Michael Hochgeschwender im Gespräch

Christliche Politik ist nicht unbedingt rechts. Spielt auch für die Demokraten oder Präsident Obama die Spiritualität eine große Rolle?

Etwa 30 – 40 % der Evangelikalen gelten als Linksevangelikale, darunter sehr prominent Jimmy Carter, der Ex-Präsident aus den 1970er Jahren. Sie stehen insgesamt den Demokraten näher als den Republikanern, haben aber etwa in der Abtreibungsfrage Schwierigkeiten mit der Parteilinie. In seinem Wahlkampf hat Barack Obama aber sehr offensichtlich versucht, durch seine messianische Selbststilisierung und seine beharrliche Zuwendung zu den Evangelikalen, etwa im Gespräch mit Rick Warren, den von den Republikanern teilweise enttäuschten Rechtsevangelikalen zu signalisieren, dass sie bei den Demokraten eine neue Heimat finden könnten. Ich bezweifele allerdings, dass ihm das auf breiter Front gelungen ist.


Wie kann man die politische Ausrichtung der black church grob kategorisieren?

Sie steht politisch links von der Mitte, wenn es um den Wohlfahrtsstaat geht, ist aber sozial durchaus konservativ, etwa in ihrer Ablehnung der Schwulenehe. Das schwarze Milieu kann ziemlich homophob sein. Außerdem stand die black church oft kritisch Israel gegenüber. Dies erklärt sich vor allem aus einem links motivierten Antizionismus, teilweise auch aus einem Rassismus gegenüber Weißen und vor allem aus Solidarität mit den Palästinensern, die man ebenso wie sich selbst als underdogs und Verlierer des Kapitalismus betrachtete.

Schwarzen gelingt immer häufiger der gesellschaftliche Aufstieg, die Republikaner versuchen politische Gegengewichte zu Obama aufzubauen und auch die Christlichen Zionisten werben unter Afroamerikanern immer häufiger um Unterstützung für Israel.

 

Wird die black church sich zukünftig vielleicht stärker konservativ ausrichten?

Das ist in den Teilen der black church, die sich der schwarzen Mittelklasse annimmt, schon jetzt deutlich erkennbar.

 

Wie ist ihr Interesse an der Bedeutung der Religion auf die US-amerikanische Politik entstanden?

Durch meine Aufenthalte vor allem im ländlichen Indiana, wo man kaum leben kann, ohne gelegentlich evangelikale Radiosender zu hören oder entsprechenden TV-Predigern zuzuhören.

Können Sie vielleicht von einer einprägsamen persönlichen Begegnung erzählen?

Zum einen die Erfahrung sehr lebendiger und politisch-gesellschaftlich durchaus heterogener Gemeinden, die meist durch einen charismatischen Pastor zusammengehalten wurden und die gerade nicht dem Bild der fanatischen und verblödeten Hillbillies entsprachen, das wir uns allzu oft von Evangelikalen machen.

In diesem Zusammenhang habe ich einmal eine Gruppe junger Evangelikaler gefragt, warum sie so ausschließlich über Fragen der Abtreibung sprächen und eine Frau antwortete mir ganz offen: "Weil es das Einzige ist, was uns alle zusammenhält! In allen anderen gesellschaftlichen und politischen, ja sogar theologischen Fragen driften unsere Ansichten komplett auseinander." Zum anderen dann wieder die stereotype Erfahrung eines Leserbriefs in der South Bend Tribune, wo ein offenkundig fundamentalistischer Christ im Jahr 2000 schrieb, er sähe nicht ein wozu gewählt werde, da doch klar sei, dass George W. Bush der Kandidat Gottes sei (und man sich unwillkürlich im Iran wähnte). Diese differenzierte Vielfalt, die alle Vorurteile bestätigt und zugleich fragwürdig werden lässt, hat mich fasziniert.

Viele Kritikpunkte an der Christlichen Rechten treffen auch auf die katholische Kirche zu. Wie gehen sie als Katholik damit um?

Nun, das kommt auf den Kritikpunkt an. Ich bin selbst ein eher konservativer, am neuscholastischen Thomismus bzw. Molinismus ausgerichteter Katholik. Das heißt, dass ich manches anders sehe als die Evangelikalen und Fundamentalisten. Vor allem teile ich die anthropologischen Grundlagen ihrer Lehre nicht, sondern hänge an dem scholastischen Axiom: gratia supponit naturam, sed non destruit. [„Die Gnade setzt die Natur voraus und zerstört sie nicht.“] Das betont den Eigenwert und die Freiheit menschlicher, rationaler Spekulation in Philosophie und Naturwissenschaften deutlich stärker als das protestantische Menschenbild.

Es ist - ungeachtet des Falles Galilei - kein Zufall, dass Darwins Buch nie auf dem Index librorum prohibitorum [Index der verbotenen Bücher] stand. Ich stehe also dem Subjektivismus fundamentalistischer Bibellektüre kritisch gegenüber. Die Bibel legt sich nicht selbst aus, sie muss im Kontext der Tradition, des Lehramtes und der rechtgeleiteten Vernunft gelesen werden. Zudem kann ich als Anhänger der naturrechtlich ausgerichteten katholischen Soziallehre wenig mit dem überzogen staatskritischen Individualismus der evangelikalen oder fundamentalistischen Wirtschaftsethik anfangen, die doch ein eigentümlich neoliberales Gepräge hat.

Prof. Hochgeschwender, ich danke für das Gespräch.