Die noch unvollendete Demokratie

Trotz der gut besuchten Veranstaltungen und eindrucksvollen Straßendemonstrationen der folgenden Jahre schlugen Mitglieder des Parteivorstandes der SPD oder die Spitzengremien der Gewerkschaften immer wieder vor, die Aktivitäten einzuschränken oder abzusagen. „Kriegsfrauentage“ mussten während des Ersten Weltkrieges in kleinem Rahmen und illegal stattfinden, sie wurden von der „Obrigkeit“ untersagt. Durch die von der SPD und von der ihnen nahestehenden Generalkommission der Gewerkschaften mitgetragene „Burgfriedenspolitik“ waren kritische Veranstaltungen auch von den Organisationen der Arbeiterbewegung selbst nicht mehr erwünscht. Schließlich hatte die Vorstandskonferenz der Gewerkschaftsverbände für die Dauer des Krieges versprochen, alle Lohnkämpfe abzubrechen und jede Streikunterstützung zu versagen.

Und auch sozialdemokratische Frauen folgten der Aufforderung während des Ersten Weltkrieges beim „Nationalen Frauendienst“ der bürgerlichen Frauen mitzuarbeiten, dafür ernteten sie harsche Kritik von denjenigen, die die Meinung vertraten, dass es die erste und wichtigste Pflicht einer Sozialistin sei, die Massen für den Kampf gegen den Krieg zu gewinnen.

Endlich das Frauenwahlrecht

Nach langen Kämpfen, die erst erfolgreich waren, als sich das vorher zerstrittene bürgerliche Lager zusammen geschlossen hatte und mit der sozialdemokratischen Frauenbewegung zusammenarbeitete, wurde den Frauen mit dem Ende des Kaiserreichs am 12.11.1918 durch die Erklärung des Rates der Volksbeauftragten das Wahlrecht zugesprochen. Viele Sozialistinnen und Gewerkschafterinnen wussten, dass sich der Internationale Frauentag damit nicht erledigt hatte, auch damit unterschieden sie sich von vielen „Bürgerlichen“ und von der Parteiführung der SPD und von Marie Juchacz, Leiterin des Frauenbüros.
Nachdem sich das Spektrum der Parteien um die KPD erweitert hatte, beschloss die zweite Internationale Konferenz der Kommunistinnen im Juni 1921, dass künftig der Internationale Frauentag einheitlich in der ganzen Welt am 8. März stattfinden sollte. Nun marschierten die SPD-Frauen getrennt von den Kommunistinnen. Und sie brauchten bis 1926 bis sie bereit war, gemeinsam mit den Gewerkschafterinnen wieder einen Internationalen Frauentag einzuberufen, der für den allgemeinen Weltfrieden und die Internationale Solidarität eintreten sollte.

Nach der Machtübernahme der Nazis trat an die Stelle des Internationalen Frauentages der Muttertag, der in Deutschland seit 1923 von den konservativen Fauenverbänden aus USA übernommen worden war und von Kommunistinnen, Sozialdemokratinnen und Gewerkschafterinnen abgelehnt wurde. Sie verwiesen auf die Verlogenheit des Mutterkultes angesichts der Realität der proletarischen Mütter.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der sowjetischen Besatzungszone ab 1946 der Frauentag wieder offiziell und nach der Gründung des Demokratischen Frauenbundes Deutschland (DFD) im März 1947 alljährlich als Kampftag der Frauen begangen. In der neugegründeten DDR wurde er in den Betrieben zum festen Ritual. Er entwickelte sich vor dem Hintergrund der These, dass die Gleichberechtigung mit der sozialistischen Gesellschaftsordnung erreicht und die Rechte der Frauen weitgehend verwirklicht seien. Es gab Orden und Ehrenzeichen, rote Nelken, Kaffeetafeln und Reden über die „Errungenschaften des Sozialismus“.

Bei Gewerkschafterlinnen und Sozialdemokratinnen in der BRD ging Mitte der 1950er und in den 1960er Jahren das zentrale Anliegen des Internationalen Frauentages als politischer Tag leider verloren. An vielen Orten fanden überhaupt keine Veranstaltungen mehr statt.

Neu entdeckt

Erst mit der Herausbildung der „neuen Frauenbewegungen“ zu Beginn der 1970er Jahre wurde der Frauentag als weltweit politisch wichtiger Feiertag wieder „entdeckt“. Nachdem die UNO 1977 beschloss, den 8. März anzuerkennen und sich 1978 auch die Sozialistische Fraueninternationale in Vancouver, Kanada anschloss, forderten auch ASF und DGB- Frauen künftig wieder jedes Jahr am 8. März einen Internationalen Frauentag zu begehen. Der DGB-wollte dennoch 1980 einen Beschluss durchsetzen, der den der den DGB-Frauen untersagte, eigene Veranstaltungen durchzuführen oder sich an anderen Veranstaltungen zu beteiligen. Als Grund wurde die Wahrung des Prinzips der Einheitsgewerkschaft genannt. Der Beschluss stieß auf harten Widerstand bei der DGB-Bundesfrauenkonferenz. Sie erreichte, dass der Internationale Frauentag Bestandteil der Arbeit des DGB und zur Plattform für frauenpolitische Themen wurde. DER Kampf hat sich gelohnt. Bald gab es Bündnisse zwischen Sozialdemokratinnen, Gewerkschafterinnen und autonomen Frauen.

Ein herausragendes Ereignis nach der Wiedervereinigung war der Internationale Frauentag 1994. Er wurde zum FrauenStreikTag, bei dem sich mehr als eine Million Frauen bundesweit gegen fortbestehende und sich verschärfende Diskriminierungen, Arbeitsplatzabbau, den Abbau von Sozialleistungen und Selbstbestimmungsmöglichkeiten engagierten. Die Gewerkschaftsfrauen schlossen sich mit ihren Forderungen denen der autonomen Feministinnen an. Es kam zu vielen phantasievollen Aktionen im ganzen Land. Ein breites, bundesweites Frauenbündnis war wiederbelebt worden und sollte auch für die Zukunft beibehalten werden.

Und weiter?

Dass der Internationale Frauentag heute von so vielen gesellschaftlichen Gruppen getragen wird, macht seine Stärke aus. Der 100jährige Geburtstag des Internationalen Frauentages sollte für uns Aufforderung sein, weiterhin zu streiten. Auch künftig gilt es weltweit für Frieden und Frauenechte zu kämpfen, denn die Antwort auf die „ganze Frauenfrage“, mit der die Forderung zum ersten Internationalen Frauentag verbunden werden sollte, steht auch heute noch aus. Wenn wir auch vieles erreicht haben. Heute bedarf es keiner Rechtfertigung mehr, dass auch die Einheitsgewerkschaften den Internationalen Frauentag feiern können.

Dass große Veränderungen ebenso wie kleine Reformen nur durch kollektive Kämpfe und mit Hilfe der Solidarität einer breiten Öffentlichkeit durchgesetzt werden können, haben Gewerkschafterinnen zu allen Zeiten erfahren. Dass die Schikanierten nur dann Erfolge haben können, wenn sie sich der Solidarität einer breiten Öffentlichkeit aus organisierten und nicht organisierten KollegInnen und UnterstützerInnen versichern können, haben im Laufe der letzen Jahre (nicht nur) Verkäuferinnen und Kassiererinnen in Handelsketten erlebt.

Darauf hinzuweisen, dass eine Demokratie unvollendet ist, solange die soziale Ungleichheit fortbesteht und solange die Ebenbürtigkeit zwischen den Geschlechtern nicht auch de facto in allen Bereichen des menschlichen Lebens und Arbeitens erreicht ist, war und ist die Aufgabe der ver.di Frauenpolitik.

Vielen Dank für Eure/Ihre Aufmerksamkeit!

 

Im Anhang ein Bestellschein für eine ausführliche Broschüre von Gisela Notz zum Frauentag.