Revision gescheitert – Freiheitsstrafe für ärztlichen Suizidhelfer rechtskräftig

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Dr. Johann F. Spittler hielt in Oldenburg einen Vortrag mit dem Titel "Suizidhilfe aktuell"
Dr. Johann F. Spittler

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Revision des Arztes Johann F. Spittler gegen seine Verurteilung zu drei Jahren Gefängnis zurückgewiesen. Diese Strafe war vom Landgericht Essen wegen des Todes eines an Schizophrenie leidenden 42-jährigen ausgesprochen worden, zu dem Spittler durch Suizidhilfe beigetragen hatte. Was sind die Begründungen des BGH für seinen 16-seitigen Beschluss, der das Urteil für rechtskräftig erklärt?

In Deutschland ist es nicht grundsätzlich verboten, auch einen psychisch beeinträchtigten Menschen bei seiner Selbsttötung zu unterstützen. Vielmehr ist das Maß seiner eingeschränkten Freiwillensfähigkeit entscheidend für eine Bestrafung des Suizidhelfers. Wenn der Selbsttötungsvollzug nach Bewertung durch psychiatrisch sachkundige Zeugen nicht hinreichend auf seiner Einsichts- und freien Entscheidungsfähigkeit beruhte, wird der Suizident zum "Geschädigten" erklärt. Sein Helfer wiederum wird dann wegen Tötung "in mittelbarer Tatherrschaft" durch Totschlag angeklagt und (im minderschweren Fall gemäß § 213 StGB) zu einem bis zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Von einem ausgeprägten "Täterwillen" ging man im Fall Spittler nicht aus. Allerdings trügen, so der BGH, die Feststellungen des Landgerichts Essen zur Bewertung bei, dass er das Tatgeschehen "mit steuerndem Willen in den Händen hielt".

Sterbewunsch aus Mitleid erfüllt

Unstrittig ist, dass der – durch zahlreiche öffentliche Auftritte – bundesweit bekannte Sterbehelfer Dr. Spittler (82) dem psychisch kranken Patienten H. aus Dorsten im August 2020 bei ihm zu Hause – nach erneuter Versicherung seines Sterbewillens – einen venösen Zugang legte und eine Infusion mit Natrium-Thiopental anhängte, die der Angeklagte zuvor bei einem Apotheker beschafft hatte. Anschließend, nach kurz geprüfter Funktionsfähigkeit, verstarb der Geschädigte 25 Minuten später, nachdem er selbst das Ventil – im Wissen um die tödliche Wirkung – geöffnet hatte.

Laut Essener Urteil war der Patient aber nicht in der Lage, die Tragweite seines Handelns zu erfassen und frei verantwortlich zu entscheiden. Seine ihn behandelnden Psychiater hatten die Diagnosen "paranoide Schizophrenie" (ICD-10: F 20.0) und "mittelgradige depressive Episode" (ICD-10: F. 32.1) gestellt, zudem litt er an Wahnvorstellungen (etwa zu Erblinden und daran selbst schuld zu sein). Der Angeklagte, selbst Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, soll das auch erkannt, aber nichtsdestotrotz die Suizidassistenz bei ihm durchgeführt haben. Spittler ging nach eigener Aussage von einem "Residualzustand" der Schizophrenie und klaren Bilanzierung von H. aufgrund seiner Krankheitseinsicht aus.

Dabei hieß es damals im Urteil des Landgerichts: "Sein primäres Ziel war es, einer schwer kranken und leidenden Person den Wunsch zu sterben zu erfüllen – aus Mitleid". Dabei hätte sich der angeklagte Arzt bewusst über den ihm bekannten Rechtsgrundsatz der freien Willensbildung hinweggesetzt und damit vorsätzlich gegen das ihm bekannte Gesetz (den Totschlagsparagrafen) verstoßen. Die Urteilsbegründung zur mittelbaren Tatherrschaft, so sieht es der BGH, sei zurecht davon ausgegangen, dass der Angeklagte "die Zentralgestalt des Geschehens" gewesen sei: "Er konstellierte und organisierte dessen Ablauf zweckgerichtet so, dass mit dem Öffnen des Ventils nur das letzte Element einer längeren Abfolge von Handlungen mit dem Ziel des Todes des Geschädigten diesem selbst überlassen blieb."

Feststellungen des Landgerichts Essen

Die Nachprüfung des Urteils gegen Spittler habe ergeben, dass es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sei – und zwar aufgrund der Feststellungen des Essener Landgerichts, die der BGH wie folgt wiedergibt:

"Der Geschädigte wandte sich am 1. Juli 2020 per E-Mail an den Angeklagten. Bei ihm war erstmals im Jahr 2007 eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden. Seit dem Jahr 2014 wurde er mehrmals stationär in einer psychiatrischen Klinik behandelt, teils infolge von Suizidankündigungen, wo später auch die Diagnose einer postschizophrenen Depression gestellt wurde. (…) Infolge der Selbstmedikation entwickelte er ein Augenleiden mit starker Sehbeeinträchtigung, worauf er mit erheblichen Selbstvorwürfen und einem massiv depressiven Schulderleben reagierte. In der Folgezeit unternahm er mehrere Suizidversuche und es kam zu weiteren Klinikaufenthalten. (…) Bis zu seinem Tod am 31. August 2020 nahm der Geschädigte weder die ihm für seine psychische Erkrankung verordneten Medikamente ein noch folgte er der ärztlichen Empfehlung, eine ambulante psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung aufzunehmen."

Weiter heißt es: "Auch nachdem beide Augen erfolgreich operiert worden waren und sein Sehvermögen im Juni 2020 weitgehend wiederhergestellt war, ging er unverrückbar kontrafaktisch davon aus, fortschreitend zu erblinden. Dem Angeklagten teilte der Geschädigte im Rahmen des Erstkontakts mit, auf der Suche nach einem Gutachter zu sein, der ihm bescheinige, dass sein 'Sterbewunsch ein wohl bilanzierter Entscheid' sei, um eine Suizidbegleitung durch einen (bestimmten) Sterbehilfeverein erreichen zu können. Auf Bitte des Angeklagten übersandte der Geschädigte ihm am 28. Juli 2020 ein zweiseitiges, auf seinem Mobiltelefon getipptes Schreiben, in dem er seinen Werdegang und Krankheitsverlauf – einschließlich der infolge der Eigenbehandlung vermeintlich bleibenden Sehbeeinträchtigung – darstellte. Ferner übersandte er Arztbriefe stationärer Behandlungen aus den Jahren 2019 und 2020."

Keine vorinstanzlichen Rechtsfehler und Motiv des Angeklagten

Eine von Dr. Spittler erwünschte und erhoffte inhaltliche Würdigung seiner gegenteiligen psychiatrischen Beurteilung wurde vom BGH nicht vorgenommen. Seine Einschätzung wird wie folgt wiedergegeben: Die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten H. sei "aus psychiatrischer Sicht als uneingeschränkt klar erhalten zu beurteilen, da die dringlich vorgetragene Lebensbeendigungs-Absicht (…) aus den geschilderten Beschwerden plausibel nachvollziehbar begründet" worden wäre. Dabei hatte der Angeklagte auf Stellungnahme der behandelnden Ärzte ebenso verzichtet wie auf die Beiziehung einer sonstigen Zweitmeinung. Als Rechtfertigung gab Spittler vor Gericht an, dass "damals Psychiater generell nicht für Sterbehilfe gewesen" seien. Er übermittelte dann dem Geschädigten vielmehr sein Angebot, ihn beim Suizid zu begleiten – welches dieser annahm.

Mit Datum vom 16. August 2020 fertigte der Angeklagte laut BGH einen "ärztlichen und psychiatrischen Befundbericht" an, in welchem er unter anderem folgende "medizinische Diagnosen" für den Geschädigten stellte: "Residualsymptomatik nach mehrfach paranoid-schizophrenen Erkrankungen", "adäquat reaktive depressive Störung". Gemäß seiner Aussage vor Gericht hatte er eine entsprechende Einordnung in dem Befundbericht unterlassen, weil er "etwas gegen Schematisierung" habe. Er vertrat die Auffassung, dass die Kriterien des herkömmlichen Klassifikationssystems den vorliegenden Fall nicht angemessen erfassen könnten. Mit seiner eigenen diagnostischen Einordnung habe er zum Ausdruck bringen wollen, dass die depressive Stimmung des Geschädigten aus seiner Sicht eine adäquate Reaktion in dessen Lebenssituation darstelle.

Der Beschluss des BGH endet auf Seite 16 mit den Worten: "Seine Motivation, das eigene psychiatrische und rechtspolitische Konzept zur Sterbehilfe für psychisch Kranke zur Geltung zu bringen, brachte er auch in dem Schreiben an die Staatsanwaltschaft vom 9. September 2020 zum Ausdruck, wonach ihm dringlich an einer 'liberalen Klärung des Mängelfreiheitsbegriffs' im Kontext des Sterbewunsches von psychisch Kranken gelegen sei. Dass er die (vergütete) Begutachtung und Suizidbegleitung des Geschädigten zugleich aus Mitleid übernommen hatte, ändert hieran nichts."

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