Wiener Schmäh

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Kreuz / Foto: Stephanie Hofschlaeger (pixelio.de)

WIEN. (hpd) Der Verfassungsgerichtshof in Österreich hat die Kunst des Widerspruchs für sich entdeckt. Das Kreuz ist kein christliches Symbol. Ein Kommentar zum Kreuz-Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofs von Max Bitter.

 

Nonchalant weist der Verfassungsgerichtshof (VfGH) eine Klage gegen verpflichtende Kreuze in österreichischen Kindergärten ab – mit Begründungen, die weder den Gesetzen philosophischer Logik standhalten noch vermutlich der juristischen. Wiener Schmäh eben, könnte man sagen. Wenn es nicht um einigermaßen ernstzunehmende Anliegen wie Religionsfreiheit gehen würde.

Das Kreuz ist kein christliches Symbol, weiß der VfGH. Eine Begründung, der schon der juristische Gegner des klagenden Vaters Hohn spricht, der niederösterreichische Landeshauptmann. Für den steht das Kreuz für das christliche Abendland. Und das soll nichts mit Religion zu tun haben? Vielleicht wäre das ein Fall, wo politische Machtansprüche und verfassungsjuristische Überlegungen einander widersprechen. Wie das gerade in der Ära Erwin Prölls des öfteren vorgekommen ist. Wenn nicht der VfGH die eigene Begründung relativieren würde.

Auf einmal ist da sehr wohl davon die Rede, dass es gegen die Interessen „christlicher“ Kinder und deren Eltern verstoßen würde, wenn da kein Kreuz hinge. Minderheitenrechte hängen davon ab, was die Mehrheit will. Zitat: „Sie (die Anbringung eines Kreuzes, Anm.) verfolgt zunächst jedenfalls im Schutz der Rechte und Freiheiten jener Kindergartenkinder christlichen Glaubens und deren Eltern, die eine Erziehung unter Einsatz auch des religiösen Symbols des Kreuzes wünschen, ein legitimes Ziel (…).“ Wie war das noch mit „kein religiöses Symbol“? Und „christliche Kindergartenkinder“? Das mag juristisch korrekt sein. Weltfremd ist es allemal. Mit Rechten und Interessen von Kindern haben sich die Verfassungsrichter offenbar nicht auseinandergesetzt.

Auch sehr entlarvend sind Formulierungen wie: „In einem staatskirchenrechtlichen System wie dem österreichischen, das vom Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche geprägt ist, scheidet eine Deutung des Symbols des Kreuzes dahingehend, dass es als Ausdruck eines Staatskirchentums verstanden werden kann, daher von vornherein aus.“ Ah ja. Dass es dieses Prinzip gibt, scheint also von vornherein auszuschließen, dass sich irgendjemand nicht daran halten könnte. Wir nennen das ganze Ding anders und dann passt’s wieder. Nicht Staatskirche sondern vorherrschende Kultur. Die Welt ist wieder in Ordnung. Das erinnert an ein beliebtes Thema jüdischer Witze: Nennen wir den Schweinsschinken halt Karpfen, dann ist koscher.

Zitat: „In der Frage der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs kann der Anbringung von Kreuzen in Kindergärten (wie in Schulen) nicht die Bedeutung eines Mittels der Indoktrinierung oder Missionierung beigelegt werden, weil die Maßnahme (…) in den bundes‐ wie landesverfassungsrechtlich determinierten Erziehungs‐ und Bildungsauftrag eingebettet ist. Dementsprechend sind Ausmaß und Gewicht einer allfälligen Grundrechtsbeeinträchtigung von vornherein begrenzt.“ Nochmal die gleiche Leier: Es kann keine Indoktrination sein, weil der Gesetzgeber sagt, dass es keine ist. Egal, was die Auswirkungen sind.

Und ob die Kindergartenkinder das wohl auch so verstehen? (Es) „ist (…) entgegenzuhalten, dass eine Einflussnahme durch den Anblick eines Kreuzes auf die religiöse oder nicht religiöse Einstellung eines Kindes im Kindergartenalter nicht angenommen wer‐den kann.“ Also, eigentlich ist es egal, ob ein Kreuz dort hängt oder. Wozu dann das Festhalten den Rechten vorgeblich christlicher Kinder auf Religionsausübung? Das soll wer verstehen.

Es sind ein paar Taschenspielertricks, mit denen sich der VfGH davor gedrückt hat, eine Entscheidung zu treffen, die politisch heikel ist. Zuerst ist das Kreuz nur „Symbol europäischer Geistesgeschichte“, dann wieder „religiöses Symbol“ um die Religionsfreiheit „christlicher“ Kinder zu schützen. Je nach Bedarf. Dazu die Aussage: Es ist egal, regt euch nur nicht auf. So schlimm ist es nicht, es ist noch kein Kind davon religiös geworden.

Das kollidiert mit der Lebenswelt der Betroffenen. Welches Kindergartenkind ist schon imstande, den Unterschied zwischen einem Kreuz auf dem Kirchturm zu erkennen und dem, das im Gruppenraum hängt? Haben die alle eine Ausbildung in Erkenntnistheorie? Kleine Hegels, Marxe und Foucaults? Und welches nicht getaufte Kindergartenkind geht schon aus dem Gruppenraum, wenn der Pfarrer vor dem Kreuz ein Gebet spricht, das die Kinder ohnehin nicht verstehen? Aber nein, das ist keine Indoktrinierung. Dass es de facto unmöglich ist, dass nicht getaufte Kinder nicht an religiösen Feiern teilnehmen, zu denen die ganze Gruppe geht – nebbich. Ersatzprogramme gibt es keine in ländlichen Kindergärten.

Nebenbei verlangt der VfGH von den Eltern auch, ihr Religionsbekenntnis oder Nicht-Bekenntnis bekannt zu geben, wenn sie nicht wollen, dass ihr Kind am christlichen Mehrheitsprogramm teilnimmt. Beziehungsweise ist das Voraussetzung, um feststellen zu können, ob in einem Kindergarten oder einer Schule überhaupt Kreuze angebracht werden müssen. Das ist ein Bekenntniszwang. Von Religionsfreiheit kann hier nicht die Rede sein – weder im Sinne von „Freiheit der Religion“ noch „Freiheit von Religion“.

Bleibt zu hoffen, dass der EGMR heute anders entscheidet. Dann hätte sich – zumindest auf lange Sicht – die Debatte in Österreich erledigt.