"Respektlos gegenüber den Betroffenen sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche"

Söder beharrt auf dem Kardinal-Wetter-Kreuz in der Staatskanzlei

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Markus Söder ließ 2018 per Erlass in allen bayerischen Behörden gut sichtbare Kreuze aufhängen.
Söder mit Kreuz

Dass im Eingangsbereich der bayerischen Staatskanzlei ein Kreuz hängt, ist nicht überraschend. Schließlich ist seit dem sogenannten Kreuzerlass von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) das christliche Symbol in jeder bayerischen Amtsstube Pflicht. Ein Erlass, der vom Bund für Geistesfreiheit vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten wird. Doch das Kreuz in der Staatskanzlei hat nochmal eine besondere Relevanz. Und die hat etwas mit dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche zu tun.

Das Kreuz in der bayerischen Staatskanzlei ist ein Geschenk des ehemaligen Münchner Kardinals Friedrich Wetter. Diesem war im Januar 2022 im Münchner Missbrauchsgutachten Fehlverhalten im Umgang mit 21 Fällen vorgehalten worden. Kardinal Wetter räumte ein, sich vor 2010 nicht eingehend mit den fatalen Folgen von Missbrauchstaten für Kinder und Jugendliche auseinandergesetzt zu haben. Die Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt Landau gab Wetter kurz nach Veröffentlichung des Gutachtens zurück.

Nach öffentlicher Debatte wurde in Landau am Straßenschild des Kardinal-Wetter-Platzes ein Zusatzschild mit dem Hinweis angebracht, auf dem es heißt: "In seiner Amtszeit wurden schwere Fehler im Umgang mit sexuellem Missbrauch begangen, für die er im Amt verantwortlich war."

Timo Ranzenberger ist Betroffener des kirchlichen Missbrauchsskandals. Er ist in den 1990er Jahren von einem katholischen Geistlichen sexuell missbraucht worden. Ranzenberger beklagt gegenüber dem hpd: "Für mich ist es eine Provokation und Missachtung der Betroffenen, dass sich ausgerechnet ein Kreuz, das ein Geschenk von Kardinal Friedrich Wetter ist, in der Bayerischen Staatskanzlei befindet. Wetter hat selbst Verantwortung für Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsfällen übernommen. Es ist für mich unzumutbar, wie ein kirchlicher Pflichtverletzer derartig gewürdigt wird. Mittlerweile werden Straßen, Plätze und Gebäude umbenannt, die bislang die Namen von kirchlichen Pflichtverletzern trugen. Dies geschieht allein schon aus Respekt gegenüber den Opfern der Täter der katholischen Kirche. Warum sollte also ausgerechnet in einem staatlichen Gebäude weiterhin ein Geschenk von jemandem hängen, der nachweislich schwere Versäumnisse im Umgang mit Missbrauchsfällen zu verantworten hat?" Timo Ranzenberger sieht es "als ein Zeichen des Respekts gegenüber den Opfern an, dieses Kreuz zu entfernen".

Der hpd konfrontierte die bayerische Staatskanzlei mit diesem Wunsch eines Betroffenen: "Ist die Frage, das Kreuz in der Staatskanzlei wenn nicht zu entfernen, so doch jedenfalls auszutauschen, ein Thema in der Staatskanzlei mit Blick auf die Perspektive der vom Missbrauch Betroffenen?" Nachdem die Bitte um Stellungnahme von der Söder'schen Staatskanzlei zunächst nicht beantwortet worden war, hieß es auf weitere Nachfrage nur kurz und knapp: "Vielen Dank für Ihre Anfrage. Für Sie zur Planung: Wir werden uns hierzu nicht äußern."

Genau der Umgang, den viele Betroffene auch von der katholischen Kirche erfahren haben

Eine Reaktion, die Timo Ranzenberger erzürnt. Er sagt: "Ich empfinde es als respektlos gegenüber den Betroffenen sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche, dass die Staatskanzlei nicht einmal den Versuch unternimmt, sich der Kritik zu stellen. Ein Geschenk von Kardinal Wetter anzunehmen und es prominent zu präsentieren, während gleichzeitig sein Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsfällen dokumentiert ist, ist schon problematisch genug. Aber sich dann jeder Diskussion darüber zu entziehen, unterstreicht nur, dass man sich mit der Verantwortung nicht auseinandersetzen will." Dieses Verhalten sei für Betroffene sexualisierter Gewalt durch die römisch-katholische Kirche freilich nichts Neues. Die Annahme eines solchen Geschenks von einem kirchlichen Pflichtverletzer und das anschließende Ignorieren einer sachlich fundierten Frage dazu entspreche genau dem Umgang, den viele Missbrauchsbetroffene von der katholischen Kirche selbst erfahren haben. Ranzenberger: "Schweigen und Ignorieren gehören zur DNA dieser Institution – und nun scheint sich die Bayerische Staatskanzlei in Bezug auf dieses Thema genau dasselbe Muster zu eigen zu machen. Das Ignorieren des Themas verdeutlicht, dass hier nicht die Perspektive der Betroffenen, sondern der Schutz des eigenen Images an erster Stelle steht. Das ist nicht nur enttäuschend, sondern aus meiner Sicht auch respektlos gegenüber allen, die unter dem jahrzehntelangen Vertuschen und Verharmlosen sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche gelitten haben."

Auch gegenüber der Opposition im bayerischen Landtag duckt sich die Staatskanzlei von Ministerpräsident Markus Söder weg. Gabriele Triebel, Landtagsabgeordnete der Grünen, hatte in einem Schreiben an die Staatskanzlei geltend gemacht: "Die Herkunft explizit dieses Kreuzes wird von den Betroffenen sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Institutionen kritisch gesehen." Diesen Betroffenen sei es wichtig, dass das Kreuz in der Staatskanzlei durch ein anderes ersetzt wird. Doch ebenso wie die Anfrage des hpd blieb auch dieses Schreiben unbeantwortet. Nun wollen die Grünen statt einer bloß brieflichen Anfrage, die von der Staatsregierung offenbar nicht ernst genommen wird, das parlamentarische Fragerecht nutzen, um zu einer Antwort zu kommen. Vielleicht wecken die Grünen dann auch die andere bayerische Oppositionspartei, die SPD, auf und bringen diese dazu, sich für das Thema einzusetzen.

Bundestagsabgeordnete: Falsch, dass in bayerischen öffentlichen Gebäuden christliche Symbole aufgehangen werden

Die bayerische SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge äußerte zu dem speziellen Kardinal-Wetter-Kreuz keine Meinung, sagte dem hpd nur generell etwas zu dem Kreuzerlass: "Unabhängig der Herkunft des Kreuzes in der bayerischen Staatskanzlei halte ich es für falsch, dass in bayerischen öffentlichen Gebäuden christliche Symbole aufgehangen werden. Der Staat hat die Pflicht, in religiösen und weltanschaulichen Fragen neutral zu bleiben. Das ist nicht gegen die Religionsfreiheit oder die kulturelle Bedeutung des Christentums gerichtet, sondern soll vielmehr die Gleichbehandlung aller Glaubensrichtungen und Weltanschauungen in öffentlichen Räumen sicherstellen. Das Anbringen von Kreuzen in öffentlichen Gebäuden kann als Bevorzugung des Christentums gegenüber anderen Religionen oder nicht-religiösen Weltanschauungen interpretiert werden. Menschen, die einer anderen oder keiner Religion angehören, könnten sich durch die Präsenz christlicher Symbole in öffentlichen Räumen belästigt oder diskriminiert fühlen. In einem säkularen Staat sollten religiöse Symbole nicht in offiziellen Regierungsgebäuden präsent sein, um die Trennung von Staat und Religion zu wahren."

Die Argumentation ist nachvollziehbar und bestätigt die grundsätzliche Kritik an dem Kreuzerlass von Markus Söder. Doch lässt sie das Thema dieses ganz speziellen Kreuzes in der Staatskanzlei und dessen Herkunft unbeantwortet. Eine Frage, die die Opfer sexuellen Missbrauchs jedoch umtreibt und auf deren Befindlichkeit Ministerpräsident Markus Söder und seine Staatskanzlei nur mit Schweigen – also gar nicht – reagieren.

"Timo Ranzenberger steht nicht alleine. Er gehört zu den Mutigen, die ihre Meinung klipp und klar öffentlich äußern", weiß David Farago aus Augsburg von der Kunstaktion "kreuzerlass.bayern" zu berichten. "Ich kenne weitere Betroffene, die sich nicht öffentlich äußern. Unsere Kunstaktion hat die Bayerische Staatskanzlei bereits vor einiger Zeit schriftlich darauf hingewiesen, dass Kardinal Wetter einer der zentralen Vertuscher jahrzehntelangen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen war. Um den Betroffenen nicht länger die Symbolik dieses Kardinal-Geschenks aufzuzwingen, haben wir der Staatsregierung als Alternative unser X-Kreuz der Vielfalt für den Eingangsbereich der Staatskanzlei angeboten – solange sie an diesem unsäglichen Kreuzerlass festhalten will."

Farago weiter: "Der Kreuzerlass sorgt weiterhin für 'Spaltung, Unruhe, Gegeneinander' – Kardinal Reinhard Marx hat das treffend beschrieben. Doch Ministerpräsident Söder ignoriert sowohl die staatliche Neutralitätspflicht als auch die Rolle des Geschenkgebers im kirchlichen Missbrauchsskandal. Die Betroffenen spielen für ihn keine Rolle – er hält allein aus politischem Kalkül an diesem Symbol fest. Zu Beginn seiner Amtszeit war das Kreuz in der Staatskanzlei ein Machtsymbol, inzwischen ist es ihm zur politischen Reliquie geworden, die nicht angetastet werden darf. Selbst bei der nachgewiesenen Vertuschung von Missbrauch beharrt er auf dem Symbol seines Kreuzerlasses, dem Kardinal-Wetter-Kreuz. Wie lange noch?"„"

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