"Gotteskinder" von Frauke Lodders nimmt sich einer direkten Kritik an christlichen Hardlinern an. Mit gelungenen Hauptrollen und wohldosierten filmischen Reduktionen gelingt es, für Gesprächsstoff über das Christentum sowie seine extremistischen Sonderformen zu sorgen. Doch der Film hat auch einige, teils bedenkliche Schwächen.
Hanna und Timo leben mit zwei jüngeren Geschwistern in einem christlichen Hardliner-Haushalt. Das christliche Miteinander wirkt erst familiär und gemeinschaftsstiftend. Es bietet den Familien- und Gemeindemitgliedern Halt und Orientierung. Schnell zeigt sich aber, dass der Schein trügt. Timo ist der Gleichgeschlechtlichkeit zugeneigt. Er befindet sich damit in einem direkten Konflikt zu den ihm anerzogenen christlichen Werten, die ihm Homosexualität verbieten. Ein weiterer Konflikt entsteht durch seinen Wunsch, seinen Vater stolz zu machen. Hanna verliebt sich dagegen in Max – einen zugezogenen, aus schweren Familienverhältnissen stammenden Nichtgläubigen. Daraus erwächst ein Konflikt zwischen christlicher und nicht-christlicher Lebensführung und Erziehung. Nach der raschen Etablierung der wesentlichen Figuren samt ihren Beziehungen zueinander zeigt der Film durchgängig, wie Hanna und Timo mit starker innerer Zerrissenheit kämpfen. Dieser Kampf endet jeweils auf individuelle und tragische Weise.
Der Film legt schnell die recht einfachen Grundlagen der weiteren Erzählung. Er fokussiert sich zudem auf den Bruch zwischen christlichen und nichtchristlichen Vorstellungen von Verliebtsein, Liebe und Sexualität. Dadurch macht der Film bereits frühzeitig vermeintliche Höhepunkte der Erzählung vorhersehbar. Alles, was geschieht, geschieht nicht überraschend. Daher wirkt der zu Beginn dargestellte Kontrast von hehren christlichen Absichten, Orientierung, Gemeinschaft und Halt zu verschaffen, und patriarchalischem, dogmatischem und gewaltbereitem Familienleben kaum. Man ahnt einfach viel zu leicht, was hinter allem steckt. Des Weiteren ist man sich zu schnell im Klaren, wer in wen verliebt ist und dass dies zu Konflikten führen wird. Man fragt sich nur, wie und wann alles eskalieren wird. Auch die vermeintlich tragischen Auswege aus den aufgebauten konfliktären Situationen wirken wenig innovativ.

Was den Film aber stark macht, ist, dass er tendenziös ist. Er geht mit seiner Erzählstruktur besonders gegen christliche Hardliner an. Das ist vor allem heutzutage sehr attraktiv, weil immer wieder von christlich-abendländlichen Werten schwadroniert wird. Der Film gibt einen Einblick darin, was es mit diesen Werten auf sich haben kann. Er portraitiert Heuchelei, Lüge, Dogmatismus, Antifeminismus, Intoleranz, Engstirnigkeit, Rückwärtsgewandtheit, Schwäche und vor allem Gewalttätigkeit. Die Botschaft ist klar: Hinter dem Christentum steckt eine mehr als bedenkliche Institutionalisierung und Gehirnwäsche, die in einem säkularisierten Deutschland aufzudecken, anzusprechen und zu stoppen sind.
Die Rolle von Hanna, gespielt von Flora Li Thiemann, entwickelt sich langsam und stetig über den Film. Von einem treuherzigen christlichen Mädchen wandelt sich Hanna zu einer Persönlichkeit, die Dinge infrage stellt und schließlich aus eigener Kraft Verantwortung übernimmt. Flora Li Thiemann gelingt es dabei bestens, Hannas Entwicklung schauspielerisch darzustellen. Sie zeigt, in welcher Zerrissenheit Hanna lebt und wie sie sich allmählich traut, ihre eigenen Gedanken und Wertungen zu entwickeln. Die Rolle von Timo, gespielt von Serafin Mishiev, ragt besonders heraus. Von Anfang an zeigt der Schauspieler meisterhaft den im Inneren der Figur tobenden Konflikt sowie sämtlichen Schmerz und alle Orientierungslosigkeit, die mit Timos Situation einhergehen. Die schauspielerische Leistung ermöglicht direkten Einblick in das Seelenleben von Timo.
Jenseits dieser Rollen gibt es leider keine Lichtblicke. Das liegt aber weniger an den Schauspielerinnen und Schauspielern selbst. Vielmehr sind die übrigen Rollen unglaublich eindimensional und langweilig. Damit wird es den übrigen Schauspielerinnen und Schauspielern verunmöglicht, besondere Leistungen zu zeigen. Zumindest die Rolle von Max, gespielt von Michelangelo Fortuzzi, hätte mehr Tiefe vertragen. Max tritt als Vertreter des gesunden Menschenverstandes auf und ist damit Antagonist zu allen christlichen Hardlinern im Film. Von ihm erfährt man jedoch nicht viel Persönliches. Sein Vater starb, seine Mutter ist verzweifelt, Max selbst ist in Hanna verliebt – das war es schon. Das ist verschenktes Potenzial einer an sich interessanten Rolle. Alle anderen Figuren des Films – jenseits von Hanna und Timo – wirken insgesamt weniger wie eigenständige Persönlichkeiten, sondern vielmehr wie stark konstruierte Lückenfüller, die nur bestehen, um Hanna und Timo wirken lassen zu können.
Die Szenen wurden mit einer handgehaltenen Kamera gedreht. Sie begleitet die Figuren immer sehr nahe, sodass der Film wie eine Portrait-Studie wirkt. Das ist reizvoll und erlaubt mehr Nähe – besonders zu den Hauptrollen. Damit verzichtet er auch überwiegend auf redundante weitwinkelige Atmosphären-Aufnahmen, die in anderen Filmen oftmals nur zum füllenden Beiwerk verkommen. Sehr angenehm ist es auch, dass der Film mit Ausnahme von ein paar live gespielten Songs mit Gitarrenbegleitung ohne Filmmusik auskommt. Oft ist es der Fall, dass Filmmusik das Denken abnimmt. Eine interessante, diffuse Szene wird dann beispielsweise durch romantische Musik erklärt. Darauf verzichtet "Gotteskinder", sodass Zeit und Chance für eigene Reflexionen bleiben. Als stilistisches Mittel ist nur genau dann ein unangenehmes fiependes Geräusch zu hören, wenn Hanna oder Timo einen besonders intensiven inneren Konflikt mit sich ausmachen. Durch den Einsatz des Geräuschs wird aber die Szene nicht weiter erklärt, sondern man erhält vielmehr einen tieferen Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt beider Geschwister. Um die ausbaufähige Erzählstruktur des Films auszugleichen, wird oft auf sexualisierte und gewaltzeigende Szenen zurückgegriffen, die freilich ihren Effekt während des Zuschauens erzielen. Dennoch lässt sich damit die Erzählstruktur nicht retten, die aufgrund von zu viel Eindeutigkeit und zu wenig Überraschungen oder Tiefe den Film unverdient mittelmäßig erscheinen lässt.
Was bleibt vom Film?
Der Film bietet eine Grundlage, über etwas verstärkt nachzudenken, das immer noch viel zu wenig kritisch betrachtet wird: das Christentum samt seinen extremistischen Sonderformen. Er zeigt dabei mehrmals physische und psychische Gewalttaten an Schutzbefohlenen sowie Tatbestände der Freiheitsberaubung. Im Film wird jedoch kaum auf diese Rechtsbrüche eingegangen. Sie werden vielmehr einfach hingenommen und ignoriert. Möglichkeiten des Einsatzes von Polizei und Jugendamt werden nicht thematisiert. Es sollte dringend darauf hingewiesen werden, dass man keine Form von Gewalt oder Freiheitsberaubung erdulden muss – besonders nicht als Kind. Es gibt stets Mittel, sich dagegen zu wehren. Dass der Film keine Sekunde darauf verwendet, diesen Umstand zu erwähnen, ist verwunderlich und höchst bedenklich. "Gotteskinder" kann man sich ansehen. Der Film hat Potenzial. Da er aber aufgrund seiner Schwächen nicht für sich sprechen kann, gilt der Rat, ihn nach dem Anschauen selbst einer kritischen Würdigung zu unterziehen.
"Gotteskinder", Deutschland 2023, Drama, 117 Minuten, Regie: Frauke Lodders, FSK 12
