"Projekt 2025" (Teil 2):

Wo versteckt man einen Baum? Im Wald. Und wo versteckt man eine Verschwörung?

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"Christ in Majesty", Jan Henryk de Rosen. 335,4 Quadratmeter großes, apokalpytisches Deckenmosaik in der Basilica of the National Shrine of the Immaculate Conception, Washington, D.C, USA.
"Christ in Majesty",

Die Antwort lautet: Überhaupt nicht. Man behauptet einfach, es wäre keine. Die christlich nationalistischen Kräfte hinter "Projekt 2025" machen sich keine Mühe, klandestin zu operieren, sondern treten offen als Sponsoren auf. Sie sind überzeugt davon, weder extremistisch noch radikal zu sein. In ihren Augen sind es die Vereinigten Staaten selbst, die sich in den vergangenen einhundert Jahren radikalisiert haben – weil sich die Nation zu weit von ihrem vermeintlich christlich-konservativen Fundament entfernt habe.

Eine einleitende Warnung: Investigativer Journalismus ist bisweilen nur schwer von einem Thriller aus der Feder Dan Browns zu unterscheiden. Dies ist einer dieser Fälle. Es wird um Geheimgesellschaften gehen, die akzelerationistische Rhetorik in die Öffentlichkeit tragen, während sie ihrer Mitgliederlisten schützen wie Staatsgeheimnisse und sich auf eine – wie sie es nennen – "nationale Scheidung" vorbereiten. Es wird um die Tatsache gehen, dass christlich-konservative Kräfte aus allen Rohren auf das Bildungsministerium feuern und nun dessen vollständige Abschaffung avisieren. Und es wird sich bei all dem nicht vermeiden lassen, theologisch zu werden und über das Konzept der Eschatologie, der Endzeit, zu reflektieren.

Wir haben es hier mit einer Verschwörung zu tun, die sich selbst nicht als solche betrachtet. Im Gegenteil, sie sieht sich als Formation legitimen Widerstands gegen als staatliche Tyrannei empfundene Säkularisierungs- und Demokratisierungsprozesse. Der konspirative Aspekt des "Mandate for Leadership" konstituiert sich nicht aus dem formalen Aufbau, sondern aus den Zielen: der vollständigen Neuordnung der US-amerikanischen Exekutive und ihre Unterwerfung unter christlich nationalistische Axiome.

Die Society for American Civic Renewal

Auch Brad Onishi, Autor und ehemaliger christlicher Nationalist, der die Ideologie nach einem Theologiestudium an der Universität Oxford hinter sich ließ, mahnt einen Blick auf die Unterstützer von "Projekt 2025" an: "Wenn wir uns aber die Sponsoren von Projekt 2025 ansehen, gibt es noch weitere. Da wäre das Hillsdale College. Da wäre die Liberty University. Da wäre das Claremont Institute. Da wäre TP USA, zahlreiche christlich nationalistische Universitäten und Organisationen."

"Folgst du Jesus auch so nah"?-Aufkleber neben einem stilisierten pro-Trump Punisher-Schädel. Picture by Gilbert Mercier via Flickr, CC BY-NC-ND 2.0
"Folgst du Jesus auch so nah"?-Aufkleber neben einem stilisierten pro-Trump Punisher-Schädel. Picture by Gilbert Mercier via Flickr, CC BY-NC-ND 2.0

In dieser illustren Auflistung ist besonders das Claremont Institute von Bedeutung – beziehungsweise dessen Präsident Ryan P. Williams und seine Verbindung zu einer Geheimgesellschaft namens Society for American Civic Renewal (SACR). Im August 2023 deckte der in Oregon ansässige Investigativjournalist Jason Wilson im britischen Guardian die Existenz dieser Organisation auf und enttarnte ihren Vorsitzenden als Charles Haywood, einen Unternehmer mit [Verbindungen zum Claremont Institute. Dieser stilisiere sich auf seinem privaten Blog als "Warlord" mit eigenen Milizen, der sich auf einen "mehr oder weniger offenen Krieg mit der Bundesregierung oder einem Teil oder Überbleibsel davon" vorbereitet, schrieb Wilson vergangenen August.

Daraufhin machte sich in New York ein anderer Journalist ans Werk, Josh Kovensky. Dieser schaffte es, über Anfragen nach Informationsfreiheitsgesetz eine regelrechte Wundertüte an E-Mails zu ergattern, die ein Professor der öffentlichen Boise State University in Idaho hinterlassen hatte. Da Professor Scott Yenor seine steuerfinanzierte universitäre Mailadresse zum Austausch über die SACR genutzt hatte, hielt Kovensky mit einem Mal einen Masterplan für das Szenario einer "nationale Scheidung" (sprich: Sezession) und die Installation einer christlichen Regierung in den Händen. Kovensky schreibt:

"Es klingt aberwitzig, ist aber wahr. Die Gruppe nennt sich Society for American Civic Renewal (...). Sie ist offen für neue Mitglieder, vorausgesetzt, Sie erfüllen ein paar Kriterien: Sie sind männlich, 'trinitarischer' Christ, heterosexuell, ein Amerikaner 'ohne Bindestrich' und können Fragen über Trump, die Republikanische Partei und den christlichen Nationalismus richtig beantworten. Einem potentiellen Neumitglied gegenüber erklärte ein Gruppenleiter, Ziel der Organisation sei die 'Sicherung einer Zukunft für christliche Familien'."

Als "nicht-trinitarisches Christentum" werden verschiedene Denominationen bezeichnet, die das Konzept der heiligen Dreifaltigkeit ablehnen. Dazu gehört neben den Zeugen Jehovas interessanterweise auch die mormonische Kirche. Mit "ohne Bindestrich" ist gemeint, dass sich Menschen, die sich als Native-American oder African-American identifizieren, nicht zu bewerben brauchen.

In einem Telefongespräch mit Kovensky erklärte Williams, die SACR sei keinesfalls als radikales oder extremistisches Projekt zu verstehen, sondern im Gegenteil als Antidot zur hundertjährigen Perversion der US-amerikanischen Verfassung. Das von der SACR vorbereitete neue Regime "bringt die verfassungsgemäße Ordnung der Vereinigten Staaten ihren Ursprüngen sehr viel näher, nachdem sie unserer Meinung nach ein Jahrhundert lang durch den Progressivismus, den ich persönlich in seinen Wurzeln und seiner Entwicklung als verfassungsfeindlich betrachte, korrumpiert und untergraben wurde", sagte Williams. Die Vereinigten Staaten befänden sich in einem "kalten Bürgerkrieg", so Williams weiter: "Der Begriff kalter Bürgerkrieg ist bewusst gewählt. Ich hoffe, dass er für immer kalt bleibt."

Die mittlerweile als christlich nationalistisch bewertete "An Appeal To Heaven"-Flagge bei einer Proud Boys-Demonstration in Raleigh, North Carolina, November 2020. Picture by Anthony Crider via Flickr.
Die mittlerweile als christlich nationalistisch bewertete "An Appeal To Heaven"-Flagge bei einer Proud Boys-Demonstration in Raleigh, North Carolina, November 2020. Picture by Anthony Crider via Flickr, CC BY 2.0

in Williams Ausführungen spiegelt sich das selbe Sentiment wie in Haywoods: Die Polarisierung der Vereinigten Staaten sei sehr viel weiter fortgeschritten, als es den Anschein haben möge. Die USA befänden sich bereits in einem ideologischen Krieg, dieser sei nur bislang nicht physisch übergekocht. Und begonnen habe dieser Krieg nicht mit dem Ende von Jim Crow im Jahr 1954 oder dem Civil Rights Act im Jahr 1965, sondern bereits Jahrzehnte zuvor. Mutmaßlich also mit den Clayton und Sherman Antitrust Acts und Franklin D. Roosevelts New Deal, auf den Teile der US-amerikanischen Oberschicht seinerzeit mit Umsturzplänen reagierten. Diese Vermutung wird durch einen auf Seite 873 des "Projekt 2025"-Whitepapers befindlichen Passus unterstrichen: "Andere sind der Meinung, dass die Expansion des administrativen Staats im Rahmen des New Deal eine verheerende Wirkung auf unsere Gesellschaft hatte und hoffen aufrichtig, dass diese gestoppt oder gar eliminiert werden kann".

Beth Daviess von der Universität Middlebury identifiziert in dieser Rhetorik neofaschistische akzelerationistische Elemente, die in dieser Intensität selbst im christlich nationalistischen Politikspektrum selten sind. Daviess schreibt:

"Im Oktober 2021, dem Jahr, in dem die SACR ihre öffentlich zugängliche Website einrichtete, schrieb Haywood über seine Überzeugung, dass 'Erneuerung ('renewal') nur durch extreme Gewalt geschehen kann'. Es ist also bemerkenswert, dass Haywood den Namen 'Society for American Civic Renewal' gewählt hat. In seinem Blog nutzt Haywood auch das Argument des militanten Akzelerationismus, dass es 'keine politischen Lösungen gibt' und dass Gewalt erforderlich sein wird, um die politischen Ziele der SACR durchzusetzen. Dies rückt die Mission der SACR, die 'politische und soziale Dominanz' ihrer spezifischen Ausprägung des Christentums dauerhaft zu sichern, in ein neues Licht."

Die New Apostolic Reformation

In diesem Zusammenhang wollen wir noch einmal einen Blick in den Fließtext des "Mandate for Leadership" werfen, genauer gesagt auf dessen avisierte Abschaffung des Bildungsministeriums. So heißt es auf Seite 285:

"Das Ministerium (für Bildung, Amn. d. A.) ist ein nützlicher Selbstbedienungsladen für das woke Bildungskartell, das sich – wie die Ära Covid zeigte – nicht sonderlich für die Bildung von Kindern interessiert. (…) Dieses Ministerium ist ein Exempel für die Einmischung der Bundesregierung in Angelegenheiten, die traditionellerweise auf staatlicher oder lokaler Ebene geregelt werden. Zugunsten der US-amerikanischen Kinder sollte der Kongress dieses Ministerium zerschlagen und die Kontrolle über das Bildungswesen zurück an die Bundesstaaten verweisen."

Dies würde eine unvorstellbare Stärkung des religiösen Bildungswesens bedeuten, denn das Bildungsministerium ist das erste und letzte Bollwerk der säkularen öffentlichen Schulen. Seit den 1960er-Jahren versuchen christlich-konservative Organisationen, Gutscheinlösungen durchzusetzen. In diesem Szenario würden Eltern steuerfinanzierte Bildungsgutscheine für ihre Kinder erhalten, die sie in öffentlichen oder privaten Schulen ihrer Wahl einlösen können – religiöse Privatschulen explizit eingeschlossen.

"Lass uns für Amerika beten." Picture by Gilbert Mercier via Flickr.
"Lass uns für Amerika beten." Picture by Gilbert Mercier via Flickr, CC BY-NC-ND 2.0

Von all den christlich nationalistischen Strömungen, die sich im Bildungswesen betätigen, ist die von C. Peter Wagner gegründete New Apostolic Reformation (NAR) die wohl einfluffsreichse. Diese hat sich dem sogenannten "Seven Mountains Mandate" verschrieben, das die christliche Vorherrschaft ("dominion") über die sieben als zentral identifizierten Bereiche privaten und öffentlichen Lebens anstrebt: Familie, Religion, Bildung, Medien, Kunst und Unterhaltung, Geschäftswesen und Regierung. Jonathon Sawyer, ehemaliges Mitglied der NAR, beschreibt die "konspirative Dämonologie" der NAR in einem hervorragenden Essay wiefolgt:

"Im Einklang mit dem Fokus der NAR auf übernatürliche Mächte werden die Gläubigen ermutigt, sich durch Gebete, prophetische Epiphanien und orakelähnliche Äußerungen über die Pläne Gottes an spiritueller Kriegsführung zu beteiligen. Ein Aspekt dieser spirituellen Kriegsführung, den ich 'konspirative Dämonologie' nenne, ruht auf Annahmen zu übernatürlichen Machtkämpfen: Die himmlischen Engel kämpfen gegen die Dämonen der Hölle, unter deren boshaftem Einfluss Individuen, Gruppen, Städte, Bundesstaaten und sogar ganze nationale Regierungen verortet werden."

Da die New Apostolic Reformation keine Kirche im formalen Sinne des Wortes ist, sondern eine, wie Sawyer es ausdrückt, "Bewegung von Netzwerken innerhalb von kirchlichen und schulischen Netzwerken", sind harte statistische Daten zum Einfluss der NAR auf schulische und universitäre Lehrpläne rar bis unauffindbar. Der Journalist Frederick Clarkson allerdings, der zusammen mit André Gagné die bis dato umfangreichste und nuancierteste Analyse der NAR produziert hat, konnte beinahe ein Dutzend Colleges ausfindig machen, die sich an den Grundfesten der NAR orientieren. Sawyer identifiziert außerdem das von Onishi eingangs als Sponsor von "Projekt 2025" gelistete Hillsdale College als der NAR nahestehend.

Die "Eschatologie des Sieges"

Abschließend ist eines festzuhalten: Der christlich nationalistische Evangelikalismus, mit dem wir es hier zu tun haben, ist quantitativ gesehen kein ideologischer Mainstream. Es wäre eine fatale Fehleinschätzung, anzunehmen, die Mehrheit der evangelikalen Gemeinden rüste sich für einen Sezessionskrieg und das tausendjährige Reich Gottes.

In der Tat dürften die meisten Menschen gar nicht mitkriegen, was in ganz bestimmten Bereichen der Vereinigten Staaten (und ganz bestimmten Bereichen des Internets) so alles unter dem Banner des Christentums getrieben wird. Das Konzept der "Eschatologie des Sieges" ("victorious eschatology"), wie es von Wagner und anderen postuliert wird, ist eine Vorstellung der Endzeit, die die allermeisten christlich lebenden Menschen wohl kaum wiedererkennen würden.

Für gewöhnlich ist es die zweite Ankunft Christi, die den Beginn des tausendjährigen Reichs Gottes markiert. In den Vereinigten Staaten ist diese Überzeugung als "Prämillenialismus" ("premillenialism") bekannt. In der "Eschatologie des Sieges" allerdings wird postuliert, dass die Außerwählten Gottes ihre Vorherrschaft ("dominion") über die Welt (in Form der sieben Berge des "Seven Mountains Mandate") etablieren müssen, bevor Christus wiederkehren kann. Die Bloggerin Andra Watkins, die die ersten dreißig Jahre ihres Lebens in einer christlich nationalistischen Sekte verbrachte, interpretiert diese Veränderung als Eingeständnis einer Niederlage:

"Sie glauben nicht mehr daran, die Herzen und den Verstand der Menschen gewinnen zu können. Damit sich ihr Glaube als 'wahr' herausstellen kann, müssen sie all jene vernichten, die sich weigern, nach den Regeln der NAR zu leben."

Gerade deshalb sind die Perspektiven von Menschen wie Andra Watkins, Brad Onishi und Jonathon Sawyer, die sich aus den entsprechenden Blasen lösen konnten, so essentiell: Sie zeigen uns die inneren Mechanismen dieser sich radikalisierenden Parallelrealitäten, die lange Zeit geographisch und informationell isoliert vor sich hingeköchelt haben und nun in einer Art fatalistischen Feedbackschleife gefangen scheinen. Und sie zeigen uns, wo der Graben verläuft: nicht etwa zwischen evangelikal und säkular, sondern zwischen demokratisch und antidemokratisch.

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