Matusseks katholische Rumpeleien

Apologetik

Jeder verteidigt seine Sache, fragt sich nur, mit welchen Mitteln. Insgesamt könne die Kirche trotz ihrer Schattenseiten stolz auf ihre Geschichte sein, weil sie so viel Gutes bewirkt habe, meint Matussek kühn. Nun ist Geschichtsinterpretation stets mit ideologischen Fallstricken verbunden. Aber bei aller Großzügigkeit: Es gibt nicht nur die stets wiederholten Sündenkapitel kirchlicher Geschichte. Erinnert sei auch etwa an die weitgehende Vernichtung der antiken Literatur, die ständig geschürte Höllenangst, die Judenfeindschaft vom Neuen Testament bis in die Öfen von Auschwitz und sogar danach, an die jahrzehntelange herausragend grausame Verfolgung der Katharer, generell an die Missionsmethoden, an den krankhaften Dogmatismus, die brutale Unterdrückung interner Abspaltungen, allgemein die Unterdrückung freien Denkens, den rigiden weltlichen Machtanspruch. Im 20. Jh. hat die Kirche alle zahlreichen faschistischen Diktaturen in Europa und Lateinamerika entscheidend unterstützt, historisch herausragend die Ungeheuerlichkeiten des klerikalfaschistischen Ustascha-Regimes, die durch Pius XII. gebilligt und durch nachträgliche Ernennung des Hauptschuldigen und verurteilten Kriegsverbrechers Erzbischof Stepinac zum Kardinal gewissermaßen geheiligt wurden. Johannes Paul II. hat Stepinac 1998 sogar seliggesprochen und damit zum offiziellen Vorbild gemacht. Die unglaublichen und gut dokumentierten Verstrickungen der katholischen Kirche und Bevölkerung in den Genocid in Ruanda 1994 hat Matussek ebenfalls (unbenannt) mit dem vielen Guten vollständig ummantelt und mit Stolz gekrönt (S. 78).

Was ist das für ein Umgang mit Geschichte? Und was das Drama Sexualität anbelangt: Dass M. sich nicht scheut, die (unkorrekt zitierte) „Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen“ (www.vkpf.de) sogar ins Lächerliche zu ziehen (S. 204), kann man ihm wirklich übel nehmen. Natürlich sind Katholiken keine schlechteren Menschen, natürlich tun viele Katholiken viel Gutes, natürlich können Katholiken widerständig gegen „das Böse“ sein: wie Andere auch. Aber muss man deshalb die Geschichte so verbiegen?

Man könnte fast meinen, Matussek glaube den katholischen Kirchenhistorikern und Theologen alles, auch die Nichtexistenz ihrer gigantischen Auslassungen. Darauf deutet auch die Behauptung, die Kirche habe doch nun wirklich alles gegen die sexuellen Missbräuche getan (vgl. S. 47, 54 f., 71), oder die Rede von Petrus als dem ersten Papst, wo doch jedes Erstsemester in katholischer Theologie wissen sollte, dass in der (westlichen) Kirche eigentlich erst seit dem 5. Jh. von Papsttum gesprochen werden kann.

Religiöse Gefühle – gesellschaftliche Gefahren

Was für Matussek die Religion in etwa ausmacht, ist die Ergriffenheit, Trost, Hoffnung, das Mysterium, Rituale, Gebet, faszinierende Formensprache, Tradition, Heimatgefühl, Orientierung, Nächstenliebe, die Strukturierung des Alltags. All das, die Musik nicht zu vergessen, erzeugt Gefühle und Ordnung, und das hat schon was für sich. Der Rezensent kann das als mehrjähriger Ex-Ministrant bestätigen. Aber man muss halt den Verstand und die Kenntnis wichtiger Tatsachen schon kräftig wegdrücken. Auch braucht der weltliche Humanismus keineswegs gefühllos zu sein, sind doch Liebe, Mitgefühl, Freundschaft, Vertrauen usw. allesamt natürliche Phänomene. Aber um den säkularen Humanismus und eine differenzierte weltliche Ethik (Gegenstand einer wichtigen philosophischen Disziplin), um gesellschaftskritische Gemeinsamkeiten, um Religionskritik und um eine etwas nüchternere Kirchengeschichte hat sich M. offenbar noch gar nicht bemüht. Daher wird er seine Kritiker auch mit den positiven Aspekten, die das vielseitige Buch zweifellos hat, wenig beeindrucken.

Das Buch zeigt provokativ eindrucksvoll, welche skurrilen Fehlvorstellungen sich hinter prominenten und einflussreichen Köpfen verbergen können. Berührungsängste zeigt M. zwar nicht. Aber nicht in einer Zeile erwähnt er Belange Nichtreligiöser; er nimmt sie von vorneherein nur als moralische Gefahr und, überheblich, nicht als gleichberechtigte Diskussionspartner wahr. Das trägt unnötig zur Polarisierung bei und ist daher gesellschaftspolitisch gefährlich.

Gerhard Czermak

 

Matthias Matussek: Das katholische Abenteuer. Eine Provokation. München 2011, 358 S. (DVA/SPIEGEL Buchverlag; ISBN 978 3 421 04514 0), Euro 19,99.