Fundamentalismus: Aufstand gegen die Moderne

(hpd) Der Dortmunder Politikwissenschaftler Thomas Meyer, der seit 30 Jahren regelmäßig zum Thema publiziert hat, legt mit „Was ist Fundamentalismus? Eine Einführung“ eine aktuelle Gesamtdarstellung zum Thema vor.

Sie beeindruckt auf der analytischen Ebene insbesondere bezogen auf das Konfliktverhältnis Fundamentalismus und Moderne, hätte aber auch noch ausführlicherer Fallstudien zu den unterschiedlichen einzelnen Erscheinungsformen bedurft.

Spätestens seit der „islamischen Revolution“ im Iran 1979 kursiert der „Fundamentalismus“-Begriff in Öffentlichkeit und Wissenschaft der westlichen Welt. Fasst man ihn als analytische Kategorie und nicht als politisches Schlagwort auf, so lassen sich ein engeres und ein weiteres Verständnis davon unterscheiden: Ersteres meint all jene Tendenzen in Religionen, die sich auf die wortwörtliche Auslegung ihrer „Heiligen Schriften“ berufen und jegliche Reformen durch die Neuinterpretation dieser Texte ablehnen. Das weitere Verständnis von „Fundamentalismus“ dehnt das gemeinte gesellschaftliche Phänomen auch auf politische Bestrebungen aus, welche im Namen eines ideologischen Dogmas alle Anzweifelungen und Differenzen zur Seite schieben. Diese letztgenannte Auffassung vertritt auch der Dortmunder Politikwissenschaftler Thomas Meyer, der seit über 30 Jahren einschlägige Publikationen zum Thema vorgelegt hat. Auch in dem neuen Buch „Was ist Fundamentalismus? Eine Einführung“ geht er insbesondere dem Spannungsverhältnis zur Moderne nach.

So bemerkt Meyer schon auf den ersten Seiten: „In der Sache hat es Fundamentalismus seit dem Beginn der kulturellen Modernisierung als deren immanenten Gegenimpuls schon immer gegeben“ (S. 17). Der Begriff kam erst als Selbstbezeichnung einer Bewegung protestantischen Christen in den USA auf, welche in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gegen jegliche Abweichungen moderner und reformerischer Deutungen von den Bibeltexten protestierten. Spätestens nach der Revolution im Iran wurde der Begriff zu einem Synonym für Islamismus und auf seine muslimische Variante reduziert. Einschlägige Forschungen insbesondere in den USA ergaben aber, dass sich ähnliche Tendenzen mit unterschiedlicher Bedeutung in nahezu allen Kulturen und Religionen beobachten ließen. Meyer fragt nun mit seinem Ansatz danach, was eben diesen inhaltlich ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen strukturell gemeinsam ist. Er macht diese Einstellung in einer Frontstellung gegen die Moderne und deren Umgang mit Differenzen aus:

„Das mit der Entfaltung der modernen Kultur überwunden geglaubte kulturelle Vormachtstreben, das Politische der eigenen kulturellen Identität auf der Basis absolut gesetzter Gewissheitsansprüche und dann der Gegensatz zur kulturellen Identität der anderen, erlebt nun seit den 1970er Jahren in nahezu allen Teilen der Welt eine ebenso unverhofft wie machtvolle Renaissance“ (S. 24). Diese Entwicklung deutet Meyer als einer der Moderne immer eigenen immanenten Gegenentwicklung, als eine durchaus moderne Gegen-Moderne, die das Bestehen von Differenzen und Zweifel und den Verlust von Dogmen und Gewissheiten nicht mehr ertragen kann. Wie formal und strukturell ähnlich die gemeinten Phänomene sind, veranschaulicht der Autor anhand eines kurzen Vergleichs des christlichen Fundamentalismus in den USA und des Hindu-Fundamentalismus in Indien. Darüber hinaus skizziert er auch nicht-religiös geprägte Spielarten wie etwa den Ethno-Fundamentalismus der „Rechten“ oder den säkularen Gemeinschaftsfundamentalismus der „Linken“.

Meyers Fundamentalismus-Band beeindruckt durch die starken analytisch-theoretischen Komponenten, wobei er immer wieder auf das Spannungsverhältnis von Fundamentalismus und Moderne abstellt. Bezogen auf Letztere wird auch klar hervorgehoben, dass es sich hierbei um universelle und nicht nur westliche Prinzipien handelt. Über die Betonung dieses Spannungsverhältnisses gelingt es Meyer, wichtige Aussagen über die Ursachen für das Aufkommen derartiger Bestrebungen zu formulieren. Und auch mit seinen „Ideal-Typen des Fundamentalismus“ (vgl. S. 70-72) leistet der Autor einen wichtigen Beitrag zur weiteren Analyse. Kritikwürdig ist demgegenüber die doch mitunter zu abstrakte und theoretische Darstellung, handelt es sich doch im streng genommen Sinne nicht um eine wirkliche „Einführung“. Gegen Ende des Textes schweift der Autor auch vom eigentlichen Thema ab. So interessant die Ausführungen zu Parallelgesellschaften und Populismus sind, sie gehören eigentlich nicht direkt zum Thema „Fundamentalismus“.

Armin Pfahl-Traughber

 

Thomas Meyer, Was ist Fundamentalismus? Eine Einführung, Wiesbaden 2011 (VS Verlag für Sozialwissenschaften), 163 S., 19,95 €