Mission in Wunstorf: Kirche kapert Schule

Schulgeld und kommunale Zuschüsse

Pikantes Detail: Bürgermeister Eberhardt bedankte sich laut „Wunstorfer Stadtanzeiger“ nach endgültiger Vertragsunterzeichnung bei Kerstin Gäfgen-Track, Leiterin der kirchlichen Bildungsabteilung, für deren „jederzeit offene, faire und engagierte Verhandlungspartnerschaft“ mit dem Janosch-Bild "Mein Gott, wie ist das Leben schön". Janosch ist Beiratsmitglied der Giordano Bruno Stiftung und ein vehementer Religionskritiker.

Doch das integrative Konzept leidet nicht nur unter dem missionarischen Charakter. Auch die Erhebung von Schulgeld wird von den Verteidigern der staatlichen IGS abgelehnt, trotz der Versprechen zu einer Befreiung von finanzschwachen Eltern seitens der Kirche. Ralfina Dicker kritisiert ebenfalls deutlich, dass die Schulgeldordnung vom Ministerium zurückgehalten wird.

Verteidiger des Schulgeldes weisen jedoch darauf hin, dass bereits heute die Eltern von Kindern an anderen Schulen ebenfalls erhebliche Beträge zusätzlich bereitstellen müssen: Kopien, Exkursionen und zusätzliche Lehrmaterialien sowie kostenpflichtige Nachhilfestunde.

Bei den bisher rund 45 Euro veranschlagtem Schulgeld soll es aber nicht bleiben. Dicker: „Rund 250 Euro pro Jahr wird die Kommune für Sachkosten zuschießen müssen.“ So steht es im Vertrag. Die Kirche bekommt die Schule zum Nulltarif und Stadt trägt am Ende fast alle Kosten für die Schule, meint sie. „Das Land bezahlt die Lehrkräfte, die Stadt bezahlt den Unterhalt und die Kirche kassiert zusätzlich das Schulgeld.“ Den besonderen Nutzen am geplanten Konzept für eine Integrierte Gesamtschule in Trägerschaft der Kirche können sie und ihre Mitstreiter einfach nicht erkennen.

Kritisches Bewusstsein wächst

Die Initiative „Pro staatliche IGS“ zählt nun bereits über zwei Dutzend Mitglieder. Und der Streit hat schon jetzt nicht wenige Menschen wachgerüttelt.

Grünen“-Stadtratsmitglied Albert Schott steht zwar grundsätzlich weiter zu seiner Entscheidung, äußerte aber Verständnis für die Argumente der von Dicker und anderen. „Die gedankliche Stoßrichtung der Kritiker teile ich eigentlich“, meint er. Als Kommunalpolitiker müsse er sich aber den Gegebenheiten orientieren und könne nicht auf einen Wechsel in der Regierung und Landespolitik hoffen.

Das kritische Bewusstsein wächst auch unter den Mitarbeitern der Schule. Sigrun Stoellger, Mitglied einer lokalen Gruppe von Fördermitgliedern der Giordano Bruno Stiftung, berichtet über positive Rückmeldungen von vorhandenen Lehrkräften. Die Debatte hat einige aufgerüttelt, stellt sie fest und freut sich trotz allen Ärgers über das wachsende Interesse an den Anliegen der Stiftung.

Ralfina Dicker: „Unsere Initiative besteht vor allem aus betroffenen Eltern, Gewerkschaftsmitgliedern und Lehrern.“ Leider würden vor allem ältere Lehrkräfte angesichts ihrer kommenden Pensionierung keinen Elan zur weiteren Auseinandersetzung finden. Und gelingt der Kirche tatsächlich die Übernahme der IGS Wunstorf, hängen weitere Neueinstellungen von der Kirchenmitgliedschaft ab.

Schon kirchliche Stellenangebote

Die Kirche ist sich ihres Erfolgs anscheinend schon sicher und hat entsprechende Stellenangebote im Internet ausgeschrieben. Geht alles glatt, ist die Übernahme mit Beginn des Schuljahres 2011/2012 perfekt. Die Anträge auf Genehmigung des Schulübernahmevertrags sind bereits beim Ministerium eingereicht.

Vielleicht hat man sich aber auch zu früh gefreut. Denn die Verteidiger der staatlichen IGS planen, den Vertrag anzufechten. Johannes Haupt von Humanistischen Union erklärt: „Ich sehe keine rechtliche Grundlage für eine Schulübernahme durch die Kirche.“ Laut Gesetz sind der Kirche nur Neugründungen erlaubt. Die Übernahme bestehender Schulen ist hingegen nicht vorgesehen. „Schulrechtlich existiert für diesen Vorgehen kein mir bekannter Tatbestand“, erklärt Haupt.

Aber um auf dem Schulgelände der IGS religiösen Bekehrungsversuchen ausgesetzt zu werden, müssen die Schülerinnen und Schüler nicht einmal bis zum Beginn des kommenden Schuljahres warten. Wie die Schulleitung bekannt machte, „kommen Mitglieder des Gideon-Bundes in die IGS Wunstorf und werden den Schülerinnen und Schülern, die das wünschen, eine persönliche Bibel überreichen. Jedes Kind kann frei entscheiden, ob es eine eigene Bibel entgegennehmen möchte.“ Dieses Verfahren habe „schon lange Tradition an diesem Schulstandort“, betont man.

Arik Platzek