Die noch unvollendete Demokratie

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Plakat zum 100. Internationalen Frauentag / Abb. ver.di

BERLIN. (hpd) Ein rundes Jubiläum erfährt besondere Würdigung. So widmet die Gewerkschaft ver.di eine dem heutigen Jahrestag eine eigene Ausstellung. Hpd dokumentiert die Rede zur Eröffnungsveranstaltung „100 Jahre Internationaler Frauentag“ am 1.3.2011 ver.di-Bundesverwaltung, Galerie im Atrium. 

Von Gisela Notz

 

 

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

Am 19. März 2011 wird der Internationale Frauentag 100 Jahre alt. Grund genug, danach zu fragen, wie und warum dieser Tag entstand und wie er über diese Zeit zu dem geworden ist, was er heute für uns ist.

"Genossinnen! Arbeitende Frauen und Mädchen! Der 19. März ist euer Tag. Er gilt eurem Recht. Hinter eurer Forderung steht die Sozialdemokratie, stehen die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter. Die sozialistischen Frauen aller Länder fühlen sich mit euch solidarisch. Der 19. März muss euer Ehrentag sein," so ist der Aufruf der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Freien Gewerkschaften in der Zeitschrift „Die Gleichheit“ vom 13. März 1911 überschrieben. Das Datum wurde gewählt, um an die Frauen zu erinnern, die während der Revolution von 1848 in Berlin beteiligt waren. Der Internationale Frauentag wurde zum internationalen Tag des Kampfes der Frauen für politische und ökonomische Rechte, gegen Krieg, Ausbeutung und Entrechung. Erst 1921 sollte es der 8. März werden.

Wir brauchen einen Internationalen Frauentag!

Mehr als 100 Delegierte aus 17 Nationen, davon 12 aus Deutschland, nahmen am 27. August 1910 in Kopenhagen, anlässlich der II. Internationalen Konferenz Sozialistischer Frauen (SIW) den Antrag, künftig einen Internationalen Frauentag durchzuführen, den Clara Zetkin, Käte Duncker und Genossinnen eingebracht hatten, einstimmig an. (Berichte und Resolutionen.) Dabei waren auch herausragende Gewerkschafterinnen wie Emma Ihrer, Gertrud Hanna und eine der Wegbereierinnen von ver.di, Paula Thiede. (Paula Thiede, 1870 – 1919, war 1890 Mitgründerin des „Vereins der Arbeiterinnen an Buch- und Steindruck-Schnellpressen“, einer der ersten gewerkschaftlichen Frauenorganisationen und 1898 Mitgründerin und erste Vorsitzende des „Verbands der Buch- und Steindruckereihilfsarbeiter und –Arbeiterinnen Deutschlands“)

In dem Antrag hieß es: „Im Einvernehmen mit den klassenbewussten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats in ihrem Lande veranstalten die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr einen Frauentag, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient. Die Forderung muss in ihrem Zusammenhang mit der ganzen Frauenfrage der sozialistischen Auffassung gemäß beleuchtet werden. Der Frauentag muss einen internationalen Charakter tragen und ist sorgfältig vorzubereiten.“

Leicht hatten es die Frauen nicht, wenn sie für ihre Idee warben, denn „Frauenrechtlerei“ war den männlichen Genossen verhasst. Durch den weltweiten Internationalen Frauentag erhofften sie sich den außerparlamentarischen Druck für die Durchsetzung von Frauenrechten zu erhöhen. Sie stellten die Forderung nach dem Frauenwahlrecht in den Zusammenhang mit der „ganzen Frauenfrage“. Dazu gehörten Arbeiterinnenschutz, soziale Fürsorge für Mutter und Kind, die Gleichbehandlung von ledigen Müttern, die Bereitstellung von Kinderkrippen und Kindergärten, freie Schulmahlzeiten und Lehrmittelfreiheit und die internationale Solidarität.

100 Jahre Frauentag, das heißt auch 100 Jahre Internationaler Kampf der sozialistischen Frauen gegen Militarismus und für die Erhaltung des Friedens. Bei der Kopenhagenener Konferenz wurde neben dem oft zitierten Antrag der Deutschen Genossinnen auch eine „Resolution, die Erhaltung des Frieden betreffend“ verabschiedet. Die deutsche und österreichische Frauendelegation und das britische Büro der SIW hatten sie eingebracht. Anlässlich des drohenden Ersten Weltkrieges erinnerten sie die sozialistischen Frauen und Mütter aller Länder an ihre Aufgabe im Kampf gegen Militarismus und Krieg, die Kinder im Geiste des Sozialismus zu erziehen und das „weibliche Proletariat“ entsprechend zu agitieren. Die Frauen setzten damals große Hoffnung auf „das kämpfende Proletariat“ als „Armee des Friedens“, die sich immer weiter ausbreiten sollte.

"Polizeimannschaften bewahrten revolgergerüstet die Stadt vor dem Umsturz der Frauen"

Der erste Internationale Frauentag wurde ein voller Erfolg. Millionen Frauen in USA, Deutschland, Schweiz, Dänemark und Österreich gingen auf die Straße. Wie groß die Angst der Obrigkeit vor den aufmüpfigen Frauen war, geht aus einem Bericht der „Gleichheit“ vom 27.3.1911 hervor: „Zahlreiche Polizeimannschaften in der Nachbarschaft der Versammlungslokale bewahrten revolvergerüstet die Stadt vor dem Umsturz der Frauen.“ Allein in Groß-Berlin wurden 42 Veranstaltungen gezählt, die alle glänzend besucht waren. Neben namhaften Vertreterinnen der SPD gehörten auch die Gewerkschafterinnen Paula Thiede, eine Wegbereiterin unserer Organisation Ida Altmann und Martha Tietz zu den Referentinnen. Sie forderten schon damals in ihren reden die Festsetzung von Mindestlöhnen und gleichen Lohn bei gleicher Arbeitsleistung. Der „Vorwärts“ berichtete mit Stolz, dass etliche Vertreterinnen des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung an den Veranstaltungen teilnehmen, oder Grußadressen überbrachten. Da die „Bürgerlichen“ sich in diesem Fall hinter die Forderungen der proletarischen Bewegung stellten, war ein gemeinsames Demonstrieren möglich. Ansonsten waren die Gräben zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung tief. Schließlich betonten die bürgerlichen die weibliche Andersartigkeit und waren selten bereit, den Kampf der Arbeiterinnen um volle soziale und menschliche Emanzipation zu unterstützen. Etliche wollten gar das Frauenwahlrecht als „Damenwahlrecht“ ausschließlich für ihre Klasse und nicht für die Arbeiterinnen und Dienstmädchen.

Dieser 19. März war eine Provokation – nicht nur für die Herrschenden. Auch die sozialdemokratische Führung, entwickelte starken Widerstand gegen einen jährlichen Kampftag. Sie hatte Angst, dass die Emanzipationsbestrebungen der Frauen an einem „eigenen“ Tag zur Aufsplitterung der Interessen der Arbeiterklasse führen könnten. Sie wollten keine „Extra-Würste“ für Frauen und hatten Angst, dass Frauen die ganze Hand nehmen, wollten, wenn man ihnen den kleinen Finger böte. Nicht alle glaubten den Worten Clara Zetkins, die nicht nur in der internationalen sozialistischen Frauenbewegung aktiv war, sondern auch für die gewerkschaftliche Organisierung von Frauen stritt, wenn sie betonte, dass „der Emanzipationskampf der Proletarierinnen nicht ein Kampf gegen die Männer der eigenen Klasse (ist), sondern ein Kampf im Verein mit den Männern ihrer Klasse gegen die kapitalistische Ausbeutung“.

In den folgenden Jahren erlebte die „Frauentags-Bewegung“ Fortschritte, Rückschritte, Erfolge und Niederlagen. Je nachdem, wie es die herrschende politische Meinung wollte, wurde der Internationale Frauentag verboten, geduldet oder gar von oben verordnet.