Der Rechtsterrorismus im Verborgenen

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Überarbeiteter Ausschnitt aus Video der NSU-Gruppe

BRÜHL. (hpd) Die Erkenntnis, dass eine im Kern aus drei Neonazis bestehende Gruppierung mit der Bezeichnung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zwischen 2000 und 2007 neben Banküberfällen und Sprengstoffanschlägen zehn Morde beging, erschüttert gegenwärtig Gesellschaft und Staat. Versuch einer Antwort auf zehn Fragen.

 

Von Armin Pfahl-Traughber

 

 

Da diese Taten der Neonazis nicht mit politischen Erklärungen zu den Motiven verbunden wurden, konnten die Sicherheitsbehörden keinen rechtsextremistischen Hintergrund konstatieren. Ihnen wird in diesem Kontext aber selbst von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich Versagen bezüglich deren Aufklärung und Verhinderung vorgeworfen. Obwohl viele Details des Handelns sowohl der Mörder wie des Nicht-Handelns der Sicherheitsbehörden noch nicht bekannt sind, soll hier eine Antwort auf einige der kursierenden Fragen aus der Perspektive der politikwissenschaftlichen Extremismus- und Terrorismusforschung versucht werden. Diese einschränkende Formulierung erklärt sich schlicht dadurch, dass tagtäglich neue Erkenntnisse auf den Tisch kommen.

 

1. Stellt die besondere Brutalität der Gewaltpraxis bei den Morden des NSU und deren mediale Aufbereitung in einer DVD ein Novum in der Neonazi-Szene dar?

Die bisherige Gewalthandlungen rechtsterroristischer Gruppen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bestanden meist in Anschlägen gegen Einrichtungen (Asylbewerberheime, Gemeindezentren, Imbissbuden, US-Militäreinrichtungen), wobei die Tötung von Menschen nicht konkret beabsichtigt, aber sehr wohl einkalkuliert wurde. Bei den Serien-Taten des NSU handelt es sich demgegenüber um bewusst gewollte und konkret geplante Morde gegen einzelne Personen. Ein derartiges Agieren von Rechtsextremisten war bisher nicht bekannt und insofern stellt es hier in der Tat ein Novum dar. Dies gilt aber nicht für das dabei zum Ausdruck kommende Gewaltverständnis: Auf DVDs bzw. Videos aus der neonazistischen Szene und in den Texten rechtsextremistischer Musikbands konnte man bereits seit Jahren die bejubelnde Einforderung und Huldigung von brutalen Gewaltakten gegen Ausländer, Juden oder Linke ausmachen. Sie motivierte wohl auch die Gestaltung des aufgefundenen „Paulchen Panther“-Films mit den Bekenntnissen zu den Taten.

 

2. Wie ist die kontinuierliche Gewaltbereitschaft in der Neonazi-Szene im Kontext der Entwicklung des Rechtsextremismus einzuschätzen?

In den letzten Jahren kam es zu einem kontinuierlichen Rückgang des Gesamtpotentials im organisierten Rechtsextremismus (2005: 39.000, 2010: 25.000 Personen). Gleichzeitig stieg aber in diesem politischen Lager der Anteil der Neonazis regelmäßig stark an und verdoppelte sich im letzten Jahrzehnt sogar. Die seit Beginn der 1990er Jahre einsetzende Welle von Verboten einschlägiger Organisationen verhinderte somit diese Entwicklung nicht (1990: 1.400, 2000: 2.200 und 2010: 5.600 Personen). Mit dem Anwachsen der Neonazis in bislang noch nicht bekannter Zahl stieg auch das Potential von gewaltbereiten Rechtsextremisten an. Zwar muss auch hier zwischen Einstellungen und Handlungen differenziert werden, huldigt ein Großteil der Szene doch nur in verbalen Bekundungen ein mörderisches Vorgehen. Gleichwohl stieg im Kontext der beschriebenen Entwicklung auch der Anteil derjenigen Personen unter den Neonazis, die Gewalthandlungen unter Rückgriff auf kontinuierlich angelegte Sprengstoff- und Waffenlager als konkrete Handlungsoption ansahen.

 

3. Warum bekannten sich die Rechtsterroristen nicht durch öffentliche Erklärungen mit politischen Begründungen zu ihren Taten?

„Terrorismus“ gilt nicht nur als Bezeichnung für politisch motivierte Gewalttaten im Kontext von langfristigen Strategien kleinerer Gruppen. „Terrorismus“ gilt in der einschlägigen Forschung auch als „Kommunikationsstrategie“ (Peter Waldmann), d. h. die Täter wollen damit eine bestimmte Botschaft in die Öffentlichkeit tragen. Dies war bei dem NSU nicht der Fall. Zwar stellten die Täter nach dem letzten Mord von 2007 an der Polizistin eine DVD her, worin man sich in witzelnder und zynischer Weise zu den erwähnten Gewaltakten bekannte. Gleichwohl leitete der NSU diese filmische Erklärung (zunächst) nicht an die Medien und damit an die Öffentlichkeit weiter. Offensichtlich hatten die Mörder so etwas vor, worauf die einschlägigen Funde in deren Wohnhaus hindeuten. Dies geschah aber über mehrere Jahre hinweg nicht, wofür gegenwärtig kein Grund genannt werden kann. Allenfalls lässt sich hier die Vermutung formulieren, dass man noch etwas „Großes“ vorgehabt hat und in dessen Folge die zur Versendung vorbereiteten DVDs auf den Weg bringen wollte.

 

4. Inwieweit kann angesichts der Morde des NSU von einer neuen Qualität des Rechtsterrorismus gesprochen werden?

Bei den Gewaltakten von Rechtsextremisten lassen sich idealtypisch zwei Formen unterscheiden: Zum einen gehören dazu einzelne Täter und kleine Gruppen, die relativ spontan brutale Akte bis hin zur Tötung von Menschen begehen und nicht in eine festere organisatorische Struktur eingebunden sind. Zum anderen zählen dazu Personenzusammenschlüsse, die ihr gewalttätiges Vorgehen als Bestandteil einer längerfristigen Strategie ansehen und kontinuierlich Anschläge begehen. In den letzten Jahrzehnten dominierte die erstgenannte Form, der je nach genutzten Kriterien 46 oder 137 Menschen zwischen 1990 und 2008 zum Opfer fielen. Die rechtsterroristischen Strukturen wie etwa die „Deutschen Aktionsgruppen“ und die „Hepp-Kexel-Gruppe“ bzw. das „Freikorps Havelland“ und die „Schutzgruppe“ führten demgegenüber eher Anschläge auf Einrichtungen mit einkalkulierten Todesopfern durch. Die geplante und gezielte Ermordung einzelner Menschen in Serie stellt demnach eine neue Qualität des Rechtsterrorismus dar.

 

5. Ist die Rede von einer „Braunen Armee Fraktion“ zur Kennzeichnung des NSU als (rechts-) terroristische Gruppe angemessen?

Angesichts der Gewaltdimension der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) zwischen den 1970er und 1990er Jahren kommt immer wieder diese Formulierung zur Benennung einer rechtsterroristischen Struktur auf. Sie ist aber im Sinne einer Gleichsetzung von Ausrichtung, Handlungsstil und Struktur aus verschiedenen Gründen nicht für den NSU angebracht: Bei der RAF handelte es sich um eine Gruppe mit einer entwickelten Kommandostruktur, die auch die Rechtsterroristen der 1970er und 1980er Jahre nachahmen wollten. Diese konnten aber im Durchschnitt nur ein gutes Jahr regelmäßig Anschläge durchführen, wurden ihre Aktivisten doch relativ schnell von den Sicherheitsbehörden entdeckt. Ohnehin scheint auch in anderen terroristischen Kontexten wie etwa bei den islamistischen Protagonisten die Ausrichtung auf festere Kommandostrukturen eher rückläufig zu sein. Der diesbezügliche Trend sowohl im Islamismus wie im Rechtsextremismus geht mehr in Richtung von Kleinstgruppen mit einem hohen Maß an Autonomie und Flexibilität.