Michael Hochgeschwender im Gespräch

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US-Flag / Foto: Andrea Church (morguefile)

KIEL. (hpd) Unter dem Titel „Die New Religious Right im amerikanischen Konservatismus der Gegenwart“ lud die Amerika-Gesellschaft Schleswig-Holstein den Münchener Professor Michael Hochgeschwender ein, um über den evangelikalen Fundamentalismus zu diskutieren.

Der Vortrag fand in den Räumen der Evangelischen Studierendengemeine Kiel statt. Ein Anlass für Lukas Mihr, sich mit dem Historiker, der amerikanische Geschichte lehrt und auch katholische Theologie studiert hat, zu treffen und mit ihm zu sprechen.

Was unterscheidet europäischen und amerikanischen Konservativismus?

Der europäische Konservativismus ist, zumindest von seinem historischen Ausgangspunkt her, antirevolutionär, antiliberal, traditions- und autoritätsorientiert, kritisch gegenüber den liberalen Projekten einer nationalen und kapitalistischen Marktgesellschaft, oft stark religiös geprägt (aber nicht immer; es existierte auch stets ein eher funktionalistischer, an gesellschaftlicher Ordnung ausgerichteter Religionsbegriff) und naturrechtlich geprägt. Hinzu kommt ein skeptisches Menschenbild, das Fehlen der aufgeklärten Idee vom „Neuen Menschen" und daraus resultierend ein mangelnder Glaube an gesamtgesellschaftlich umfassende Reformprojekte.

Der amerikanische Konservatismus hingegen stammt aus einer Tradition, welche die Errungenschaften der eigenen Revolution verteidigen will, d. h. er steht dem europäischen Altliberalismus deutlich näher als der kontinentaleuropäische Konservativismus. Amerikanische Konservative teilen indes ein skeptisches Menschenbild, ihnen fehlt aber das kontinentaleuropäische Grundvertrauen in die Ordnungsmacht und Autorität des Staates. Heilig sind die Eigentumsrechte der Individuen, nicht die etablierte staatliche Autorität, weswegen der amerikanische Konservatismus an seinen radikalen Rändern in Staatskritik umschlagen kann (libertärer Anarchokapitalismus).

Was versteht ein Amerikaner unter der Trennung von Kirche und Staat?

Das ist sehr schwer zu beantworten, da es vom jeweiligen Standpunkt und der jeweiligen historischen Epoche abhängt. Zentral und allen gemeinsam ist die Idee, dass es keine Staatskirche geben darf, was mit dem lokalistisch-kongregationalistischen Kirchenprinzip der Evagelikalen sowie ihrer Angst vor einer etablierten Staatskirche einerseits und dem aufgeklärt-liberalen Glauben an den Satz von der Religion als Privatsache andererseits zu tun hat. Darüber hinaus aber hat es beispielsweise bis 1832 in den Einzelstaaten staatskirchliche Strukturen gegeben, im 19. Jahrhundert galten die USA zudem lange als christliche, d.h. protestantische Nation. In konservativ-evangelikalen Kreisen hat sich diese Vorstellung bis heute behauptet.

Demgegenüber haben die liberalen Supreme Courts der 1950er bis 1970er Jahre inzwischen sehr rigorose Vorschriften für die Trennung von Staat und Religion etwa an den öffentlichen Schulen erlassen, z.B. das Verbot des Schulgebets (1962). Liberale in den USA beharren auf dieser strikten Trennung, Konservative streben ein flexibleres, an den Traditionen des 19. Jahrhunderts orientiertes Verhältnis an. Nur eine winzige Minderheit unter den evangelikalen Fundamentalisten, die Christian Reconstructionists oder Dominion Theologists aus dem konservativen Segment der Presbyterianer streben eine theonome Gesellschaft an, in der dann religiöses Recht von Altem und Neuem Testament herrschen soll, es aber keine Staatskirche geben soll.

Was genau sind die Unterschiede zwischen Calvinisten und Lutheranern?

Calvinisten stehen in der Tradition Calvins und Zwinglis, d. h. des radikaleren Flügels der protestantischen Reformation. Im Gegensatz zu den Lutheranern, die gegenüber etablierten Äußerlichkeiten (Gottesdienstordnung, klerikale Gewänder, Heiligenbilder) moderat blieben, lehnen sie alles ab, was nicht unmittelbar dem Vorbild biblischer Einfachheit entspricht. Ferner glauben Calvinisten nicht an die Realpräsenz Christi unter den sakramentalen Zeichen von Brot und Wein, sondern nur an eine symbolische Gegenwart der Heilskräfte Christi. Lutheraner glauben demgegenüber an die Realpräsenz, nicht aber an das katholische Konzept der Transubstantiation.

Calvinisten und Lutheranern gemeinsam ist eine außerordentlich skeptische, pessimistische Anthropologie, die einerseits die Folgen der Erbsünde, andererseits die absolute Gnadenbedürftigkeit des Menschen in den Vordergrund stellt. Damit entfallen für beide die anthropologischen Voraussetzungen für die katholischen Lehren über das spezielle Priestertum und den Opfercharakter der Messe sowie die Heilsrelevanz der sichtbaren Institution Kirche. Lutheraner lehnen aber die calvinistische, am Konzept des frühneuzeitlichen Willkürgottes ausgerichtete, von Augustinus stammende Lehre von der doppelten Prädestination ab. Bezogen auf die Interpretation der Bibel lehnen beide die katholische Idee des autoritativen und authentischen Lehramtes als oberster Interpretationsinstanz zugunsten der subjektiven Bibellektüre ab, aber Lutheraner akzeptieren eine Hierarchie des Kanons, einen Kanon im Kanon, der sich an der Theologie des Kreuzes und der Gnade messen lässt, während Calvinisten (wenn sie nicht liberal sind) einen derartigen Kanon ablehnen. Deswegen sind es vorwiegend Calvinisten, die für eine wortwörtliche (literale) Bibelauslegung offen sind.

Und worin genau unterscheiden sich Evangelikale, Fundamentalisten und Pfingstler?

Evangelikal sind alle (vorwiegend Protestanten und Anglikaner), die in einer Art eschatolgischem Enthusiasmus eine unmittelbare Beziehung zu Gott durch Jesus Christus im Wort der Bibel suchen (also mehr als die sittliche Ordnung, die der liberale Kulturprotestantismus präferiert). Fundamentalisten wiederum teilen diesen Enthusiasmus, lehnen aber jede Form der Bibelexegese ab, die sich nicht am als unfehlbar angesehenen Wortlaut ausrichtet, ab. Sie sind streitbare, militante (in aller Regel aber nicht gewalttätige) Evangelikale. Nicht jeder Evangelikale ist Fundamentalist, aber jeder Wortfundamentalist ist evangelikal. Es gibt durchaus evangelikale Theologen, welche die Ergebnisse der liberalen historisch-kritischen Methode und auch eine moderate Form von Evolutionslehre akzeptieren.

Pfingstchristen (Pentekostale oder Charismatiker, d.h. Pentekostale, die in etablierten Großkirchen beheimatet sind) sind 1905 in den USA entstanden und heute die weltweit am raschesten wachsende religiöse Bewegung. Ihr Christentum richtet sich an der unmittelbaren Begegnung mit dem Heiligen Geist aus, es ist individualistischer und subjektiver als das der wortzentrierten Evangelikalen. Sie glauben an Wunder, suchen Tranceerlebnisse und feiern extrem enthusiastische Gottesdienste. Vom Menschenbild sind sie häufig optimistischer als traditionelle Christen. Innerhalb des Pfingstchristentums gibt es eine starke geistfundamentalistische Richtung, die in vielen Punkten mit dem älteren Wortfundamentalismus kompatibel ist.

Entgegen dem ersten Eindruck bildeten Liberale und Evangelikale im 19. Jahrhundert eine erfolgreiche Allianz. Für welche Ziele machten sie sich stark?

Sie arbeiteten in der Whigkoalition der 1830er bis 1850er Jahre etwa für die Aufhebung der Sklaverei, dem Kampf gegen den Alkoholismus, die Gefängnisreform, die Bewegung gegen die Todesstrafe, die Schulreform und zum Teil in der Frauenbewegung.

Offensichtlich besteht dieses Bündnis nicht mehr. Woran ist es zerbrochen?

Zum einen siegte sich diese Koalition im 19. Jahrhundert regelrecht zu Tode, zum anderen scheiterte man letztendlich an der Prohibition der 1920er Jahre. Vor allem aber kamen die liberale Akzeptanz der darwinistischen Evolutionslehre und der evangelikale Wandel von postmillenaristisch-reformistischen zum prämileniaristisch-konservativen Evangelikalismus dazwischen. Beides vollzog sich ab 1870.

Die Sklavenhaltung hatte Gegner und Unterstützer, die sich beide auf die Bibel beriefen. Wie lässt sich dieser Widerspruch aufklären?

Das Alte und Neue Testament akzeptieren die Sklaverei in der damaligen Form generell, wenn auch, bezogen etwa auf Angehörige des Volkes Israel, in stark modifizierter Form. Das aber bedeutete, dass Südstaatentheologen sich durchweg auf den Wortlaut der Bibel berufen konnten. Demgegenüber stellten die Nordstaatenevangelikalen und die Quäker das Liebesgebot Christi sowie das sich daraus ergebende neue Menschenbild in den Vordergrund. Daraus leiteten sie ein höheres Gesetz ab, das sogar über der Verfassung der USA stünde, in der die Sklaverei ja de facto anerkannt worden war. In ihren Augen war Sklaverei eine Todsünde, die mit der Lehre Christi keinesfalls auf Dauer vereinbar war.

In ihrem Buch beschreiben sie, dass es vor allem dreieinhalb Urteile des Obersten Gerichtshofes waren, die zur Entstehung der Christlichen Rechten führten, welche waren das?

Dies waren Engel v. Vitale (1962) mit dem Verbot des Schulgebets und Roe v. Wade (1973) mit der Freigabe der Abtreibung im ersten Schwangerschaftsdrittel, (aufbauend auf dem right to privacy in Griswold v. Connecticut von 1965). In jüngster Zeit kam es zudem zur Freigabe homosexuellen Geschlechtsverkehrs in Lawrence v. Texas (2003).


Warum lehnen viele Evangelikale vehement den Sozialstaat oder wie jüngst geschehen Obamas geplante allgemeine Krankenversicherung ab, wenn sich aus der Bibel doch das Einstehen für Arme herauslesen lässt?

Weil sie dagegen sind, dass der Staat sich der Armen annimmt. Das ist in ihren Augen eine zentrale Aufgabe der christlichen Gemeinden. Hinzu tritt ihr altliberaler Individualismus, nach dem jeder Staatseingriff zum einen die Möglichkeiten des Marktes unterminiert, zum anderen auch die Freiheit des Individuums (selbst wenn dieser Eingriff gut gemeint ist, wobei viele Rechtsevagelikale unterstellen, all diese Eingriffe dienten letztlich der Herrschaft einer Minderheit). Linksevangelikkale sehen dies traditionell anders, sie befürworten meist den welfare state.

 

Lässt sich eine einheitliche Position der Evangelikalen zum Thema Umweltschutz oder Klimawandel skizzieren?

Nein, in keiner Weise. Diese Themen sind unter Evangelikalen und Pentekostalen in hohem Maße umstritten. Unter den jüngeren Evangelikalen zeichnet sich sogar eine erhöhte Bereitschaft ab, Umweltfragen nachhaltig zu diskutieren.


Natürlich ist die Christliche Rechte ein prägender Faktor US-amerikanischer Politik, doch wie mächtig ist sie wirklich?

Das ist im Moment schwer zu sagen. Generell ist die christliche Rechte in sich viel zerstrittener als nach außen suggeriert wird, insbesondere seit dem Ende der Christian Coalition. Die diversen Führungsfiguren harmonieren oft nicht besonders gut miteinander, sei es aus machtpolitischen, sei es aus theologischen Gründen. Aber in bestimmten Regionen der USA (im Süden, im Mittleren Westen, in Teilen Kaliforniens) gibt es weiterhin sehr einflussreiche Organisationen der christlichen Rechten. Vor allem aber ergibt sich die Macht dieser Gruppen aus ihrer Fähigkeit zu mobilisieren. In einem Land, in dem nur um die 50 % der Wähler tatsächlich zur Wahl gehen, sind diejenigen, die wählen, überrepräsentiert. Man sollte dabei aber auch immer berücksichtigen, dass die Christliche Rechte keines ihrer Ziele, z.B. Kreationismus, Abtreibungsfrage, Homosexuellenrechte, nationwide, sondern höchstens auf Ebene der Bundesstaaten durchsetzen konnte.

Gleichzeitig sprechen Sie auch davon, dass die Bibeltreuen letztlich doch nicht so bibeltreu seien. Wie begründen sie das?

Religionssoziologische Untersuchungen haben gezeigt, dass das religiöse Wissen auch unter denen, die von sich angeben, täglich in der Bibel zu lesen, oft verheerend schlecht ist. Stephen Prothero etwa hat gezeigt, dass eine Mehrheit selbst frommer Amerikaner die Frage nach der Ehefrau Noahs mit Joan of Arc (als der frz. Nationalheiligen Jeanne d'Arc) angeben; Paul Boyer wies darauf hin, dass über 40 % der Evangelikalen glauben, Billy Graham sei der Sohn Gottes. Hinzu kommt ein selektiver Umgang mit Bibelzitaten. Das ist nicht allein ein Problem der wörtlichen Auslegung, sondern der gesamten Herangehensweise. Man gilt als religiös, wenn man etwas mit einem Bibelzitat belegen kann, aber der Zusammenhang des Zitates taucht oft nicht auf, um von abweichenden Positionen in anderen Teilen der Bibel ganz zu schweigen. Allerdings darf man nicht vergessen, dass für viele gläubige Amerikaner nicht die Rechtgläubigkeit, sondern das rechte Handeln im Vordergrund steht, weswegen amerikanische Evangelikale (dies hat jüngst Robert Putnam schön gezeigt) in ihrem Alltagshandeln wesentlich umgänglicher und toleranter sind, als es ihre religiösen Einstellungen prima facie vermuten lassen würden.


2007 haben Sie einen Niedergang der Christlichen Rechten prognostiziert. Sie begründeten dies vor allem mit einem Vertrauensverlust infolge des Irakkrieges. Obwohl seitdem erst 4 Jahre vergangen sind, gab es viel Bewegung in der politischen Landschaft. Halten sie also an ihrer Prognose fest?

Ja, uneingeschränkt! Meiner Ansicht nach ist viel von dem apokalyptischen Enthusiasmus der 1990er Jahre inzwischen weg, nachdem sich die Wiederkunft Christi erneut herausgezögert hat. Wir befinden uns im Übergang zu einer deutlich institutionelleren, bürokratischen Phase, was freilich nicht heißt, dass die christliche Rechte einfach verschwindet. Vor allem in den großen Städten und in der Jugend haben sie aber Probleme, hinzu kommt, dass sie, etwa in der Frage der Stabilität von Familien (Ehescheidungen) oft nicht besser dastehen als der Rest der Bevölkerung, was zu interner Selbstkritik führt.


Kann man in der jetzt entstehenden Tea-Party-Bewegung ein Wiederaufleben der Christlichen Rechten beobachten?

Eher nicht. Das Tea Party Movement stellt eher die Wiederkehr des Politisch-Ökonomischen dar. Zwar sind hier auch Angehörige der christlichen Rechten involviert, die Meinungsführerschaft aber haben sie im Moment nicht. Für Ron Paul lässt sich etwa sagen, dass er zwar ein durchaus konservatives Glaubensverständnis hat, dieses aber, ausgehend von seiner libertären Haltung her niemandem aufzwingen möchte.

Christliche Politik ist nicht unbedingt rechts. Spielt auch für die Demokraten oder Präsident Obama die Spiritualität eine große Rolle?

Etwa 30 – 40 % der Evangelikalen gelten als Linksevangelikale, darunter sehr prominent Jimmy Carter, der Ex-Präsident aus den 1970er Jahren. Sie stehen insgesamt den Demokraten näher als den Republikanern, haben aber etwa in der Abtreibungsfrage Schwierigkeiten mit der Parteilinie. In seinem Wahlkampf hat Barack Obama aber sehr offensichtlich versucht, durch seine messianische Selbststilisierung und seine beharrliche Zuwendung zu den Evangelikalen, etwa im Gespräch mit Rick Warren, den von den Republikanern teilweise enttäuschten Rechtsevangelikalen zu signalisieren, dass sie bei den Demokraten eine neue Heimat finden könnten. Ich bezweifele allerdings, dass ihm das auf breiter Front gelungen ist.


Wie kann man die politische Ausrichtung der black church grob kategorisieren?

Sie steht politisch links von der Mitte, wenn es um den Wohlfahrtsstaat geht, ist aber sozial durchaus konservativ, etwa in ihrer Ablehnung der Schwulenehe. Das schwarze Milieu kann ziemlich homophob sein. Außerdem stand die black church oft kritisch Israel gegenüber. Dies erklärt sich vor allem aus einem links motivierten Antizionismus, teilweise auch aus einem Rassismus gegenüber Weißen und vor allem aus Solidarität mit den Palästinensern, die man ebenso wie sich selbst als underdogs und Verlierer des Kapitalismus betrachtete.

Schwarzen gelingt immer häufiger der gesellschaftliche Aufstieg, die Republikaner versuchen politische Gegengewichte zu Obama aufzubauen und auch die Christlichen Zionisten werben unter Afroamerikanern immer häufiger um Unterstützung für Israel.

 

Wird die black church sich zukünftig vielleicht stärker konservativ ausrichten?

Das ist in den Teilen der black church, die sich der schwarzen Mittelklasse annimmt, schon jetzt deutlich erkennbar.

 

Wie ist ihr Interesse an der Bedeutung der Religion auf die US-amerikanische Politik entstanden?

Durch meine Aufenthalte vor allem im ländlichen Indiana, wo man kaum leben kann, ohne gelegentlich evangelikale Radiosender zu hören oder entsprechenden TV-Predigern zuzuhören.

Können Sie vielleicht von einer einprägsamen persönlichen Begegnung erzählen?

Zum einen die Erfahrung sehr lebendiger und politisch-gesellschaftlich durchaus heterogener Gemeinden, die meist durch einen charismatischen Pastor zusammengehalten wurden und die gerade nicht dem Bild der fanatischen und verblödeten Hillbillies entsprachen, das wir uns allzu oft von Evangelikalen machen.

In diesem Zusammenhang habe ich einmal eine Gruppe junger Evangelikaler gefragt, warum sie so ausschließlich über Fragen der Abtreibung sprächen und eine Frau antwortete mir ganz offen: "Weil es das Einzige ist, was uns alle zusammenhält! In allen anderen gesellschaftlichen und politischen, ja sogar theologischen Fragen driften unsere Ansichten komplett auseinander." Zum anderen dann wieder die stereotype Erfahrung eines Leserbriefs in der South Bend Tribune, wo ein offenkundig fundamentalistischer Christ im Jahr 2000 schrieb, er sähe nicht ein wozu gewählt werde, da doch klar sei, dass George W. Bush der Kandidat Gottes sei (und man sich unwillkürlich im Iran wähnte). Diese differenzierte Vielfalt, die alle Vorurteile bestätigt und zugleich fragwürdig werden lässt, hat mich fasziniert.

Viele Kritikpunkte an der Christlichen Rechten treffen auch auf die katholische Kirche zu. Wie gehen sie als Katholik damit um?

Nun, das kommt auf den Kritikpunkt an. Ich bin selbst ein eher konservativer, am neuscholastischen Thomismus bzw. Molinismus ausgerichteter Katholik. Das heißt, dass ich manches anders sehe als die Evangelikalen und Fundamentalisten. Vor allem teile ich die anthropologischen Grundlagen ihrer Lehre nicht, sondern hänge an dem scholastischen Axiom: gratia supponit naturam, sed non destruit. [„Die Gnade setzt die Natur voraus und zerstört sie nicht.“] Das betont den Eigenwert und die Freiheit menschlicher, rationaler Spekulation in Philosophie und Naturwissenschaften deutlich stärker als das protestantische Menschenbild.

Es ist - ungeachtet des Falles Galilei - kein Zufall, dass Darwins Buch nie auf dem Index librorum prohibitorum [Index der verbotenen Bücher] stand. Ich stehe also dem Subjektivismus fundamentalistischer Bibellektüre kritisch gegenüber. Die Bibel legt sich nicht selbst aus, sie muss im Kontext der Tradition, des Lehramtes und der rechtgeleiteten Vernunft gelesen werden. Zudem kann ich als Anhänger der naturrechtlich ausgerichteten katholischen Soziallehre wenig mit dem überzogen staatskritischen Individualismus der evangelikalen oder fundamentalistischen Wirtschaftsethik anfangen, die doch ein eigentümlich neoliberales Gepräge hat.

Prof. Hochgeschwender, ich danke für das Gespräch.