Herr Möller hat keine Angst mehr

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Philipp Möller hat keine Angst mehr vor dem Abgrund.

Religionskritiker Philipp Möller erklärte jüngst die Fridays for Future-Bewegung zur Säkularreligion und schockierte damit viele seiner bisherigen Fans. Wie kommt es dazu, dass Möller plötzlich eine These vertritt, die sich vor allem in Klimaleugner-Kreisen großer Beliebtheit erfreut? Auskunft darüber gibt sein aktuelles Buch.

In der humanistischen Community Deutschlands ist Philipp Möller sehr bekannt. Ein eloquentes Kerlchen, das es zur Freude vieler Ungläubiger durch sein rhetorisches Geschick immer wieder schafft, Religionsvertreter und ihre Argumente in öffentlichen Diskussionen ziemlich alt aussehen zu lassen.

Umso erstaunter, ja man muss sogar sagen erschütterter, waren viele Möller-Fans, als er am 20. September, dem Tag, an dem weltweit viele Millionen Menschen zu Klimastreik-Demonstrationen zusammenkamen, in einem Facebook-Video das Erscheinen seines neuen Buchs "Isch geh Bundestag" ankündigte. Denn in diesem nur dreieinhalb Minuten langen Video bezeichnet er die Fridays for Future-Bewegung als Massenhysterie.

Wer noch glaubte, Möller eventuell falsch verstanden zu haben, für den brachte spätestens sein Facebook-Post vom 25. September endgültige Gewissheit: 

"Als Berufsatheist halte ich Greta Thunbergs Auftritt vor der UN für die Wut- und Drohrede der Führerin einer rasant aufstrebenden Säkularreligion. Das ist - bei voller Anerkennung der Notwendigkeit von Klimaschutz! – meine Lesart als professioneller Religionskritiker."

Wie ist es zur Übernahme dieses vor allem in Klimaleugner-Kreisen verbreiteten Narrativs durch Philipp Möller gekommen? Auskunft darüber gibt die Lektüre von Möllers aktuellem Buch. "Isch geh Bundestag" trägt den Untertitel "Wie ich meiner Tochter versprach, die Welt zu retten" und ist ein rund 300 Seiten umfassender politischer Selbsterfahrungstrip des Autors und Protagonisten Philipp Möller:

Beispielbild

Möllers Tochter wird an einer Berliner Brennpunkt-Grundschule mit nervigen Ausländer-Jungs und katastrophalen sanitären Anlagen eingeschult, weil ihre Eltern sich angesichts der horrenden Berliner Mieten keine Wohnung in einem besseren Viertel leisten können. Das erfüllt den zunächst durch und durch linksgrünen Protagonisten Möller mit Sorge. Überhaupt hat Möller große Angst vor der Zukunft – wegen der hohen Wahlergebnisse der Rechten und natürlich wegen des Klimawandels. Deshalb beschließt Möller, für seine Tochter die Welt zu retten. Im Bundestag will er herausfinden, wie Politik eigentlich funktioniert und welche Partei am ehesten zur Weltrettung beiträgt. Möller gelingt es durch Beziehungen, ein Praktikum bei einem Bundestagsabgeordneten der SPD zu bekommen. Doch die Partei ist ihm zu altbacken. Beim Team der coolen Jungs um den klimapolitischen Sprecher der FDP stimmt die Chemie dagegen von Anfang an. Noch dazu, so scheint es Möller, argumentiert man dort sehr evidenzbasiert. Auch die Typen der AfD sind gar nicht so schlimm wie erwartet, selbst wenn Möller sich mit vielen ihrer Positionen so gar nicht anfreunden kann. Vor allem die Leugnung des menschengemachten Klimawandels stört ihn bei der AfD. Kurz bevor Möller sein ersehntes Praktikum bei den Grünen antreten kann, erlebt er einen Sinneswandel. Sein Freund Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, weist ihn darauf hin, dass seine noch immer stark vorhandenen Zukunftsängste auf falschen Annahmen beruhten. Vielmehr werde die Welt immer besser und auch das mit dem Klimawandel werde von der Klimastreikbewegung viel zu überzogen dargestellt. Möller vertieft sich in entsprechende Literatur, die ihn zu einem Zukunfts- und Menschheitsoptimisten mutieren lässt. Ein persönlicher Befreiungsschlag, denn endlich hat er keine Angst mehr. Die neue Haltung trübt allerdings sein Praktikum bei den Grünen, denn die Partei geht nun in seinen Augen – ebenso wie die Klimastreikbewegung – von falschen Voraussetzungen aus. Grüne und Fridays for Future erscheinen Möller nun taub für neue Argumente, ideologisch verblendet und immun dagegen, die eigene Meinung kritisch zu hinterfragen. Noch dazu geht von ihnen moralischer Druck aus, dass man auf dieses oder jenes verzichten müsse und sich sogar dafür zu schämen habe, wenn man selbiges nicht tut. Ferner attestiert Möller der Fridays for Future-Bewegung apokalyptische Weltuntergangsvorstellungen und damit ist für ihn die Diagnose klar: Es handelt sich um eine religiöse Bewegung. Und wie es sich für das Buch eines wiedergeborenen Menschheitsoptimisten gehört, hat es natürlich ein Happy End: Mitten auf einer Fridays for Future-Demonstration, die Möller die letzte Erleuchtung über den religiösen Charakter der Klimastreikbewegung bringt, erhält er einen Anruf von einem seiner neuen FDP-Buddies, dem klimapolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Der bietet ihm einen Job in seinem Team an und Möller nimmt an. Der Umzug in ein besseres Wohnviertel ist ebenfalls gelungen, Möllers Frau erwartet das dritte Kind und seine kleine Tochter geht endlich auf eine Schule, auf der das Klo nicht mehr stinkt und die Jungs nicht mehr doof sind. Philipp Möller hat die Welt gerettet – wenigstens in den Augen seiner Tochter.

Möllers Buch hat hohe Suggestivkraft. Nicht nur, weil es in der Ich-Perspektive geschrieben ist, die eine unmittelbare Identifikation von Leser und Autor befördert, sondern auch, weil die Fallhöhe von Anfang an bewusst inszeniert wird. Möller betont auf den ersten 200 Seiten des Buchs regelmäßig, wie linksgrün er ist, und nimmt damit die Position seiner vermuteten Leserschaft ein. Durch ständiges Betonen der Klimawandel-Ängste des Ich-Erzählers steigert er diese Ängste auch bei der Leserschaft, die deshalb – ebenso wie der Ich-Erzähler – entsprechend erleichtert sein dürfte, selbige endlich loszuwerden. Doch gerade weil Möller gekonnt auf der Klaviatur starker Emotionen spielt, lohnt sich ein genauerer Blick auf seine Argumentation. Denn die ist keineswegs so rational, wie der Autor es vermitteln möchte.

Bezeichnend ist bei der Lektüre von Möllers Buch, dass er selbst zwar einen religiösen Splitter im Auge der Fridays for Future-Bewegung auszumachen vermeint, den Balken in seinem eigenen Auge jedoch nicht ansatzweise bemerkt. Denn Möllers politischer Selbsterfahrungstrip trägt deutliche Züge eines quasi-religiösen Erweckungserlebnisses:

Philipp hat quälende Angst. Er erhofft sich Heilung, indem er sich aufmacht, die Welt zu retten. Er ist auf der Suche nach Antworten und findet sie schließlich in den beruhigenden Worten eines Freundes und in zwei Büchern der Wahrheiten. "Siehe", sagen diese Bücher, "Du musst keine Angst mehr haben, die Welt ist nicht schlecht und wird besser mit jedem Tag. Mit der Kraft seiner Fähigkeiten vollbringt der Mensch auch die Lösung der größten Probleme, jetzt und in alle Ewigkeit. Glaube daran und so wird es geschehen." Und Philipp glaubt und findet Freunde, die ihm sagen, er müsse nicht nur keine Angst mehr haben, sondern auch auf nichts verzichten – und das ganz ohne schlechtes Gewissen. Ein emotionaler Befreiungsschlag für den geängstigten Philipp, der sich zuvor üblem moralischem Druck auf Verzicht ausgesetzt sah. Doch jetzt ist Philipp frei von Angst und glaubt an eine glorreiche Zukunft durch die Kraft des menschlichen Geistes. Und weil es für ihn so schön und wichtig ist, will er sein quasireligiöses Erweckungserlebnis teilen, seinen neuen Weg zum Heil unter die Menschen bringen und diese zu seiner Art des Denkens bekehren – als Prophet der neuen Heilsreligion des Glaubens an die ewige Überlegenheit des menschlichen Geistes.

Natürlich ist das völlig überzogen. Doch es steckt ein Körnchen Wahrheit darin, dass Möllers Sinneswandel eher quasireligiös denn rational anmutet. Denn in seinem Weltrettungsbuch zeigt sich Möller als ein erschütternd unselbstständiger Denker. Kaum liest er ein Buch, so stellt dessen Inhalt für ihn das neue Nonplusultra dar. Auf ein selbstständiges, kritisches Hinterfragen des Buchinhalts oder eigene Hintergrundrecherche hofft man vergebens. Und das, obwohl an Hans Roslings "Factfulness", dem Buch, das Möller davon überzeugte, dass die Welt in den vergangenen Jahrzehnten immer besser statt schlechter wurde, durchaus Kritik laut wurde, die sich auf Roslings Datengrundlage und deren Interpretation bezog.

Und Möller begeht weitere Denkfehler. Selbst wenn die Welt in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich zu einem besseren Ort geworden sein sollte, so heißt das nicht notwendigerweise, dass sich dieser Prozess zwangsläufig fortsetzt, da es auch zukünftige Faktoren geben kann, die dem entgegenstehen. Einer intellektuellen Titanic-Fahrt gleicht schließlich Möllers Übertragung der positiven Weltsicht des Mediziners Rosling von der medizinischen, wirtschaftlichen sowie bildungs- und bevölkerungspolitischen Ebene auf die klimapolitische Ebene: Möller sieht auf dem Cover eines Berliner Stadtmagazins zwei Mädchen mit Fridays for Future-Plakat sowie den Zeitungstitel "Schulstreik fürs Klima: Wozu noch rechnen lernen, wenn die Tage der Erde gezählt sind?". Da Hans Rosling in seinem Buch vor Weltuntergangsszenarien warnt, ist Möller nun auch hinsichtlich des Weltuntergangsszenarios auf dem Cover alarmiert und fragt sich, ob die AfD mit ihrer Titulierung der Klimastreikbewegung als Weltuntergangssekte vielleicht Recht hat. Um sich abzusichern, telefoniert er mit seinem Freund Michael Schmidt-Salomon, den er im Buch ohnehin bei jeder Gelegenheit wie einen Guru zitiert und in kritischen Situationen um Rat fragt. Möllers geistiger Führer Schmidt-Salomon bestätigt seine Ansicht, dass es zwar einen menschengemachten Klimawandel gibt und man etwas dagegen unternehmen muss, dass der drohende Weltuntergang jedoch Hysterie ist und entsprechende Bewegungen mit apokalyptischer Rhetorik und Moralismus arbeiten. Schmidt-Salomon beruft sich dabei auf einen Klimaforscher und Mitautor (von hunderten) des letzten IPCC-Berichts, der die Auffassung vertritt, dass das mit dem Klimawandel nicht so dramatisch sei, wie bislang dargestellt. Die Meinung seines Freundes und Vordenkers überzeugt Möller.   

Fassen wir zusammen: Möllers Einschätzung der Klimastreikbewegung als Säkularreligion basiert auf einer unzulässigen Übertragungsleistung von Untersuchungsergebnissen des Mediziners Hans Rosling sowie der Meinung des philosophische Schriften verfassenden Pädagogen Michael Schmidt-Salomon, der sich wiederum auf einen Klimaforscher beruft, der die Auffassung vertritt, dass das mit dem Klimawandel nicht ganz so dramatisch sei, wie bislang befürchtet.

Dass dem mehr als 20.000 Scientists for Future gegenüberstehen, die die Klimastreikbewegung unterstützen und die sofortiges effektives Handeln gegen den Klimawandel für dringend geboten halten, entfällt Möller von diesem Moment an gänzlich. Für ihn zählen ein Buch und die Einschätzung der Situation durch einen Freund mehr. Zumal – und hier kommt die zutiefst irrationale und emotionale Komponente in Möllers Buch zum Tragen – die neue Einschätzung dazu führt, dass er endlich keine Angst mehr haben muss.

Sollte Möller eine Versachlichung und Rationalisierung der Klimadiskussion zum Ziel gehabt haben, so ist er mit diesem Buch und seiner in den sozialen Medien gewählten Werbestrategie grandios gescheitert. Denn dass eine sachliche Diskussion aus der öffentlichen Diffamierung der Fridays for Future-Bewegung als Säkularreligion folgt, ist eher unwahrscheinlich.

Umso trauriger ist es, dass Möller mit seinem suggestiven Buch wahrscheinlich einige Leserinnen und Leser wird gewinnen können – Leserinnen und Leser, die ein ebenso großes emotionales Bedürfnis nach Angstfreiheit haben wie er und die ebenso wie er das große Aufatmen angesichts der Klimakrise spüren möchten: Ist ja alles gar nicht so schlimm! Die Menschheit hat bisher alle Probleme gelöst, also wird sie auch dieses lösen! Ich muss auf nichts verzichten und muss kein schlechtes Gewissen haben! Lehnen wir uns also alle zurück und relaxen!  

Ob die von Möller propagierte Überzeugung wirklich mehr Menschen hervorbringen wird, die an der Abmilderung der Klimakrise mitarbeiten, ist zu bezweifeln. Dass die von ihm kritisierte Angst und Sorge der Fridays for Future-Bewegung in der jungen Generation Wissenschaftlerinnen und Ingenieure hervorbringen wird, die gegen den Klimawandel anarbeiten, ist wesentlich wahrscheinlicher. Denn Angst ist ein großer Motivator. Ein viel größerer als sorgenfreie Selbstzufriedenheit.