegende Kultur und seine Wissenschaft. Für das 21. Jahrhundert wäre schon viel gewonnen, wenn wir uns auf diese Orient und Okzident verbindenden griechisch-römischen „Begründer“ des Abendlandes besinnen würden. Diese gemeinsamen Ursprünge zu betonen, scheint mir der bessere Weg zu Frieden zwischen Morgenland und Abendland zu sein, als der Versuch, dem Islam ein „gestärktes“ Christentum entgegenzustellen.
Was die Begründung des christlichen Abendlandes angeht, ist der schon erwähnte Kaiser Theodosius zu nennen. Seinen Erlassen und der von ihm aufgebauten Drohkulisse gegen Andersdenkende ist die Herrschaft des staatskirchlichen Christentums zu verdanken. Ohne ihn hätte sich das Christentum in wer weiß viele Groß- und Kleinsekten entwickelt.
hpd: Wir danken für das Gespräch.
Die Fragen stellte Martin Bauer.
Rolf Bergmeier: Kaiser Konstantin und die wilden Jahre des Christentums. Die Legende vom ersten christlichen Kaiser. Alibri, 2010; 350 Seiten, kartoniert, Euro 24.-, ISBN 978-3-86569-064-7
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.