"Projekt 2025" (Teil 1):

Die Demokratie stirbt nicht in Finsternis, sie wird am hellichten Tag erdrosselt

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Trump wird von einigen seiner Anhänger*innen sogar religiös verehrt
Trumpverehrung

In weniger als einem halben Jahr ist es wieder einmal soweit: Das mächtigste demokratisch gewählte Amt der Welt wird vakant. Wie schon 2020 kandidieren Joe Biden und Donald Trump, doch von den Kandidaten abgesehen könnten die Umstände dieser Wahl kaum unterschiedlicher sein. Grund dafür ist "Projekt 2025", ein überaus ambitionierter autoritärer und christlich-nationalistischer Aktionsplan für die ersten 180 Tage der nächsten republikanischen Präsidentschaft.

"Democracy dies in darkness" – die Demokratie stirbt in Finsternis, so lautet das Motto einer der renommiertesten Zeitungen der Vereinigten Staaten, der Washington Post. Autoritäres Gedankengut kann sich nur dann durchsetzen, wenn es nicht stark genug beleuchtet wird, lautet die Losung im US-amerikanischen freien Wettbewerb der Ideen. In der Arena der öffentlichen Debatte müssen autoritäre Kräfte bildlich gesprochen das Licht ausknipsen, damit niemand mitbekommt, dass sie nur durch Betrug zu siegen vermögen.

Doch die Kräfte, die die US-Demokratie aus den Fugen zu heben versuchen, agieren längst nicht mehr im Verborgenen. Mit "Project2025: Mandate for Leadership" liegt seit einigen Monaten ein knapp 1.000-seitiger Aktionsplan vor, der den vollumfänglichen Umbau des Staatsapparats mitsamt seiner Ministerien und Bürokrat*innen mit nahezu chirurgischer Präzision beschreibt.

Wie schon 1981, als ein "Mandate for Leadership" für die Regierung Reagan produziert wurde, tritt mit der Heritage Foundation ein ultrakonservativer und neoliberaler Think Tank als Wortführer auf. Zahlreiche der über 80 das Projekt unterstützenden Organisationen sind dem Spektrum des christlichen Nationalismus zuzuordnen. Im ersten Teil dieses Essays werfen wir einen Blick auf Agenda und Inhalt des "Projekt 2025", im zweiten Teil werden wir uns mit einigen dieser christlich-nationalistischen Organisationen und ihren politischen Verflechtungen beschäftigen.

"Wir müssen den Raum mit Konservativen fluten"

Die Strategie, den Diskursraum absichtlich mit einer unmöglich großen Menge an Falsch- und Desinformation zu fluten, ist unter zwei Namen bekannt: Blicken wir von Europa aus nach Osten, sprechen wir häufig vom russischen "Feuerwehrschlauch der Unwahrheit", blicken wir nach Westen begenet uns Steve Bannons Axiom "Überflute den Raum mit Schei*e". Mit dieser Information im Hinterkopf werfen wir nun einen Blick auf den ersten Kernaspekt von "Projekt 2025": die Demontage demokratischer Kontrollprozesse und des administrativen Staats.

So beschreibt der Direktor der Dachorganisation, Paul Dans, die avisierte Umstrukturierung der US-Bürokratie wie folgt: "Wir müssen den Raum mit Konservativen fluten". Damit gemeint ist die Entlassung von bis zu 50.000 Bundesangestellten und deren Ersatz durch Kandidat*innen, die zuvor von "Projekt 2025" konzipierte Gesinnungsprüfungen durchlaufen haben. In den Worten des ehemaligen Trump-Assistenten und "Projekt 2025"-Seniorberaters John McEntee: "An erster Stelle steht die Identifikation mit der Agenda, an zweiter Stelle die Kompetenz".

Möglich ist dies durch ein Präsidialdekret aus der letzten Amtszeit Trumps, das unter dem Namen "Schedule F" firmiert und von Joe Biden quasi noch bei Amtsantritt einkassiert wurde. Von den rund zwei Millionen Bundesangestellten werden nur etwa 4.000 von der jeweiligen Regierung bestellt und können nach Gutdünken abberufen (sprich: entlassen) werden, die anderen haben feste Arbeitsverträge und genießen einen gewissen Kündigungsschutz. "Schedule F" reklassifiziert mehrere zehnausend dieser administrativen Positionen, darunter auch solche bei Finanzamt, Umweltschützbehörde sowie Finanz- und Handelsaufsicht. Die Besetzung dieser Positionen mit Loyalist*innen, die primär nach der Verlässlichkeit ihrer ultrakonservativen Gesinnung und weniger nach tatsächlicher Kompetenz ausgewählt werden, dürfte wohl katastrophale Folgen haben.

Besondere Aufmerksamkeit verdient der im "Projekt 2025"-Positionspapier auf Seite 547 geäußerte Wunsch nach einer Umstrukturierung des Justizministeriums und des Inlandsgeheimdiensts FBI "von oben nach unten". Hier zeigt sich, dass man aus dem gescheiterten Coup von 2020/2021 gelernt hat. Damals nämlich drohte beinahe die gesamte oberste Riege des Justizministeriums mit sofortiger Kündigung, sollte Trump seinen Verbündeten Jeffrey Clark vorübergehend zum Justizminister ernennen und unter dem fingierten Vorwand des Wahlbetrugs Wahlmaschinen aus verschiedenen Bundesstaaten beschlagnahmen.

Bibelbasierte Sozialpolitik

Die ideologische Legitimation für diesen unverblümten Griff nach der Macht ist der christliche Nationalismus. Dieser ist überzeugt, dass die Vereinigten Staaten dem ersten Verfassungszusatz zum Trotz als christliche Nation intendiert sind. Mehr noch: Anhänger*innen des christlichen Nationalismus denken nicht selten, dass die Vereinigten Staaten ein direktes Geschenk Gottes an Weiße Evangelikale sind. Greifen wir nun einige Zitate aus dem Positionspapier heraus, die den Vorwurf der Theokratie stützen.

In Bezug auf Eheschließungen heißt es auf Seite 481: "Die Ehe kann nicht zwischen zwei beliebigen Erwachsenen, sondern nur zwischen einem Mann und einer nicht-verwandten Frau geschlossen werden." Das ist gleich doppelt interessant: Einerseits hieße das die Rücknahme von Obergfell v. Hodges, der Gerichtsentscheidung, die die gleichgeschlechtliche Ehe bundesweit legalisierte, sowie des Respect for Marriage Act von 2022, der die einzelnen Bundesstaaten zwingt, in anderen Bundesstaaten legal geschlossene Ehen als gültig anzuerkennen. Andererseits ist die pauschale Ablehnung jeglichen Verwandtschaftsverhältnisses reichlich kurios, schließlich sind eine ganze Menge Männer mit einer Frau verheiratet, die genetisch gesehen ihre Cousine fünften, sechsten oder siebten Grades ist.

Diese verquaste Formulierung erinnert ein wenig an eine der Thesen aus Joseph Henrichs Buch "Die seltsamsten Menschen der Welt", der zufolge Reichtum und Einfluss der katholischen Kirche sich nicht zuletzt aus einer spezifischen Kombination von Ehe- und Erbvorschriften speisten. Die katholische Kirche ist die so ziemlich einzige Organisation in der Geschichte unserer Spezies, die versuchte, Eheschließungen zwischen Menschen, die derart lose miteinander verwandt waren, zu unterbinden – und das war vor Jahrhunderten. Derlei Formulierungen im Jahr 2024 wiederzufinden, mutet verwunderlich an.

"Wir erheben uns für unsere Fahne und wir knien vor unserem Kreuz", Foto: © Gilbert Mercier, Flickr, CC BY-NC-ND 2.0

Aufschrift an evangelikaler Kirche: "Wir erheben uns für unsere Fahne und wir knien vor unserem Kreuz", Foto: © Gilbert Mercier, Flickr, CC BY-NC-ND 2.0

Hinsichtlich der Ehe- und Familienpolitik finden wir auf Seite 481 einen interessanten Passus: "Wir müssen eine auf der Bibel basierende, von den Sozialwissenschaften gestützte Vorstellung der Ehe und der Familie bewahren." Damit ist gemeint, dass man gerne entwicklungspsychologische Studien hätte, die beweisen, dass Kinder nicht von Alleinerziehenden oder Homosexuellen aufgezogen werden sollten, sondern ausschließlich von einem heterosexuellen, verheirateten Paar, weil das ist, was in der Bibel steht.

Bezeichnend ist auch der Begriff "bewahren", nicht etwa "schaffen" oder "darauf hinarbeiten" – denn dies suggeriert schließlich einen Status Quo, in dem das biblische Familienbild tatsächlich von den Sozialwissenschaften als anderen Lebensmodellen überlegen betrachtet würde und diese Vorherrschaft nun von irgendwoher unter Beschuss sei. Davon allerdings kann selbst bei einem nur flüchtigen Blick in ein halbwegs brauchbares psychologisches oder soziologisches Journal wahrlich nicht die Rede sein.

Der "Jefferson'sche Kompromiss": Trennung von Kirche und Staat in den USA

Abschließend widmen wir uns einer Position zum Steuerrecht, die auf Seite 35 zu finden ist: "In diesen Zeiten bedroht die politische Linke die Steuerbefreiungen für Kirchen und Stiftungen, die sich wokem Progressivismus verweigern. Bald werden sie sich mit dem selben totalitären Eifer auf christliche Schulen und Vereine stürzen."

Hierzu muss man wissen, dass die Trennung von Kirche und Staat in den USA anders funktioniert als in Europa – Stichwort "Jefferson'scher Kompromiss". Kirchen und religiöse Organisationen werden in der Tat so gut wie nicht besteuert, sie entrichten weder Grund- noch Körperschaftssteuer, doch diese Privilegien haben ihren Preis: Weltanschaulichen Gruppierungen, die sie beanspruchen, ist es von Rechts wegen verboten, politisch aktiv zu werden. Weder dürfen Sie einzelne Kandidat*innen unterstützen, noch dürfen sie Wahlwerbung schalten oder Spendenkampagnen ausrufen.

So zumindest die Theorie. In der Praxis allerdings gibt es dutzende, wenn nicht sogar hunderte meist evangelikale Gemeinden, die diese Vorgabe seit Jahren in den Wind schießen und ihre nicht selten üppigen Einkünfte trotzdem steuerfrei verbuchen. Die Kontrollinstanzen sind wahlweise desinteressiert oder im Verhältnis zur schieren Menge an Weltanschuungsgemeinschaften schlicht heillos unterbesetzt.

Die Forderung, steuerbefreite Kirchen, Schulen und Vereine auf die Einhaltung dieses Kompromisses zu verpflichten und bei Missachtung zur Kasse zu bitten, ist also kein "woker Progressivismus" und erst recht kein "totalitärer Eifer", sondern das konstitutionell vorgegebene Mindestmaß an Trennung von Kirche und Staat. Diese Forderung zu diskreditieren heißt, den ersten Verfassungszusatz zu diskreditieren.

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