Kunst und das Heimweh nach Gott
Mit zum Beeindruckendsten in der Ausstellung gehört sicherlich die Dokumentation „Amen! Die Kunst und ihr Heimweh nach Gott“. Julia Benkert begleitet in ihrem Film Pater Friedhelm Menneke bei Künstlerbesuchen in der ganzen Welt. In Danzig besuchen sie Dorota Nieznalska. Ihr Kunstwerk „Passion“ – es zeigt einen Penis auf einem Kreuz – sorgte 2002 nicht nur in Polen für Aufsehen. Im Interview sagt die Künstlerin, Katholizismus und Glaube bedeute für sie „Zwang und Unterdrückung“. Bis heute sieht sich Nieznalska massiven Angriffen ausgesetzt, man wirft ihr „Verhöhnung der Religion“ vor.
Eine weitere Station im Film von Julia Benkert ist die Regensburger Ausstellung „Der katholische Faktor“. In der entweihten Minoritenkirche hat Christian Schnurer ein Weihrauch-Pendel installiert, zusammengebaut aus Teilen einer Fliegerbombe, das nun über den Köpfen der Besucher schwebt. Aus Benjamin Bergmanns „Box von Jericho“ – einem gigantischen Boxenturm – dröhnen tiefe Bassklänge und Beate Engel hat goldene Lautsprecher installiert, aus denen amerikanische Präsidenten das Volk auf Gott einschwören.
In der Krypta des Salzburger Doms spricht Menneke mit dem französischen Künstler Christian Boltanski. In seinem „Schattenspiel“ beschäftigt er sich mit den Themen Zeit, Vergänglichkeit und Tod. Er fragt sich „Wie kann man beten, wenn Gott die Shoa akzeptiert hat?“
Mitten im hektischen Zentrum New Yorks besucht Pater Menneke Bill Viola, den „Meister der Verlangsamung“. In seiner Ausstellung „Bodies of Light“ zeigt der Künstler geheimnisvolle Metamorphosen. In den Videos werden menschliche Körper Schicht für Schicht durchleuchtet, sie verwässern, werden transformiert, in andere Zustände versetzt. Viola versteht seine Kunst als mystisch. In seinen Metamorphosen will er das Unsichtbare sichtbar machen. Religion sei für ihn ein zentrales Element der menschlichen Natur; Staunen und Angst seien Antrieb für jede Wissenschaft.
Von Catherine Millet, Chefredakteurin der Kunstzeitschrift art press, erfährt der Besucher im Film, dass sie „Piss Christ“ – ein Foto von Andres Serrano, das ein Plastik-Kruzifix im Urin des Künstlers schwimmend zeigt – ansprechender und ästhetischer findet als manch mittelalterliches Gemälde, beispielsweise „Christus am Kreuz“ von Matthias Grünewald.
Die aufregendsten, intensivsten, vielleicht verstörendsten Bilder der Dokumentation sind wohl die Bilder des sechstägigen Orgien-Mysterien-Theaters des österreichischen Künstlers Herman Nitsch. Blut, Schlachten, Ausweiden, Opfern, Glockengeläut – dazu Blasmusik. Seit seiner Jugend fasziniere ihn die Idee des Blutopfers als religiöses Ritual. Ihn interessiere der sinnliche Exzess des Opfers, es gehe um eine spirituelle Erfahrung, in der unterbewusste Bedürfnisse nach Grausamkeit zum Ausdruck gebracht werden. Für die Akteure sei das „Orgien-Mysterien-Theater“ häufig eine Katharsis, das intensivste Erlebnis ihres Lebens.
Letzte Station im Film ist die Münchner Ausstellung „Belief unlimited“, die besonders durch Rabi Georges „Madonna mit Kind“ für Aufsehen sorgte. Es zeigt eine stillende Madonna, verhüllt von einer schwarzen Burka, mit geröteter Brust, auf dem Arm das Jesuskind.
Kaleidoskopartig zeigt der Film künstlerische Annäherungen an die Frage nach Gott und Religion. Was für den Film gilt, gilt für die gesamte Ausstellung. Sie gibt keine letztgültigen Antworten, sondern Impulse, Inspiration, Ideen.
Begleitende Veranstaltungen
Die Ausstellung wurde und wird ergänzt durch zahlreiche vielbeachtete Veranstaltungen. Im August gab es – bei Regenwetter – die Komödie „Glauben ist alles!“ zu sehen, eine Woche später – unter klarem Sternenhimmel – die legendäre Satire-Dokumentation„Religulous“. Das ACC-Restaurant hat die Ausstellung mit „Götterspeisen“ kulinarisch begleitet und verschiedene religiöse Rezepte und göttliche Gerichte auf die Karte gesetzt. Veranstaltungsthemen waren unter anderen „Mother Monster“ – wie Lady Gaga in ihren Performances christliche Symbole aufgreift, „Gott und Gaumen“ – Essen und Trinken in der christlichen Religion oder „Religion – ein menschliches Bedürfnis?“. Am 27. August hat Michael Schmidt-Salomon im Rahmen der Ausstellung einen Vortrag gehalten: „Glaubst Du noch oder denkst Du schon?“
Die Reaktionen der Besucher auf Ausstellung und Veranstaltungen sind bislang unterschiedlich ausgefallen. Ausstellungsleiter Motz sagt, es gebe Besucher, die wie elektrisiert fünf Stunden in der Ausstellung blieben und keinen Film, kein Kunstwerk ausließen, andere seien dagegen enttäuscht – ihnen sei die Schau zu bizarr und verstörend, düster und diffus, weil sie erwartet hätten, eine solche Ausstellung käme ohne Hass, Brutalität und das Böse aus. Leider lehre die Realität aber, so Motz, dass sich Gewalt, Verzweiflung und Angst oft auf religiöse Motive stützten.
Die Ausstellung „What happened to God?“ ist noch zwei Monate zu sehen – bis zum 31. Oktober, täglich 12-18 Uhr, freitags und samstags bis 20 Uhr. Wer mitreden möchte, ist zu der ausstellungsbegleitenden Reihe „plus“ eingeladen. Laut Kurator Frank Motz soll die Ausstellung später auch in Leipzig gezeigt werden.
Frederik Beyer
(gbs mittelthüringen)
Auf eine der nächsten Veranstaltungen sei besonders hingewiesen: „Evangelikale – Glaube und Wirkung“, ein Vortrag von Sebastian Wamser von der humanistischen Hochschulgruppe Marburg. Am 11. September 20 Uhr. Mehr zu Ausstellung und Veranstaltungsreihe hier.