Rechtsextremismus im ländlichen Raum

(hpd) Der von den Politikwissenschaftlern Hubertus Buchstein und Gudrun Heinrich herausgegebene Sammelband präsentiert eine Reihe von Fallstudien zur Interaktion von demokratischen Akteuren und rechtsextremistischen Kräften. Daraus lassen sich zwar keine Musterlösungen aber wertvolle Erkenntnisse zur Entwicklung von Gegenstrategien ableiten, was aber jeweils eine Analyse der Mobilisierungsstrategien von Akteuren aus diesem Lager voraussetzt.

 

Aus einer großstädtischen und westdeutschen Sicht ist die Entwicklung des Rechtsextremismus in ländlichen Regionen Ostdeutschlands mitunter nur schwer verständlich. Einen exemplarischen Einblick in dortige Aktivitäten und Potentiale dieses politischen Lagers gibt ein Band mit Fallstudien, der von den beiden Politikwissenschaftlern Hubertus Buchstein und Gudrun Heinrich unter dem Titel „Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Demokratie und Rechtsextremismus im ländlichen Raum“ herausgegeben wurde. Darin geht es nicht nur um die regionalen Aktivitäten von NPD, Neonazis oder Skinheads, denn die eigentlich Fragestellung der umfangreichen Studie lautet: „Wie kann die Demokratie im ländlichen Raum gestärkt aus der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus hervorgehen“? (S. 15). Demnach nähern sich die Autoren des Bandes dem Thema Rechtsextremismus auch und gerade bezogen auf den Umgang demokratischer Kräfte mit dessen Akteuren im ländlichen Raum in Mecklenburg-Vorpommern.

Am Beginn steht eine längere Einleitung zu Definitionen, Fragestellungen und Untersuchungsmethoden der Studie, die neben den beiden Herausgebern mit Dierk Borstel, Kai Langer, Arne Lehmann und Tatiana Volkmann noch vier weitere Historiker und Politikwissenschaftler als Autoren hat. Den inhaltlichen Kern und umfangreichsten Teil machen dann die drei Regionalanalysen zu den Regionen Anklam, Lübtheen und Ueckermünde aus. Darin wird jeweils ausführlich auf die politischen und sozialen Strukturen im dortigen ländlichen Raum, die rechtsextremistischen Aktivitäten und Organisationen vor Ort und die strategischen Muster der demokratischen Akteure und der rechtsextremistischen Szene eingegangen. Dem folgt noch eine Sekundäranalyse „Guter Praxis“ des Agierens gegen Rechtsextremismus in anderen Regionen wie Ehringshausen, Malters, Reinhardtsdorf-Schöna, Wittstock und Wunsiedel, womit aus der Analyse erfolgreicher Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus Erkenntnisse für angemessene Gegenstrategien gewonnen werden sollen.

Bei ihrer Analyse machen die Autoren vier strategische Asymmetrien im Verhältnis zwischen rechtsextremistischen und demokratischen Akteuren aus: Erstens konstatieren sie eine Abwanderungstendenz: „Unter den zu Hause Gebliebenen sinkt die Zahl derer, die für die demokratische Seite motivierbar sind.“ Zweitens versuchten sich Rechtsextremisten dort, als Akteure mit zukunftsgerichteten Visionen zu präsentieren. Die demokratische Seite reagiere „darauf vielfach defensiv, indem sie nachweisen, dass die propagierten Zukunftsvorstellungen der vielschichtigen sozialen Problematik ... in keiner Weise gerecht werden können.“ Drittens komme die demokratische Seite häufig nicht aus der „Aktion-Reaktion-Spirale“ heraus. Selten zwinge sie in der „politischen Auseinandersetzung die rechtsextreme Seite in die Verteidigungsposition“. Und viertens dürfe eine Gegenstrategie nicht die sozialen Fragen ausklammern und sich nur auf den theoretischen Entwurf einer Demokratie stützen, gehe man doch so „an den Interessen derjenigen vorbei, die erreicht werden sollen ...“ (S. 354f.).

Bilanzierend betrachtet handelt es sich sowohl bezogen auf die thematisierte gesellschaftliche Problematik wie auf die genutzte wissenschaftliche Methode um eine gelungene Analyse, die so auch einen guten Einblick in die regionalen Aktivitäten von Rechtsextremisten in der ostdeutschen Provinz erlaubt. Dabei sind sich die Autoren immer der Komplexität des untersuchten Phänomens bewusst und problematisieren dies auch hinsichtlich einer vergleichenden Betrachtung: Die jeweiligen regionalspezifischen Besonderheiten und Spezifika seien so „dominierend, dass ein Vergleich sehr differenziert vorgenommen werden muss und auf die Besonderheiten dörflicher Strukturen explizit geachtet werden muss“ (S. 341). Dies schließt auch die Benennung allgemeiner „Musterlösungen“ aus, was mitunter manchen Leser des über 500 Seiten starken Bandes enttäuschen mag. Gleichwohl ist die gesellschaftliche Wirklichkeit meist komplexer als es manche eindimensionale Sichtweise suggeriert. Die präsentierten Erkenntnisse liefern aber genügend politisches Lernpotential.

Armin Pfahl-Traughber

 

Hubertus Buchstein/Gudrun Heinrich (Hrsg.), Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Demokratie und Rechtsextremismus im ländlichen Raum, Schwalbach/Ts. 2010 (Wochenschau-Verlag), 537 S.