WIEN. (hpd/pw) Joseph Ratzinger will Eugenio Pacelli, der sich als Papst Pius XII nannte, selig sprechen lassen. Die Warnungen von KritikerInnen vor einer Blamage oder Konflikten schlägt er in den Wind. Selbst bei einer freundlichen Betrachtung von Pacellis Wirken müssten sich immer mehr Zweifel an der Kanonisierbarkeit des Oberhaupts der katholischen Kirche während des Zweiten Weltkriegs ergeben.
Ein Kommentar von Christoph Baumgarten
Ich habe beim besten Willen nicht herausgefunden, wofür Pacelli selig gesprochen werden soll. Dass er sich nur äußerst zurückhaltend beziehungsweise gar nicht zum Holocaust geäußert hat, dass er die NS-Verbrechen nie öffentlich angeprangert hat, gestehen sogar BefürworterInnen des Seligsprechungsverfahrens ein. Er hätte halt nicht mehr machen können. Sei unter Druck gestanden. Überhaupt, die Zeit damals.
Das Schweigen des Stellvertreters müsse man schon verstehen. Aus der Situation heraus. Der Einfachheit halber sagen wir an dieser Stelle: Mag sein. Vergessen wir, dass ein katholischer Bischof genügte, um die Ermordung behinderter Kinder im Deutschen Reich zumindest einzudämmen, vergessen wir, dass der Widerstand der dänischen Bevölkerung (mit ausdrücklicher Unterstützung der protestantischen Landeskirche) den Großteil der jüdischen Dänen vor Deportation und Vernichtung gerettet hat.
Für eine Seligsprechung eine denkbar magere Ausgangslage. Wie war das noch mit dem entsprechenden Lebenswandel, der ein Zeichen des Glaubens sein muss usw. usf. ? Zählt Schweigen neuerdings auch dazu? Das sollte bei einem katholischen Priester eigentlich nur im Beichtstuhl gelten. Nicht, wenn es, wie die UnterstützerInnen behaupten, darum geht, die Menschheit oder zumindest das christliche Abendland in einer Zeit der Barbarei zu verteidigen.
Da könnten sie meinen Großvater selig sprechen. Der hatte seinerzeit auch Sympathien für den Faschismus und hat auch keine Juden gerettet. Im Gegensatz zu Pacelli hat er das nachträglich nicht einmal behauptet.
Ähnlich wie Pacelli war er ein sehr patriachaler Typ. Hätte es nicht ein schleichendes Zerwürfnis zwischen ihm und mir gegeben, auf das ich aus persönlichen Gründen nicht eingehen möchte, vielleicht hätte ich ihn mit dem Vorwurf des Opportunismus und des Mitläufertums konfrontiert, bevor er starb. Bis knapp vor seinem Tod hatte er sich nicht vom NS-Regime distanziert. Wie viele Vertreter seiner Generation schwieg er über das, was passierte. Aber: Er musste sich spätestens in den 80ern innerlich dem Vorwurf gegen seine Generation und damit gegen ihn selbst stellen. Da wurde auch in Österreich klar, dass das Land nicht nur voller Hitler-Opfer war. Viele hatten mitgeschrien, viele nichts getan, viele begeistert mitgemacht beim fröhlichen Schlachten. (Zu letzter Gruppe ist mein Großvater bei allem, was ich ihm sonst vorwerfen kann, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu zählen. Sonst wäre er nicht schon 1947 aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft heimgekehrt.) Die gleichen Vorwürfe gegen Pacelli zu erheben, der ungleich mehr hätte ausrichten können als mein Großvater, ist bis heute öffentlich schwierig. Für beide gilt: Wollen hätten sie müssen.
Es finden sich immer Verteidiger des Stellvertreters. Die seine offenkundige Feigheit in die Tugend der Vernunft ummünzen, in das Bewahren der Kirche usw. Besonders, wenn auch nicht ausschließlich, in Österreich, wo sich die Kirche aus welchen Gründen auch immer als größtes Opfer der Hitlerei gesehen hat. Die 200.000 österreichischen Juden, die umgebracht oder vertrieben wurden, vergaß man gern beim Lamentieren über die (übrigens entschädigte) Enteignung mancher kirchlicher Pfründe. Der einmalige HJ-Angriff auf das Erzbischöfliche Palais des Anschlussbefürworters Kardinal Innitzer wird zum Angriff auf das Österreichertum umgedeutet. Ein Rosenkranzgebet des ausgewiesenen Faschisten wird in TV-Dokus bis heute als "größter Widerstandsakt" in Österreich interpretiert. Die kommunistischen und sozialdemokratischen Freiheitskämpfer werden kaum erwähnt, die Kärntner Partisanen, die aus Slowenen und zum Teil deutschsprachigen Wehrmachtsdeserteuren bestanden, gelten bis heute vielerorts als Verräter.
Dass die "atheistischen" Nazis die katholische Kirche besonders grausam verfolgt hätten, ist eine Legende, die sich bis heute in den Schulbüchern hält. Wie es überhaupt in Österreich allen Bemühungen der vergangenen drei Jahrzehnte zum Trotz bis heute mehrheitsfähige Meinung ist, dass das Land nur Opfer war und keinen Beitrag zur Diktatur leistete. Man konnte ja nicht anders. Man ist unter Druck gestanden. Die Zeit damals. Das muss man schon verstehen. Aus der Situation heraus. Kommt einem bekannt vor.
Zu Recht wird dieser Umgang als verlogen bezeichnet. Bei Eugenio Pacelli reicht es für ein Seligsprechungsverfahren.
Das einzig erstaunliche ist, dass die Mär vom aufrechten Antifaschisten Pacelli noch aufwändiger gesponnen wird als die vom widerständigen Österreich. Die Juden, für die er sich eingesetzt habe usw. usf. Dass das fast ausschließlich getaufte Juden waren, wird wohlweislich verschwiegen.
Und dass der Antinazismus so ausgeprägt nicht gewesen sein kann, wenn man sich die päpstliche Duldung der Rattenlinie ansieht, ebenfalls.
Selbst nach dem Krieg war Pacelli feiger als die beileibe in ihrer Gesamtheit nicht mutigen Österreicher. Hierzulande wurden sämtliche Naziorganisationen verboten - sowohl auf Druck der Alliierten als auch auf Druck der Widerstandskämpfer von KPÖ und SPÖ. Bei aller Erbärmlichkeit, wie dieses Verbot durchgezogen wurde, wie lächerlich und opportunistisch die Entnazifizierung durchgezogen wurde, wie schnell die Kriegsverbrecherprozesse eingestellt wurden - wenigstens dieses Symbol existiert. Im Vatikan hat man sich bis heute nicht zu einem ähnlichen Schritt durchringen können. Anders als Kommunisten sind Nazis bis heute nicht pauschal exkommuniziert. Lieber hat man ihnen geholfen, nach Südamerika und anderswo hin zu entkommen. Feigheit und Unterstützung der Faschisten sogar nach dem Krieg. Das spricht Bände.