KÖLN. (hpd) Passend zum bevorstehenden Papstbesuch und zur Frage nach der zu beobachtenden Fundamentalisierung der Katholischen Kirche hielt Arnd-Matthias Langner auf Einladung der gbs-Regionalgruppe Köln-Bonn-Düsseldorf hin am 15. September 2011 im Horizont-Theater in Köln einen Vortrag mit dem Titel: „Die Piusbrüder! – Und der Papst?“
Stellen Sie sich folgende politische Agenda vor:
* Kein Wahlrecht für Frauen
* Auflösung politischer Parteien
* Todesstrafe
* Pressezensur
* Keine Religionsfreiheit
* Verfolgung von Homosexualität und nicht-ehelichen heterosexuellen Beziehungen
Eine Beschreibung der Menschenrechtslage in Saudi-Arabien? Forderungen von fanatischen Islamisten oder einer verbotenen rechtsradikalen Partei?
Nein. Es sind Forderungen von Amtsträgern einer deutschen Körperschaft des öffentlichen Rechts, die als solche weitgehende staatliche Privilegien genießt und sich daher eigentlich im Gegenzug dazu zur Verfassungstreue verpflichtet fühlen sollte. Bei dieser Körperschaft handelt es sich um die Katholische Kirche.
Die Priesterbruderschaft St. Pius X., kurz Piusbruderschaft oder Piusbrüder, war vor der Aufhebung der Exkommunikation lediglich eine besonders „unappetitliche“ reaktionäre Sekte. Seit 2009 ist sie aber dank päpstlicher Huld ein integraler Bestandteil der Katholischen Kirche. Von Piuspriestern gehaltene Gottesdienste erkennt die Katholische Kirche als gültig und vollwertig an, obwohl sie von der Teilnahme daran abrät: man genügt damit der „Sonntagspflicht“.
Die oben genannten Forderungen erheben die Piusbrüder, mit stillschweigender Duldung des Papstes Benedikt XVI., öffentlich: in Schriften und im Internet.
Dies geschieht seit Jahren ohne jedes wahrnehmbare Medienecho.
Man reibt sich verwundert die Augen, dass lediglich dem unsäglichen Bischof und Holocaust-Leugner Richard Williamson etwas medialer Gegenwind um die Nase wehte, denn dieser ist kein Einzeltäter, sondern typisch für seine Organisation.
Arnd-Matthias Langner, Diplom-Ingenieur mit der Philosophie als Steckenpferd, hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Piusbruderschaft auseinandergesetzt. Alle von ihm zitierten Dokumente sind im Folgenden genau benannt und sowohl in Druckversion als auch online verfügbar. So kann jeder die Passagen im Kontext nachlesen und feststellen, dass dieser stets genau zur Aussage des Zitats passt.
In der Einführung erklärte Langner, dass es sich bei der Piusbruderschaft um einen Zusammenschluss von Klerikern innerhalb der Katholischen Kirche handelt, der keinen offiziellen kanonischen Status hat, wie beispielsweise das Opus Dei als Personalprälatur.
1970 von Erzbischof Marcel Levebvre gegründet, waren die Piusbrüder primär als eine Vereinigung konservativer Katholiken bekannt, die am überlieferten tridentinischen Messritus festhielten und wesentliche Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnten; sie wurden gemeinhin also als ein eher „harmloser Traditionalistenverein“ wahrgenommen.
Wie falsch diese Wahrnehmung jedoch war, wurde dem Zuschauer im Folgenden klar...
Viele der von Langner anhand von Zitaten vorgestellten Ansichten, die beim Zuschauer nur ungläubiges und entsetztes Kopfschütteln hervorriefen, sind aber tatsächlich kein „selbst gekochtes Süppchen“ der Piusbrüder, sondern vorkonziliare Glaubenslehre der Katholischen Kirche, die zum Beispiel aus den Enzykliken der Pius-Päpste begründet werden kann – daher auch der Name der Bruderschaft.
1988 führten nach kanonischem Recht unzulässige Bischofsweihen zur Exkommunikation. Davon waren jedoch ausschließlich zwei weihende und vier geweihte Bischöfe betroffen – einfachere Priester und Gläubige waren zu keiner Zeit exkommuniziert.
Anhängerschaft
2010 hatte die Piusbruderschaft nach eigenen Angaben weltweit 534 Priester und 210 Seminaristen. Die Zahl der Seminaristen im Verhältnis zu den Priestern zeigt, dass es im Gegensatz zu den Seminaren des katholischen Mainstreams bei den Pius-Priestern keinen Nachwuchsmangel gibt.
Zur Anzahl der Gläubigen gibt es divergierende Angaben von weltweit 100.000 bis 600.000. Die Zahl ist schwer zu schätzen, da die Piusbruderschaft stets ein Teil der Katholischen Kirche war, nie eine eigene Religionsgemeinschaft.
Auch die exkommunizierten Bischöfe verloren zu keinem Zeitpunkt die Kirchenmitgliedschaft; sie wird nach katholischer Lehre mit der Taufe unverlierbar erworben.
Die Piusbrüder betreiben in mehreren Bundesländern mit dem Placet der dortigen Schulbehörden fünf Privatschulen und erhalten dafür staatliche Zuschüsse in Millionenhöhe.
Dazu gehört u.a. in NRW das St. Theresien-Gymnasium in Schönenberg unweit von Siegburg bei Bonn. Die übrigen Schulen sind fast alle Grundschulen, vermutlich eingedenk der Erkenntnis, dass sich Kinder im frühen Alter am besten indoktrinieren lassen.
Langner erklärte, dass er extra, bis auf ein einzelnes Zitat, auf die Darstellung von Aussagen von Seiten Williamsons verzichtet habe, da die Annahme bestehen könne, dass es sich bei ihm nur um ein „Schwarzes Schaf“ handele. Er wählte daher hauptsächlich Zitate von zwei in der Organisation unumstrittenen und nicht in Kritik stehenden leitenden Mitgliedern, deren Meinung als repräsentativ für die Organisation gelten kann: Von Pater Franz Schmidberger, dem Distriktoberen für Deutschland, also dem „Deutschlandchef“ der Piusbruderschaft und Pater Gaudron, „Beauftragter der Piusbruderschaft für den theologischen Disput“, also im Wesentlichen Chefdogmatiker und Sprecher bei Verhandlungen mit dem Vatikan, zudem die rechte Hand von Bischof Fellay, dem Chef der Piusbrüder.
Menschenrechte
„Die modernen Menschenrechte haben zweifellos die Intention, die Gottesrechte abzuschaffen und den Menschen an die Stelle Gottes zu setzen. Das führt zwangsläufig dahin, daß es überhaupt keine unantastbaren Normen mehr gibt sondern alles der Willkür und dem Egoismus des Menschen ausgeliefert wird. … Die Menschenrechte entspringen einem zutiefst egoistischen Rechtsdenken.“ „Wegen der falschen Weise, die Grundrechte festzulegen, werden heute auch falsche Rechte als Menschenrechte propagiert. Dies sind vor allem die Gewissens- und Religionsfreiheit sowie die Meinungs- und Pressefreiheit (Art.18 und 19 der UNO-Menschenrechtserklärung).“ Gaudron in der Zeitschrift CIVITAS, Heft 2/2008, S. 51 und 54
Demokratie
Natürlich hat Pater Gaudron auch diese weitere antichristliche Ausgeburt der Aufklärung im Visier:
„Ein weiteres falsches Menschenrecht ist das Recht auf Demokratie. Es gibt kein Grundrecht auf Demokratie, wie heute oft behauptet wird, denn auch die Monarchie und Aristokratie sind mögliche und menschenwürdige Staatsformen.“ Gaudron in CIVITAS, Heft 2/2008, Seite 54
Wenn es kein Grundrecht auf Demokratie gibt, sind politische Parteien, die ohnehin nur zum Zwist führen, ebenfalls überflüssig, meint wenigstens Pater Schmidberger:
„Darüber hinaus kann man sich fragen, ob die Parteien wirklich zum Wohl eines Volkes seien oder nicht vielmehr zu dessen Spaltung beitragen.
Könnten nicht an ihre Stelle jene christlichen Männer treten, die sich durch sittliche Reife und Lebenserfahrung, durch Gerechtigkeitssinn und Sorge um das Gemeinwohl auszeichneten?“ Schmidberger in CIVITAS, Heft 1/2007, Seite 44
Männer! Da ist der Mann halt noch ein Mann und es gilt: "Mulieres in ecclesiis taceant non enim permittitur eis loqui sed subditas esse sicut et lex dicit." (Die Frauen sollen schweigen in der Gemeindeversammlung, denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt. 1 Kor 14,34, lateinischer Text Vulgata, deutscher Text Luther 1984)
Auch das Wahlrecht soll eine Reform erfahren, „one man, one vote“ ist ebenso unchristlich wie das Frauenwahlrecht, da, wie oben aus der Heiligen Schrift zitiert, laut Paulus das Weib schweigen soll, in der Kirche wie in der Politik. Entscheiden sollen in erster Linie Familienväter, wobei hier auch noch eine Differenzierung des Gewichts der Stimme erfolgen sollte. Denn der Unternehmer trägt schließlich mehr Verantwortung als sein Lehrling:
„Entspricht der heutige Grundsatz „jeder Wahlberechtigte hat ein und dieselbe Stimme“ (one man one vote) wirklich der Naturordnung? Ein Familienvater hat mehr Verantwortung und normalerweise auch eine tiefere Einsicht in das Wohl der Gesellschaft als sein eben volljährig gewordener Sohn; ein Unternehmer mit tausend Angestellten trägt mehr Verantwortung als sein jüngster Lehrling. Würde nicht ein wesentlich auf die Familienober-häupter abgestütztes Wahlrecht der Familie als Zelle der Gesellschaft eine ganz andere Stellung verleihen?“ Schmidberger in CIVITAS, Heft 1/2007, Seite 44ff.
Religionsfreiheit
„Da es nur eine wahre von Gott gestiftete Religion gibt, verbietet sie [Anmerkung: die Regierung eines christlichen Staates] falsche Religionen und Kulte oder duldet diese allenfalls nach den Grundsätzen der Klugheit, ohne ihnen jemals ein Naturrecht auf Existenz zuzugestehen.“ ...
„Falsche Religionen und Irrtümer haben nie Rechte, sondern können allenfalls toleriert werden. Es gibt also kein Recht, eine falsche Religion auszuüben oder einen Irrtum zu verbreiten. Es ist Unfug, zu behaupten, jeder habe das Recht, ungestraft alle Arten von Irrtümern und Lügen zu verbreiten. Der Staat muß seine Untertanen vor dem Irrtum schützen.“ Schmidberger in CIVITAS, Heft 1/2007, Seite 45
Todesstrafe
Wie sieht es dann mit dem der Katholischen Kirche so heiligen Recht auf Leben aus? Obwohl das Lebensrecht vor Ausbildung eines zentralen Nervensystems empfindungsloser Embryonen ohne wenn und aber bedingungslos heilig ist, sie sogar ab ovo den Status von Kindern erhalten, sieht Pater Gaudron das bei den zu bewussten Empfindungen fähigen Personen differenzierter:
„Der Mensch kann das Recht auf Leben aber verwirken. Wegen schwerer Verbrechen kann die rechtmäßige Autorität die Todesstrafe verhängen. Diese handelt hier als Stellvertreter Gottes…“ Gaudron in CIVITAS, Heft 1/2008, Seite 51
Auch hier sekundiert Kollege Schmidberger. Er kann der Todesstrafe sogar noch ein zusätzliches seelsorgerisches Moment abgewinnen, die Förderung von Last-Minute-Bekehrungen auf dem Schafott – an Zynismus kaum zu überbieten:
„Die Strafe hat zunächst einen vindikativen (rächenden) Charakter…
Die Todesstrafe für Schwerverbrecher (Mord, Drogenhandel) trägt diesen rächenden Charakter in sich und führt viele Schuldige nach dem Zeugnis von Gefängnisseelsorgern zur Bekehrung.“ Schmidberger in CIVITAS, Heft 1/2007, Seite 45 f.
Selbst das alttestamentarische ius talionis „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ wird somit an Grausamkeit noch überboten, denn die Todesstrafe gibt es auch für Delikte ohne Leiche.
Es stellt sich wirklich die Frage, ob Pater Schmidberger eine Ausgabe des Grundgesetzes besitzt und, falls ja, ob er sie ebenfalls so liest wie Descartes, Hume, Kant oder Hegel: als eine Krankheit, gegen die es eine Therapie zu finden gilt. Eine Unterstellung, eine polemische Übertreibung? Lesen Sie selbst...
Erziehungsgrundsätze an Schulen der Piusbruderschaft
„Darf man zum Beispiel nicht- oder sogar antikatholische Autoren lesen? Ja! Der katholische Lehrer muß ab und zu … die Hauptirrlehren unserer Zeit erklären. Der christliche Schüler muß sie kennen, weil er sich oft mit ihnen wird auseinandersetzen müssen. Heutzutage darf ein gebildeter Christ nicht so tun, als ob Luther, Descartes, Hume, Kant, Hegel, Sartre, usw. nicht gelebt hätten. Er muß von diesen Lehren wenigstens gehört haben und sie beurteilen können. … Wenn der Lehrer diese Theorien erklärt, dann nicht, um sie zu loben und noch weniger um sie anzunehmen. Wenn der Schüler sie lernen muß, so macht er es genauso wie der Medizinstudent, der die Krankheiten studiert. Wenn der Arzt die Krankheiten kennen und verstehen will, dann sicher nicht, um selbst krank zu werden, sondern um die Krankheiten bekämpfen zu können!“ Mitteilungsblatt Juli 2005, Seite 24
Totalitäres System
„Eine christliche Gesellschaftsordnung anerkennt auf zivilem Gebiet selbstverständlich die Eheschließung vor der Kirche, sie kennt insbesondere keine zivile Ehescheidung. Die Unauflöslichkeit der Ehe ist sogar einer ihrer Grundpfeiler. Folglich sagt sie dem Konkubinat wie auch den vorehelichen und außerehelichen Beziehungen den Kampf an. Sie unterbindet den Vertrieb von empfängnisverhütenden Mitteln. Ebenso verbannt sie Gotteslästerung, Homosexualität und Pornographie aus dem öffentlichen Leben; sie bestraft die Abtreibung und verwirft die Euthanasie wie die Drogen. Auch schließt sie Freimaurerlogen und verbietet Geheimgesellschaften.“ Schmidberger in CIVITAS, Heft 1/2007, Seite 44 f.
Es gab schon solche vorbildlich christlichen Gottesstaaten: in den Schriften der Piusbruderschaft werden häufig rechtstotalitäre Diktaturen als christliche Idealstaaten mit Vorbildcharakter empfohlen: Der austrofaschistische Ständestaat unter Dollfuß, die Diktatur des General Franco in Spanien und das Salazar-Regime in Portugal.
Frauenbild
Eine Frau hat nach Ansicht der Piusbruderschaft in erster Linie Hausfrau und Mutter zu sein und dem „Familienoberhaupt“ die lästige Hausarbeit abzunehmen.
Nach Meinung der Piusbruderschaft ist übrigens etwa jeder Dritte zu einem Priester- oder Ordensberuf als Nonne oder Mönch berufen. Da muss zahlreiche Nachkommenschaft her, um die – zumindest in der Theorie zölibatären – Ausfälle zu ersetzen. So müssen die Frauen sich natürlich ganz schön ins Zeug legen, was die Produktion von Nachwuchs angeht, Zeit für Berufstätigkeit bleibt da nicht mehr. Jede Form der Kinderbetreuung, Horte, Kindergärten, die einer Frau Mutterschaft und Beruf ermöglichen, werden von den Piusbrüdern als sozialistische Attacke auf die Familie diffamiert, die nur ein Ziel habe: die Zerstörung der Familie und die Umerziehung der Kinder.
Das ist aus Sicht der Piusbrüder auch nachvollziehbar, denn was ein Kind außerhalb der Mauern des Elternhauses kennenlernt, ist Pluralismus. So werden sie vorzugsweise bis zum sechsten Lebensjahr zuhause gehalten und dann, wo in örtlicher Nähe vorhanden, bei einer Pius-Grundschule zusammen mit anderen Kindern aus Pius-Elternhäusern angemeldet.
Die Frau hat kein Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper und die eigene Fruchtbarkeit (Verhütung, Abtreibung).
Hochschulbildung für Frauen ist unnötig, bringt sie nur auf „dumme Gedanken“ und macht sie aufmüpfig. Der Skandalbischof Williamson (hier das eine Zitat) begründet, warum Frauen keinen Universitätsabschluss erwerben sollten:
„Wenn ein Mädchen [sic! - es fällt auf, dass Williamson erwachsene junge Frauen als Mädchen bezeichnet] mehrere Jahre ihrer Jugend und viel Geld ihrer Eltern darauf verwendet, eine Universitätsausbildung zu erwerben, speziell eine gute, wie einfach wird sie sich dann ihrem Ehemann unterwerfen, besonders wenn er ihren Ausbildungsstand nicht hat? Wird sie mit ihm nicht kontrovers diskutieren, wenn er ihn hat? Und wenn sie einen „akademischen Abschluss“ hat, wie kann sie sich dann nicht erhaben denken über die vielfachen Erniedrigungen, „barfuß und schwanger“ zu sein. Und wenn sie eine „Akademikerin“ ist, wie kann sie sich dann nicht als etwas Besseres fühlen, als ein „Gemüse an der Küchenspüle“?“ Richard Williamson; Letters to Friends and Benefactors, Winona 1.9.2001
Langner hatte den englischen Ausdruck „vegetable at the kitchen sink“ zunächst für ein englisches Idiom gehalten, etwa die Entsprechung zum deutschen „Heimchen am Herd“. Dies stellte sich jedoch als Irrtum heraus und er musste nach Konsultation mehrerer Wörterbücher feststellen, dass Williamson diesen Ausdruck anscheinend selbst geprägt hat. Langner ist auch nicht bekannt, dass sich die Piusbruderschaft von diesem Statement des Herrn Williamson distanziert hätte!
Geschlechterrollen
Ein aktueller Artikel aus der September-Ausgabe des „Mitteilungsblatt der Priesterbruderschaft St. Pius X.“ belehrt uns, dass wir „Geschlechtsaufweichung“ betreiben, wenn wir Mädchen technische Spielzeuge in die Hand geben und sie ermutigen, sich gegen die Jungs durchzusetzen.
Kann es überhaupt noch ein reaktionäreres Menschen- und speziell Frauenbild geben?
Langner machte hierzu einen kurzen Exkurs in seine Berufswelt: Man höre täglich in den Medien die Klagen über den Fachkräftemangel im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Diese seien berechtigt, wir leisteten uns in Deutschland aber trotzdem den Luxus, das Potential von 50% unserer Kinder und Jugendlichen zu vernachlässigen - das der Mädchen.
An den deutschen Standorten der Firma, in der er tätig ist, läge die Frauenquote im Ingenieurbereich bei etwa 8%. Da sei weder Frauenfeindlichkeit noch böser Wille im Spiel: mehr gäben die deutschen Universitäten und der Arbeitsmarkt einfach nicht her. An ihren indischen Standorten läge die Quote bei der Firma hingegen bei ca. 45% Ingenieurinnen. Und, wie er sagte: verdammt gute!
Sein Fazit: Gebt den Mädels Baukästen und Experimentierkästen, führt sie schon im Kindergarten spielerisch an Technik heran: als Industrienation werden wir im globalen Wettbewerb nur mit den Ideen von übermorgen erfolgreich bleiben - nicht mit den Ideologien von vorgestern!
Liberalismus
„Diese Ablehnung der Wahrheit geht aus einem falschen Verständnis der Freiheit hervor ... Es ist das Freiheitsverständnis der Aufklärung und der Französischen Revolution. Freiheit besagt hier so viel wie weitestgehende Willkür des Einzelnen, die ihre Schranken nur in der Freiheit des Anderen findet. … Der liberale Staat erlaubt alles. Die skurrilste Sekte, die verrückteste Meinung wird 'respektiert', denn das höchste aller 'Menschenrechte' ist die Meinungsfreiheit.“ Dr. Rafael Hüntelmann in Mitteilungsblatt 1/2010, Seite 25
In den Schriften der Piusbruderschaft finden wir, dass Freiheit einzig und allein die Freiheit zum Finden und Annehmen der einzigen Wahrheit ist – der des vorkonziliaren katholischen Konservativismus – alles andere ist zu bekämpfender Missbrauch der Freiheit. Meinungsfreiheit ist nur Freiheit zur Verkündung der einzigen Wahrheit.
Aber - in einem hat der Autor ja doch Recht. Ja, der liberale Staat erlaubt beinahe alles. Die skurrilste Sekte, die verrückteste Meinung, sogar die der Piusbrüder!
Um es noch einmal zu betonen: Die hier aufgeführten Zitate sind keine „Rosinenpickerei“ besonders übler verbaler Entgleisungen der Piusbrüder, sondern beispielhaft und typisch für ihre Ideologie.
Zu empfehlen ist auch die Lektüre weiterer Ausgaben der Zeitschrift CIVITAS, die der Piusbruderschaft nahe steht und in der hochrangige Mitglieder der Bruderschaft regelmäßig publizieren. (Alle Ausgaben der Zeitschrift CIVITAS sind online verfügbar. Die in den Quellenangaben genannten Seitenangaben der Seitennummerierung folgen der Printausgabe. PDF-Reader zählen das Titelblatt und Ähnliches als Seite mit und liefern daher abweichende Ergebnisse.)
Eine weitere wahre Fundgrube: Die Mitteilungsblätter der Piusbruderschaft, besondere Highlights sind die Mitteilungsblätter Januar und Mai 2010, wo noch Drastischeres zu finden ist, z.B. unverblümte antijüdische Hetze.
Der Skandal
Fast alle hier aufgeführten Äußerungen stammen aus der Zeit vor der Rücknahme der Exkommunikation durch Papst Benedikt XVI. und sind selbst bei oberflächlicher Recherche leicht aufzufinden.
Herr Joseph Ratzinger war, vor seiner Wahl zum Papst, Präfekt der „Vatikanischen Glaubenskongregation“, einer Organisation, die aus der Heiligen Inquisition hervorgegangen ist und deren Aufgabe es bis heute ist, Ketzer und Abweichler von der reinen Lehre zu verfolgen.
Er dürfte daher einer der Kirchenmänner mit den gründlichsten Detailkenntnissen über Lehre und Gesinnung der Piusbrüder sein.
Er hat also sehr wohl gewusst, was er tat, als er die Piusbrüder rehabilitierte, bezeichnenderweise aber z.B. nicht den Theologen Küng.
Dies legt den Schluss nahe, dass Todesstrafe und die Ablehnung der Menschenrechte, freier Wahlen sowie der Religions- und Meinungsfreiheit nach Meinung dieses Papstes anscheinend mit der katholischen Lehre vereinbar sind. Sonst hätte eine Rehabilitierung der Piusbischöfe kaum stattfinden können.
Der Unterschied zu den Missbrauchsfällen: in diese und deren innerkirchliche Vertuschung, die hohe Aufmerksamkeit in den Medien erhielten, waren einzelne Kirchenvertreter verwickelt. Sie waren aber kein grundsätzliches, systemimmanentes Problem der Organisation Kirche, sie wurden von der Organisation gedeckt, aber nicht gewollt oder gar gefördert.
Mit der Rehabilitation der Piusbrüder baut dagegen eine staatlich privilegierte Kirche offensichtlich bewusst und vorsätzlich eine bekanntermaßen verfassungs- und menschenrechtsfeindliche „Elitetruppe“ als Speerspitze eines fundamentalistischen Katholizismus auf.
Die oberste Leitung dieser Kirche ist nicht – wie bei den Missbrauchsfällen – durch Wegschauen schuldig geworden: hier geht es um aktives Handeln und Fördern von Verfassungsfeinden.
Denn wie anders als „Verfassungsfeinde“ sollte man eine Gruppierung nennen, die wesentliche Menschen- und Bürgerrechte, wie sie in der UN-Menschenrechtsdeklaration und in unserem Grundgesetz garantiert werden, aktiv bekämpft, wenn auch vorerst „nur“ durch Worte.
Das ist der eigentliche Skandal, und dieser Skandal ist systemimmanent.
Langner erzählte, er habe in dieser Sache letztes Jahr eine sehr freundliche E-Mail an den Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Herrn Fürst, geschrieben und um Aufklärung gebeten. Die Antwort: Schweigen.
Was sagen Staat und Behörden?
Die hier dargestellten Positionen zu Demokratie und Menschenrechten, Todesstrafe, Glaubens- und Pressefreiheit stehen in offensichtlichem Widerspruch zum Grundgesetz. Ein Fall für den Verfassungsschutz?
Langner hatte sich in Vorbereitung des Vortrags auch einmal die Homepage der NPD „angetan“. Dort fände sich viel krudes Zeug und einige Belege übler Intoleranz, aber die NPD sei meilenweit von solchen Aussagen entfernt, wie er sie den Zuhörern aufgezeigt habe. Vorstand und Mitglieder der NPD, selbst wenn sie möglicherweise ähnlich denken sollten wie die Piusbrüder, wüssten wohl sehr genau, dass auch nur ein oder zwei solcher unmissverständlich verfassungsfeindlicher Äußerungen auf ihrer Homepage die Debatte um ein Verbotsverfahren erneut befeuern würden.
Gleiches Recht für alle? Offensichtlich nicht: er erzählte, dass er im März dieses Jahres eine E-Mail in Sachen Piusbruderschaft an das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg geschickt habe.
Reaktion? Keine!
In der dem Vortrag folgenden Diskussion kam natürlich sofort die Frage auf, wie es denn zu diesem Verhalten des Verfassungsschutzes und der Medien kommen könne.
Langner gebrauchte hier den Ausdruck des „Artenschutzes“, den die Kirche in Deutschland einfach genösse.
Man war sich im Publikum einig, dass man aufgrund der Tatsache, dass der Papst, neben der Rehabilitierung der Piusbruderschaft auch das Opus Dei und den Exorzismus stärkt, davon ausgehen kann, dass er den Aufbau eines stramm konservativen „Elitebataillons“ und eine reaktionäre Neupositionierung der Katholischen Kirche anstrebt.
Auf Nachfrage erklärte Langner, dass die Brüder in Frankreich, Deutschland und den USA zahlenmäßig am stärksten vertretenen seien.
Auch auf die etwas sachfremde Frage, die sich auf ein ebenfalls von ihm präsentiertes antisemitisches Zitat Schmidbergers bezog: warum eigentlich immer die Juden als „Christusmörder“ angeklagt würden, obwohl es doch die Römer waren, die ihn hinrichteten, konnte er antworten: Da zur Zeit des frühen Christentums der neue Glaube in viel höherem Maße Zuspruch bei Römern als bei Juden fand, die ärgerlicherweise meist an ihrem Glauben festhielten, sei es nicht opportun gewesen, den Römern seine Hinrichtung anzulasten. So einfach ist das...
Zur Frage, warum die SPD-Führung sich so schwer damit täte, eine Gruppierung der Laizisten in ihren Reihen zuzulassen und die Lücken im Bundestag bei der Papstrede sichtbar sein zu lassen, führte ein SPD-Mitglied aus, dass in der SPD der Prozentsatz der Kirchenmitglieder höher sei, als der in der Gesamtbevölkerung.
Man staunte.
Aber eine gute Nachricht gibt es auch noch: Nachdem eine Juristin aus dem Publikum Langner den Tipp gab, dass er es beim Verfassungsschutz noch einmal mit einer Nachfrage gemäß Informationsfreiheitsgesetz versuchen könne, will er nun doch noch einmal einen Versuch starten.
Man kann gespannt sein, ob er nun endlich einmal Antwort erhalten wird...
Der besondere Dank an diesem Abend galt dem Referenten, der nicht nur keine Mühe gescheut hat, die unsäglichen Aussagen aufzustöbern, genau zu recherchieren und zu belegen, sondern es auch ertragen hat, sich in diese reaktionären „Gedanken“-Welt einzulesen, die eigentlich Erheiterung auslösen müsste, wäre die Sache nicht so ernst.
Nicht zuletzt ergibt sich aus dem Wissen, welch schlimme Gruppierung – und mit ihr deren Weltbild – der Papst rehabilitiert hat, im Grunde genommen die staatsbürgerliche Verpflichtung, bei der Rede des Herrn Ratzinger vor dem Bundestag durch demonstrative Abwesenheit zu glänzen.
Constanze Cremer