WIEN. (hpd) Österreichs Konservative und Religionsgemeinschaften wollen Schüler, die keinen Religionsunterricht besuchen, zum Ethikunterricht zwangsverdonnern. Eine erste Stufe zur möglichen Einführung war eine Enquete im Parlament in Wien. Die Ergebnisse sind unklar.
Man könnte den Eindruck gewinnen, die Verteidiger des konfessionellen Religionsunterrichts führen ein Rückzugsgefecht. Wortreich würdigen vor allem die Christdemokraten von der ÖVP und die Religionsvertreter dessen Bedeutung. Und warnen eindringlich davor, ihn abzuschaffen. Oder auf dumme Gedanken zu kommen und Ethikunterricht als Pflichtfach für alle einzuführen statt als Ersatzfach für Schüler, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen. „Dies würde zu einer empfindlichen Schwächung des Religionsunterrichts und dessen Integrationskraft führen“, argumentiert etwa der Theologe Karl Heinz Auer.
Unklar blieb, worin die Integrationskraft des Religionsunterrichts aus seiner Sicht besteht. Oder Anas Shakfeh von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich: „Ein Schulfach Ethik soll den Religionsunterricht nicht ersetzen.“ Ein zusätzlicher Ethikunterricht würde Mehrkosten verursachen und möglicherweise dazu führen, dass auf den Religionsunterricht verzichtet werden könnte. Das dürfe nicht passieren, meint Shakfeh: „Ein Ethik- und Religionenunterricht kann einen Religionsunterricht nicht ersetzen, weil er die Orientierung nicht bieten kann, die eine Religion den Heranwachsenden bietet.“ Oder Emanuel Aydin von der syrisch-orthodoxen Kirche. Zitat aus dem Parlamentsprotokoll: „(Er) sprach die Befürchtung aus, ein verpflichtender Ethikunterricht könnte eines Tages den Religionsunterricht ersetzen. Die Kinder brauchten aber die Unterstützung ihrer Werteentwicklung durch die Religionen.“
Ähnlich Vertreter der ÖVP und ihrer zahlreichen Vorfeldorganisationen wie des Familienbundes. Der Ethikunterricht spielt, wenn überhaupt, eine Nebenrolle. „Die meisten haben darüber gesprochen, wie wichtig der Religionsunterricht nicht. Ich hatte den Eindruck, die haben gar nicht verstanden, worum es beim Ethikunterricht oder bei Ethik generell geht“, schildert Freidenkerin Edith Bettinger, eine der wenigen religionskritischen Zuhörerinnen. „Eine klare Themenverfehlung.“
Keine Beweise
Promi-Theologe Paul Zulehner, der sich gerne als kritisch präsentiert, will den Ethikunterricht als Ersatzfach als Kampf gegen autoritäre Tendenzen verstanden wissen.
„Einer demokratischen Gesellschaft kann es nicht gleichgültig sein, wenn unter den Jüngeren die Zahl jener steigt, die die lästig werdende Last der Freiheit wieder loswerden will. Der Anteil der Autoritären unter den Jungen ist seit der Mitte der 90er Jahre von 31% auf 53% gestiegen.“ Was offenbar der konfessionelle Religionsunterricht nicht verhindert hat. Den besucht nach wie vor die überwiegende Mehrheit der österreichischen Schüler. Ein Schluss, den Zulehner wohlweislich nicht in den Raum stellt. Oder zu dem er selbst nicht kommt.
Dass Kinder nach dem Religionsbekenntnis ihrer Eltern in verschiedene Gruppen eingeteilt und getrennt religiösen Unterricht erhalten ist für ihn ein Beitrag zu einer pluralistischen und toleranten Gesellschaft. Oder wie es Theologen-Kollege Auer formuliert: „Die Schulen haben die Aufgabe, Grundwerte wie Demokratie, Humanität, Gewaltfreiheit, Offenheit und Toleranz zu vermitteln. Dieser Bildungsauftrag gilt auch gegenüber jenen, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchten.“ Beweise, dass dieser Bildungsauftrag ohne Religionsunterricht nicht erbracht werde und dass Schüler ohne Religionsunterricht weniger demokratisch, human, gewaltfrei, offen und tolerant seien, nennt auch bei der Enquete keiner der Befürworter.
Verkappter Religionsunterricht?
Dass Konfessionsfreie bei der schulischen Bildung auch ihrer eigenen Kinder Zulehners Meinung nach kein Mitspracherecht haben sollten, wird zwischen den Zeilen deutlich. „Zulehner hat die üblichen Phrasen wie aggressiver Neoatheismus und christliches Europa gebraucht, um Kritiker zu diffamieren. Darin sieht er die einzige Möglichkeit, um davon abzulenken, dass er nur Platituden von sich gibt und keine Argumente hat“, sagt Philippe Lorre. Er ist einer der prominentesten Kritiker des Ethikunterrichts als Ersatzfach für Religionsunterricht. Auch die Initiative „Religion ist Privatsache“ kritisiert die Aussagen des Promi-Theologen.
Wäre es nach den ursprünglichen Plänen gegangen, hätten Konfessionfreie nicht einmal bei der Enquete mitreden dürfen. Erst die Grünen ermöglichten auf öffentlichen Druck hin, dass Heinz Oberhummer, Vorsitzender des Zentralrats der Konfessionsfreien, seine Bedenken gegen die ÖVP-Pläne äußern durfte. Er interpretiert die Pläne vor allem als Strafaktion für Kinder, die sich vom Religionsunterricht abmelden – und vor allem für Kinder, die keiner Religionsgemeinschaft angehören. „Das Argument, dass nur jene am angeblich so wichtigen Ethikunterricht teilnehmen sollen, die nicht in den konfessionellen Religionsunterricht gehen, erschließt sich mir nicht. Man unterstellt ihnen, dass sie keine Ethik haben. Sie werden als Bürger zweiter Klasse gesehen.“
Oberhummer stützt sich auch auf die Erfahrungen aus den 200 Schulen, an denen es probeweise Ethikunterricht als Ersatz für Religion gibt: „Die meisten Lehrer sind Religionslehrer, die Unterrichtsbücher werden von Theologen geschrieben. Bisher hat man das vor allem als Möglichkeit genutzt, um den Einfluss der Religionen auch auf die auszudehnen, die diesem Einfluss entzogen waren. Ich will das nicht. Ich will nicht, dass meine Enkel gegen ihren Willen in einen verkappten Religionsunterricht müssen“. Wie berechtigt die Befürchtung möglicherweise ist, zeigt eine Initiative der Diözese Linz. Sie fordert den Ethikunterricht ausdrücklich – und sucht im gleichen Atemzug neue Religionslehrer.
„Ethik nicht nebenbei zu erledigen“
Auch der bekannte Philosoph Konrad Paul Liessmann stellt sich die Frage, warum Ethikunterricht nur für die gelten soll, die keinen Religionsunterricht besuchen. Und wie bisher von Lehrern erteilt werden solle, die eine Schnellsiedeausbildung gemacht haben.
Ethik sei keine Querschnittsmaterie, sondern eine umfassende Disziplin, in der Erkenntnisse der Sozial- und Naturwissenschaften ebenso Berücksichtigung finden müssen, wie Fragestellungen, die sich aus dem technologischen Fortschritt und der globalen Entwicklung ergeben. Liessmann hält ein eigenes Studienfach Ethik für notwendig. Inhalte eines solchen Faches sollten neben den Grundlagen der philosophischen Ethiken „Grundkenntnisse unterschiedlicher, auch religiös fundierter Moralvorstellungen und Normensysteme sein, die es erlauben, diese ohne ideologische oder konfessionelle Präferenz im Unterricht zur Sprache zu bringen.“
Sein Plädoyer: Ethikunterricht für alle und nicht alibihalber als Ersatzfach. „Ethikunterricht kann kein Ersatz für den Religionsunterricht sein, weil Ethik kein Ersatz für Religion ist“. Ethik sei nicht das, was von den Religionen überbleibt, wenn man Gott durchstreicht, und Religion sei ihrem Wesen nach keine Ethik für Menschen, die den Prozess der Aufklärung noch vor sich haben. Die Religion erspare den Mitgliedern einer modernen Gesellschaft nicht, sich mit den Fragen einer säkularen Moral auseinanderzusetzen, noch sei diese Moral eine Art Religionsersatz für Atheisten und Agnostiker. Gerade für Angehörige von Religionen mit rigiden Moralansprüchen sei die Teilnahme an einem religionsneutralen Ethikunterricht besonders wichtig.
Schülervertreterin skeptisch
Die einzige Schülervertreterin, die inmitten der Religionsgemeinschaften, Theologen und Politiker zu Wort kommt, ist Iris Schwarzenbacher von der SPÖ-nahen Aktion Kritischer SchülerInnen. Sie lehnt es ab, nur jene Schüler in den Ethikunterricht zu schicken, die keinen Religionsunterricht besuchen. „Wir brauchen einen geschützten Raum für Diskurs und Werteentwicklung in unsere Schulen. Der Religionsunterricht gewährleistet das nicht und er widerspricht dem demokratischen Gebot der Trennung von Staat und Kirche.“ Für Schwarzenbacher kann nur ein Ethikunterricht für alle den Freiraum bieten – und er soll den Religionsunterricht ersetzen.
So deutliche Formulierungen fallen eher selten. Wie etwa beim Vertreter der Arbeiterkammer oder der Nationalratsabgeordneten Daniela Musiol von den Grünen. Den laizistischen Staat ernst zu nehmen, könne nur heißen, den Ethikunterricht in den Schulen einzuführen und den SchülerInnen Gelegenheiten zu geben, sich mit den Grundwerten auseinanderzusetzen, sagt sie. „Die Grünen wollen einen verpflichtenden Ethikunterricht, der Auseinandersetzung mit Weltanschauungen und Religionen bietet. Das ist etwas anderes als Religionsunterricht.“
Offizielle SPÖ-Vertreter zeigen sich etwas zurückhaltender. Auch wenn sie großteils entlang der Parteilinie argumentieren: Ethikunterricht für alle und nicht nur als Ersatzfach. Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) etwa stellt die Frage in den Raum, ob das nicht die sinnvollere Variante wäre. Skeptisch waren fallweise auch Vertreter der FPÖ und des BZÖ.
Zu groß geratene Podiumdiskussion
Ein eindeutiges Ergebnis liefert die Enquete nicht. Sie mutet eher an wie eine etwas zur groß geratene Podiumdiskussion, bei der vor allem die zahlreich geladenen Religionsvertreter das Wort ergreifen, von den Neuapostolen zu den Mormonen. Mit Ausnahme der Zeugen Jehovas, die nicht erschienen waren. Wer Erkenntnisgewinn erwartet hat, wird enttäuscht. „Viel heiße Luft“, sagt etwa Freidenkerin Bettinger.
Was die Verfechter des Ethikunterrichts als Ersatzfach nicht davon abhält, die Enquete als Erfolg zu verkaufen. Es wäre nicht die ÖVP, hätten sie nicht eine eindeutige Interpretation anzubieten. „Parlamentarische Enquete zeigt breite Forderung nach Ethikunterricht“ titelt der Zweite Nationalratspräsident, Fritz Neugebauer, eine Presseaussendung unmittelbar nach dem Ereignis. Kritiker ätzen, das sei die einzige Reform im Bildungswesen, für die er jemals eingetreten sei. „Religion ist Privatsache“ interpretiert die Veranstaltung beinahe entgegengesetzt. „Die Experten äußern sich zunehmend dafür, Religionsunterricht und Ethikunterricht als getrennte Materien zu behandeln, die nichts miteinander zu tun haben“, sagt ein Sprecher.
Unklar ist auch, ob die Enquete die Einführung des Ethikunterrichts ermöglicht. Dass der bisherige Schulversuch ausgebaut wird, scheiterte zuletzt am Geld. „Ob dann genug Geld dafür da ist, ihn in allen Schulen einzuführen, ist fraglich“, heißt es unter der Hand.
Auch eine Fälschung ist ein Beweis
Das treffendste Bild der Debatte zeigt vielleicht der Redebeitrag des neuen Wissenschaftsministers Karl Heinz Töchterle (ÖVP). Er argumentierte mit einem angeblichen Briefwechsel zwischen dem Apostel Paulus und dem Philosophen Seneca für den Ethikunterricht. Die Briefe seien gefälscht, aber treffend gefälscht, meinte er. Sie repräsentieren etwas für ihn Wichtiges: Eine enge Verbindung der christlichen Religion mit der antiken Ethik.
Auch Fälschungen sind in Österreich ein Beweis. Zumindest, wenn das Land auf der Suche nach der Ethik ist.
Christoph Baumgarten