USA. (wr/hpd) Dave Niose, Präsident der American Humanist Association, nahm nach dem Attentat auf Salman Taseer am vergangenen Dienstag Stellung zur Legende vom „militanten Atheismus”. Er fragte, ob es jetzt nicht endlich Zeit ist, diesem diffamierenden Mythos endlich ein Ende zu setzen.
Denn immer wieder sprechen Vertreter religiöser Organisationen über den militanten oder auch aggressiven Atheismus, wenn weltanschaulich motivierte Konflikte zum Thema werden.
Dave Niose / Foto: AHA Niose: „Auch wenn täglich Millionen Atheisten durch die Straßen gehen, ist es sehr schwierig darunter jemanden zu finden, der mit dem Begriff „militant” tatsächlich korrekt beschrieben wird.”
Der pakistanische Politiker und Geschäftsmann Salmon Taseer wurde am 4. Januar 2011 von neun Kugeln tödlich getroffen. Sein Leibwächter tötete Taseer, weil sich dieser zuvor für liberale Gesetze zur Religionskritik engagiert hatte.
Salman Taseer, so schreibt Dave Niose, hatte in verwegener Dreistigkeit öffentlich Pakistans Blasphemiegesetze hinterfragt und für diese Sünde bezahlte er mit seinem Leben.
Nun steht der mehrfache Familienvater auf einer Liste mit anderen Opfern, die unter militanten Religionen ihr Leben lassen mussten. So etwa der Arzt George Tiller, der wegen der Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen 2009 ermordet wurde und Theo Van Gogh, der als niederländischer Filmemache aufgrund seiner provokanten Darstellungen des Islam brutal getötet wurde.
„Vor diesem Hintergrund ist es besonders rätselhaft, dass die amerikanischen Medien und die Öffentlichkeit immer noch das Klischee des sogenannten militanten Atheismus aufrecht erhalten“, schreibt Dave Niose.
Er höre schließlich, wie die herabsetzende Wendung „militanter Atheist“ regelmäßig benutzt wird. Das impliziere eine Vorstellung, nach der natürlich auch militante Atheisten die Straßen des Landes durchstreiften.
So auch in deutschsprachigen Gegenden, wo sowohl in Medien wie auch durch Kirchenvertreter immer wieder die Wendung vom „militanten Atheismus“ eingesetzt wird. Wahlweise ist auch von „aggressivem Atheismus“ zu lesen oder zu hören, wodurch wohl unter unaufgeklärten Menschen Sorge und Furcht vor säkularen Gruppen und ihren Anliegen ausgelöst werden kann.
So erklärte unter anderem der Magdeburger Bischof Gerhard Feige vor Weihnachten, er nehme einen in seiner Art „aggressiven“ Atheismus wahr – freilich ohne zu belegen, wo Aggressionen gegen ihn und seine Kirchenmitglieder in einer anderen Weise als scharfer Widerspruch oder fundamentale Kritik ausgeübt wurden.
Tatsächlich wäre es trotz der Millionen auf den Straßen herumlaufenden Atheisten schwierig, auch nur einen zu finden, welcher sich aufgrund seiner Identität als Atheist als „militant“ beschreiben lässt, so Niose weiter. Und mit Blick auf die amerikanische Geschichte sei es sehr zweifelhaft, dass jemals ein Mensch im Namen des Atheismus getötet oder verletzt wurde. Dave Niose stellte fest: „Militanter Atheismus ist ein vollständiges Phantasieprodukt.“
Ein besonders krudes Phänomen ist, dass seitens Kirchenangehöriger seit Jahrzehnten unter Bezug auf Hitler-Faschismus oder Kommunismus auf unfassbare Weise gegen Atheisten und ihre Ideen Stimmung gemacht wird. Auch Benedikt XVI. brachte während der ersten Rede auf seinem letzten Staatsbesuch in Großbritannien Nazi-Tyrannei und Atheismus in einen Zusammenhang.
Wenn Medien und andere sich auf „militanten Atheismus“ bezögen, sei das Objekt dieser Verunglimpfung regelmäßig ein Atheist, welcher die Nerven hatte, religiöse Autoritäten zu hinterfragen und mündlich seine Ansichten über die Existenz eines Gottes auszudrücken. Die traditionelle Weisheit, erklärt Niose, sage uns schnell, wie beschämend und geschmacklos solches Gebaren sein solle. Daher wird der unverschämte Atheist als „militant“ etikettiert.
Religiöse Gruppen seien unterdes nicht solchen Standards unterworfen. Es dürfe öffentlich erklärt werden, dass jemand ein Sünder sei und für ewig in der Hölle schmoren werde, sofern man sich nicht dem Aberglauben unterwerfe. Die Meinungsinhaber solcher Ansichten werden durch Medien oder Öffentlichkeit fast nie als „militant“ bezeichnet, sondern als „Strenggläubige“ und ihre Kirchen als „evangelikal“.
Die Lektion ist einfach, so Niose weiter. Wer ein Atheist ist, sollte den Mund halten. Wer offen und mündlich zu seiner gottlosen Weltanschauung steht, ist ein „militanter Atheist“. Man müsse still sein, auch wenn leidenschaftliche Vertreter grundverschiedener Ansichten diesen Regeln nicht unterworfen sind.
Unter anderem dadurch sei es zu erklären, weshalb so wenige US-Amerikaner sich offen als Atheisten identifizieren. Der Präsident der American Humanist Association verwies auf letzte Erhebungen, wonach 81 Prozent der US-Amerikaner an irgendeine Art von „Gott“ glauben und nur 19 Prozent es nicht tun.
Die Beschäftigung mit weiteren Statistiken führe zur unabweislichen Feststellung, wonach Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten mit ihrer Skepsis gegenüber religiösen Vorstellungen hinter dem Berg halten.
Das führe schließlich vor allem dazu, dass religiöse Anrechte bestätigt und legitimiert würden – denn es erwecke den Eindruck, als gäbe es irgendwelche Mängel an säkularen Weltanschauungen.
Indem die Meinungen von Atheisten auf diese Weise schließlich unterdrückt werden, können religiöse Menschen die Themen der hohen Moral für sich vereinnahmen und die staatliche Politik über Gebühr beeinflussen.
Wird es daher nicht Zeit, so fragt AHA-Präsident Dave Niose, der Legende vom militanten Atheismus ein Ende zu setzen?
Arik Platzek
Erstveröffentlichung bei wissenrockt.de