Katja Liebal / Foto: Simone Guski Die Leipziger Schule, der auch Katja Liebal angehört, verweist mehr auf die Unterschiede zwischen Mensch und Affe, als auf deren Gemeinsamkeiten. Anders als Frans de Waal, der mit seiner Theorie vom „guten Affen“ und „Affen als Moralisten“ weltweit Furore machte. In diesem Sinne betont Katja Liebal auch, dass Affen nur selten aktiv Futter teilen, viel öfter tolerieren, dass ihnen etwas weggenommen wird.
Auch in der Mimik sind die Ähnlichkeiten bei Mensch und Primaten in ihrer Anwendung und Bedeutung nur schwer eindeutig nachzuweisen, so die junge Primatenforscherin. Zwar beobachtet man an den Bonobos eine Mimik ähnlich unserem Lachen, doch bedeutet sie offenbar eher Unsicherheit und Angst – Gefühle, die auch Menschen mitunter lachen lassen, möchte man hinzufügen. Während unserem Lachen bei den Orang Utangs ein weit geöffneter Mund entspricht. Trotzdem, Affen lachen genau wie wir, wenn man etwa einen jungen Orang kitzelt. Allerdings sowohl bei Einatmen als auch beim Ausatmen, eben anders als wir.
Sie teilen auch. Eine dazu ansatzweise diadische Geste beobachtete Katja Liebal, als ein junger Orang mit aufgehaltener Hand, die er einem Nüsse fressenden älteren Orang unter den Mund hielt, um Futter bettelte - wobei er allerdings in der filmisch dokumentierten Szene nur die leeren Nussschalen als Gabe erhielt.
Es gilt, den Kontext bei der Interpretation der Mimik zu berücksichtigen, will man keine Fehler bei der Deutung machen. Bei entsprechender Umsicht kann man, beobachtet man einen ganzen Handlungszusammenhang, doch wieder auf überraschende Ähnlichkeiten stoßen. So wurde in Leipzig beobachtet, wie, nachdem ein Schimpanse einem anderen Futter, das sich auf einem Tisch zwischen ihren beiden sie trennenden Käfigen befand, wegzog, der geprellte Affe, begleitet von einem gewaltigen Wutausbruch, den ganzen Tisch mit Hilfe einer eingebauten Hebelvorrichtung zum Zusammenklappen brachte - so konnte nun keiner der beiden mehr an das Futter gelangen. Geteiltes Leid ist immerhin halbes Leid!
Können Affen Trauer zeigen? Oft wird berichtet, dass Affenmütter ihr totes Junges tagelang mit sich herumschleppen oder sich Affengruppen lange Zeit um ihren toten Artgenossen scharen. Doch, wendet Katja Liebal ein, kann man wirklich ausschließen, dass sie nicht einfach Interesse an dem Zustand des toten Tieres haben?
Um mehr über die Emotionen von Gibbons sagen zu können, untersucht Liebals Team zunächst die Funktion der an der Mimik beteiligten Muskeln, die über minimale elektronische Reize ausgelöst wurden, im Vergleich zu Menschen, bei denen eine englische Forschergruppe ähnliche Experimente ausführte. Im Prinzip dieselben wie 1862 Charles Darwin. Nun wird in so einem derart objektivierenden Verfahren notiert, welche Muskeln wie an welcher Mimik beteiligt sind, ohne eine Voraussage über den emotionalen Kontext machen zu müssen. Den bezog der Erfinder der Evolutionstheorie seinerzeit freilich schon ausdrücklich mit ein, als er Fotos von Kindern der englischen Mittelschicht anfertigen ließ und auf ihre emotionalen Ausdrucksmöglichkeiten miteinander und 1872 durch entsprechende Bildgegenüberstellungen in seinem Archiv mit der Mimik etwa eines lachenden Makaken verglich.
Für die Gibbons entschied man sich in Leipzig zunächst trotz oder gerade weil man davon ausgehen musste, dass die relativ monogam in Kleinstgruppen lebenden Tiere voraussichtlich über eine eher begrenzte Mimik verfügen. Als Grundregel gilt: „Sie wird stets umso vielfältiger, je komplexer die Gruppen werden, denn damit wird die Kommunikation zwangsläufig umfangreicher und flexibler“. Die Muskeln sind ähnlich wie beim Menschen, das mimische Repertoire auch, doch steht die Beantwortung der Frage nach den sie auslösenden Emotionen noch ganz am Anfang der Forschung.
Empathie wiederum ist weit mehr als pure Emotion, empathisch wird die Position des anderen eingenommen. Und sie ist die Voraussetzung für Hilfe. Diesem Phänomen unter den Menschenaffen ist gleich Frans de Waal auch Katja Liebal in einem anderen Forschungsprojekt auf der Spur. Wie Tomasello es oft getan hat, vergleicht sie hierbei das Verhalten von Kleinkindern und Primaten. 18 Monate alte Kinder schenken einem ihnen unbekannten Erwachsenen einen Luftballon, wenn dieses Spielzeug ihm abhanden gekommen ist und sie selbst über zwei verfügen. Tun Menschenaffen etwas Vergleichbares? 50 Prozent aller Orangs, die zweite neben den Gibbons von Liebal genauer untersuchte Menschenaffenart, helfen ihrem Artgenossen. Sie tun dies in einem Versuch, wenn dieser nicht an das Futter außerhalb seines Käfigs heranlangen kann, indem sie ihm ein Stöckchen durch die trennenden Gitterstäbe von einem in den anderen Käfig hinüberreichen, obwohl sie damit nicht einmal selber an das Futter herankommen können. Ja, einer reichte sogar auf Signale des bemühten Affen ein längeres Stöckchen, als sich das zunächst ausgehändigte als zu kurz erwies. „Orang Utangs helfen sogar weit öfter als andere Menschenaffenarten und erweisen sich damit noch vor den Bonobos oder Schimpansen als die empathischsten aller Menschenaffen“, stellte Katja Liebal fest. Eine Situation des moralischen Ausgleichs bei einer Schädigung erfassen sie allerdings nicht, wenigstens nicht, wenn es nicht um die eigene geht. Affen sind eben doch keine Moralisten.
Simone Guski