„Ethik nicht nebenbei zu erledigen“
Auch der bekannte Philosoph Konrad Paul Liessmann stellt sich die Frage, warum Ethikunterricht nur für die gelten soll, die keinen Religionsunterricht besuchen. Und wie bisher von Lehrern erteilt werden solle, die eine Schnellsiedeausbildung gemacht haben.
Ethik sei keine Querschnittsmaterie, sondern eine umfassende Disziplin, in der Erkenntnisse der Sozial- und Naturwissenschaften ebenso Berücksichtigung finden müssen, wie Fragestellungen, die sich aus dem technologischen Fortschritt und der globalen Entwicklung ergeben. Liessmann hält ein eigenes Studienfach Ethik für notwendig. Inhalte eines solchen Faches sollten neben den Grundlagen der philosophischen Ethiken „Grundkenntnisse unterschiedlicher, auch religiös fundierter Moralvorstellungen und Normensysteme sein, die es erlauben, diese ohne ideologische oder konfessionelle Präferenz im Unterricht zur Sprache zu bringen.“
Sein Plädoyer: Ethikunterricht für alle und nicht alibihalber als Ersatzfach. „Ethikunterricht kann kein Ersatz für den Religionsunterricht sein, weil Ethik kein Ersatz für Religion ist“. Ethik sei nicht das, was von den Religionen überbleibt, wenn man Gott durchstreicht, und Religion sei ihrem Wesen nach keine Ethik für Menschen, die den Prozess der Aufklärung noch vor sich haben. Die Religion erspare den Mitgliedern einer modernen Gesellschaft nicht, sich mit den Fragen einer säkularen Moral auseinanderzusetzen, noch sei diese Moral eine Art Religionsersatz für Atheisten und Agnostiker. Gerade für Angehörige von Religionen mit rigiden Moralansprüchen sei die Teilnahme an einem religionsneutralen Ethikunterricht besonders wichtig.
Schülervertreterin skeptisch
Die einzige Schülervertreterin, die inmitten der Religionsgemeinschaften, Theologen und Politiker zu Wort kommt, ist Iris Schwarzenbacher von der SPÖ-nahen Aktion Kritischer SchülerInnen. Sie lehnt es ab, nur jene Schüler in den Ethikunterricht zu schicken, die keinen Religionsunterricht besuchen. „Wir brauchen einen geschützten Raum für Diskurs und Werteentwicklung in unsere Schulen. Der Religionsunterricht gewährleistet das nicht und er widerspricht dem demokratischen Gebot der Trennung von Staat und Kirche.“ Für Schwarzenbacher kann nur ein Ethikunterricht für alle den Freiraum bieten – und er soll den Religionsunterricht ersetzen.
So deutliche Formulierungen fallen eher selten. Wie etwa beim Vertreter der Arbeiterkammer oder der Nationalratsabgeordneten Daniela Musiol von den Grünen. Den laizistischen Staat ernst zu nehmen, könne nur heißen, den Ethikunterricht in den Schulen einzuführen und den SchülerInnen Gelegenheiten zu geben, sich mit den Grundwerten auseinanderzusetzen, sagt sie. „Die Grünen wollen einen verpflichtenden Ethikunterricht, der Auseinandersetzung mit Weltanschauungen und Religionen bietet. Das ist etwas anderes als Religionsunterricht.“
Offizielle SPÖ-Vertreter zeigen sich etwas zurückhaltender. Auch wenn sie großteils entlang der Parteilinie argumentieren: Ethikunterricht für alle und nicht nur als Ersatzfach. Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) etwa stellt die Frage in den Raum, ob das nicht die sinnvollere Variante wäre. Skeptisch waren fallweise auch Vertreter der FPÖ und des BZÖ.
Zu groß geratene Podiumdiskussion
Ein eindeutiges Ergebnis liefert die Enquete nicht. Sie mutet eher an wie eine etwas zur groß geratene Podiumdiskussion, bei der vor allem die zahlreich geladenen Religionsvertreter das Wort ergreifen, von den Neuapostolen zu den Mormonen. Mit Ausnahme der Zeugen Jehovas, die nicht erschienen waren. Wer Erkenntnisgewinn erwartet hat, wird enttäuscht. „Viel heiße Luft“, sagt etwa Freidenkerin Bettinger.
Was die Verfechter des Ethikunterrichts als Ersatzfach nicht davon abhält, die Enquete als Erfolg zu verkaufen. Es wäre nicht die ÖVP, hätten sie nicht eine eindeutige Interpretation anzubieten. „Parlamentarische Enquete zeigt breite Forderung nach Ethikunterricht“ titelt der Zweite Nationalratspräsident, Fritz Neugebauer, eine Presseaussendung unmittelbar nach dem Ereignis. Kritiker ätzen, das sei die einzige Reform im Bildungswesen, für die er jemals eingetreten sei. „Religion ist Privatsache“ interpretiert die Veranstaltung beinahe entgegengesetzt. „Die Experten äußern sich zunehmend dafür, Religionsunterricht und Ethikunterricht als getrennte Materien zu behandeln, die nichts miteinander zu tun haben“, sagt ein Sprecher.
Unklar ist auch, ob die Enquete die Einführung des Ethikunterrichts ermöglicht. Dass der bisherige Schulversuch ausgebaut wird, scheiterte zuletzt am Geld. „Ob dann genug Geld dafür da ist, ihn in allen Schulen einzuführen, ist fraglich“, heißt es unter der Hand.
Auch eine Fälschung ist ein Beweis
Das treffendste Bild der Debatte zeigt vielleicht der Redebeitrag des neuen Wissenschaftsministers Karl Heinz Töchterle (ÖVP). Er argumentierte mit einem angeblichen Briefwechsel zwischen dem Apostel Paulus und dem Philosophen Seneca für den Ethikunterricht. Die Briefe seien gefälscht, aber treffend gefälscht, meinte er. Sie repräsentieren etwas für ihn Wichtiges: Eine enge Verbindung der christlichen Religion mit der antiken Ethik.
Auch Fälschungen sind in Österreich ein Beweis. Zumindest, wenn das Land auf der Suche nach der Ethik ist.
Christoph Baumgarten