Darstellung Luthers in Öffentlichkeit und Medien
Wie gehen nun die EKD und die evangelischen Christen mit diesem Teil des Lebensweges ihres Kirchenvaters und seinen „beschämenden Aussagen zu den Juden“ um? Wie ist die Darstellung Martin Luthers in der Öffentlichkeit und wie informiert ist diese Öffentlichkeit über den „späten Luther“ und seine Wirkung auf den Nationalsozialismus?
Die 500-Jahr-Feier der Reformation im Jahre 2017 ist die erste Jahrhundertfeier nach Auschwitz und das Thema „Luther und die Juden“ hat einen verschärften Stellenwert in der Beurteilung von Luthers Lebenswerk gegenüber Feierlichkeiten vor 1933. Die der breiten Öffentlichkeit zugängliche Information über Martin Luther ist erschreckend einseitig auf Reformation, Bibelübersetzung und Theologie beschränkt. Es ist einfach, Luthers Judenhass auszublenden, wenn man sich nur auf seine ersten 45-50 Lebensjahre beschränkt. Genau dies wird systematisch getan.
Am 30. Oktober 2003 kam der Kinofilm „Luther“ unter der Regie von Eric Till in die Filmtheater. Neben Joseph Fiennes als Luther haben so bekannte Schauspieler wie Sir Peter Ustinov, Bruno Ganz und Uwe Ochsenknecht mitgewirkt. Der Film beschreibt das Leben Luthers bis ca. in das Jahr 1530. Sein Judenhass wird hierin vollständig unterschlagen. Produziert wurde dieser Film von der EIKON Film gGmbH, einer Firma, die 1960 aus der evangelisch-kirchlich organisierten Filmvertriebs-Gesellschaft Matthias-Film in Stuttgart hervorging. „EIKON versteht sich in der deutschsprachigen Medienlandschaft als Vermittlerin der christlichen Botschaft“, so die Selbstdarstellung auf ihrer Homepage und wird „darin unterstützt von ... evangelischen Landeskirchen ... sowie durch fördernde Maßnahmen der EKD“. Der Film ist also eine unter der Verantwortung evangelischer Christen, insbesondere der EKD, produzierte Lutherdarstellung mit bewusster Ausblendung seiner letzten 15 Lebensjahre.
Im Rahmen der 10-teiligen ZDF-History-Serie „Die Deutschen“ wurde am 4. November 2008 zur besten Sendezeit um 20:15 Uhr die Folge 4 mit dem Titel „Luther und die Nation“ ausgestrahlt. Die Macher des Fernsehfilms, mit Georg Prang als Hauptdarsteller, beschreiben Luthers Wirken vom Thesenanschlag 1517 bis zum Augsburger Reichstag 1530 und bringen das Kunststück fertig, dann direkt in das Jahr 1547, ein Jahr nach Luthers Tod, zu springen. Luthers Zeit des Judenhasses wird hier in einer fast dreist anmutenden Weise übersprungen. Als Folge einer intensiven Werbekampagne und der privilegierten Sendezeit wurden „Die Deutschen“ von durchschnittlich 4-5 Millionen Zuschauern gesehen.
Kann man der breiten Öffentlichkeit wichtige, historische Fakten auf diese Weise unterschlagen? Das ZDF-Team unter der Leitung von Guido Knopp kam wohl zu der Auffassung, dass man sich diesem Vorwurf nicht aussetzen will. Aber wie verpacke ich den Lutherischen Judenhass auf eine Weise, die es mir erlaubt, meine Informationspflicht zu erfüllen, ohne dass das problematische Thema von der breiten Öffentlichkeit bewusst aufgenommen wird? Die Antwort ist: Man „verstecke“ es als kleinen Unterabschnitt in einem größeren, unverfänglichen Kontext und sende es zu einer Zeit, wo kleine Einschaltquoten garantiert sind. Genauso wurde das Problem vom ZDF-History-Team gelöst: Am Sonntag, den 05. April 2009 um 23:10 Uhr strahlte das ZDF als Beitrag ihrer History-Reihe den Fernsehfilm „Von Jesus zu Benedikt“ aus.
Zweitausend Jahre Kirchengeschichte in 45 Minuten. Das Thema Luther nahm dabei vier bis fünf Minuten in Anspruch. Es wurde Luthers Buch „Von den Jüden und iren Lügen“ in ca. 30 Sekunden vorgestellt. In einem Interview bezeichnete die damalige evangelische Bischöfin und designierte EKD-Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017 Margot Käßmann den Lutherschen Judenhass als „überzogen“ und bezeichnete ihn als „eine enttäuschte Liebe Luthers zu den Juden“. Damit machte Frau Käßmann aus dem Täter Luther das Opfer Luther.
Das ZDF-Team um Guido Knopp hat mit diesem Film das Thema journalistisch abgehakt und seine Informationspflicht formal erfüllt. Tatsächlich aber wurde der Lutherische Judenhass mit einem Trick medial geschickt versteckt, so dass er der Allgemeinheit weiterhin verborgen bleibt. In Umfragen über die „größten Deutschen“ landet Martin Luther nach Konrad Adenauer auf Platz zwei. Wäre die Bevölkerung über Luthers Wirken vollständig aufgeklärt, so würde man ihn, wenn überhaupt, wahrscheinlich auf den hinteren Rängen wiederfinden.
In dem ZDF-Dokudrama des evangelischen Theologen und Regisseurs Günther Klein mit dem Titel „Martin Luther“ und Ben Becker in der Hauptrolle, wird das „Wartburgjahr“ vom Mai 1521 bis März 1522 dokumentiert, als Luther als Junker Jörg das Neue Testament übersetzte. Das Thema „Luther und die Juden“ stellt sich hier nicht zwingend und wird auch nicht thematisiert, da es sich lediglich um einen kurzen Lebensabschnitt Luthers im Alter von 38/39 Jahren handelt.
Es drängt sich hier dennoch die Frage auf, warum niemand Interesse daran zu haben scheint, eine Dokumentation über Luthers Verhältnis zu den Juden und seine Wirkung auf die Nationalsozialisten filmisch umzusetzen? Die Entwicklung seiner Persönlichkeit vom „Paulus zum Saulus“ ist eine schauspielerische Herausforderung ersten Ranges und im Kontext der geschichtlichen Auswirkungen an Dramatik kaum zu überbieten. Selbst in der DDR wurde Luthers letzter Lebensabschnitt verdrängt. Die fünfteilige DDR-Fernsehdokumentation vom Oktober 1983 mit dem großartigen Lutherdarsteller Ulrich Thein blendet Luthers Verhältnis zu den Juden ebenfalls aus. Der berühmte kursächsische Sohn aus dem heutigen Sachsen-Anhalt wurde mehr mit dem Anschein eines Sozialreformers ausgestattet, der gelegentlich den Kapitalismus der Fugger anprangerte.
In den geschriebenen Medien sieht es nicht anders aus. In allgemein zugänglichen Büchern über Luther, wie sie in Buchläden und öffentlichen Bibliotheken angeboten werden, wird seine Beziehung zu den Juden kaum thematisiert. In Zeitungen und Zeitschriften wird zwar relativ viel über Luther geschrieben, aber sein Verhältnis zu den Juden bleibt tabuisiert. So bleiben die der breiten Öffentlichkeit zugänglichen Informationen über Martin Luther unvollständige Informationen. Der SPD Politiker Frank-Walter Steinmeier bemerkte (in anderem Zusammenhang) in einem TV-Statement treffend: „unvollständige Informationen sind falsche Informationen“. Daraus läßt sich ableiten, dass bewusst verbreitete, „unvollständige Informationen“ als Lügen bezeichnet werden können. In diesem Sinne kann die bewusst unvollständige Vermittlung eines Lutherbildes, wie es in den der Allgemeinheit zugänglichen öffentlichen Medien verbreitet wird, als eine Lüge, als eine „Luther-Lüge“ bezeichnet werden.