„Einer muss das Eis brechen.“

hilgendorf.jpg

Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf / Foto: dghs

WÜRZBURG. (hpd/hls) Seit Februar 2012 ist Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). Im Gespräch mit Dr. Simone Scheps erklärt er, wie er zur DGHS kam und weshalb er sich vor allem eine klare gesetzliche Regelung der Sterbehilfe in Deutschland wünscht.

HLS: Herr Prof. Hilgendorf, wie sind Sie auf die DGHS gestoßen?

Hilgendorf: Die DGHS kenne ich schon lange -  ich weiß gar nicht wie lange schon, bestimmt schon 20 Jahre. Engere Kontakte habe ich über Herrn Prof. Birnbacher (Anm.: Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der DGHS) knüpfen können. Ich arbeite auch wissenschaftlich im Bereich Sterbehilfe, und habe dann vor einiger Zeit, fast spontan, entschieden, mich noch stärker als bisher zu engagieren und in die DGHS einzutreten.

Gab es dazu einen Anlass?

Ein persönlicher Anlass war eine sehr schwere Erkrankung meiner Mutter, die mir vor Augen geführt hat, wie schnell die Sterbehilfeproblematik praktisch relevant werden kann. Darüber hinaus hatte ich das Bedürfnis, bestimmte Positionen auch einmal nach außen zu dokumentieren.

Was erhoffen Sie sich durch Ihre Mitarbeit im Wissenschaftlichen Beirat?

Mein Eindruck ist, dass die DGHS, was juristische Unterstützung angeht, besser dastehen könnte. Das hat vielleicht mit einer zu großen Zurückhaltung vieler meiner Kollegen zu tun. Ich denke, einer muss das Eis brechen.

Wie kam es zu Ihrem Interesse am Thema Sterbehilfe?

Das Themenfeld ist schon deshalb interessant ist, weil es Recht und Moral sehr eng verknüpft. Ich habe auch Philosophie studiert und erst später mit der Rechtswissenschaft angefangen. Sterbehilfe ist ein Thema, das Philosophen und Juristen an einen Tisch bringt.

Womit hängt es zusammen, dass Ihre juristischen Kollegen noch sehr zurückhaltend auf das Thema Sterbehilfe reagieren?

Es hat wahrscheinlich damit zu tun, dass das ganze Feld juristisch nicht klar strukturiert ist und dass in sehr hohem Maß weltanschauliche und moralische Fragen eine Rolle spielen. Die meisten Juristen üben bei derartigen Themen große Zurückhaltung. Wir sind gerade im Strafrecht darauf trainiert, nur die Gesetze anzuwenden. Im Bereich der Sterbehilfe ist aber die Rechtslage so unbestimmt, dass man aus dem Gesetz selber kaum etwas Eindeutiges ableiten kann.

Gibt es eine Fragestellung zum Thema Sterbehilfe, mit der sie sich demnächst beschäftigen möchten?

Ich möchte mich v.a. mit der Frage des assistierten Suizids in Kontext mit Sterbehilfe auseinandersetzen. Es ist eine sehr interessante Entwicklung, dass sich die Ärztevertreter von der BGH-Rechtsprechung abkoppeln wollen. Das hat es so noch nicht gegeben und ich glaube nicht, dass sich dieser Zustand auf Dauer halten lassen wird. Konkret geht es etwa um die Frage, was ein Arzt, der bei einem Suizid assistieren will, und sich dabei streng an den Vorgaben des Bundesgerichtshofes orientiert, tun kann, um sich vor Maßnahmen der Ärztekammer zu schützen. Wie weit hilft ihm das positive Recht gegen seine Standesvertreter? Ich sehe da durchaus Möglichkeiten.

Woran liegt es, dass sich die Ärzte in Deutschland beim Thema ärztlich assistierter Suizid noch recht bedeckt halten?

Es liegt wohl an der Existenz eines strafrechtlichen Graubereichs, noch genauer an der Angst, es mit dem Staatsanwalt zu tun zu bekommen. Wir haben ja merkwürdigerweise keine konkreten Regelungen über Sterbehilfe im Strafgesetzbuch. Das StGB regelt in § 212 den Totschlag, in § 211 den Mord und in § 216 die Tötung auf Verlangen. Dazu kommen ein paar Randtatbestände, etwa aus den Körperverletzungsdelikten. Das ist schon alles. Es ist eigentlich sehr erstaunlich, dass z.B. das Sozialrecht, das Baurecht, das Steuerrecht oder das Umweltrecht so stark durchreguliert sind, dass man auch als professioneller Jurist diese Regelungen kaum mehr verstehen kann, während ein so wichtiges Gebiet wie die Sterbehilfe weitgehend ungeregelt bleibt. Dies führt dazu, dass dem Rechtsanwender ein gewaltiger Entscheidungsspielraum verbleibt. Für einen Arzt ist ja schon allein die Tatsache, dass strafrechtlich ermittelt wird, eine berufliche Katastrophe. Er verliert u.U. seine Patienten. Selbst ein Freispruch kann da nichts mehr retten. Zum Glück hat der Bundesgerichtshof schon frühzeitig die Situation erkannt und ist jetzt dabei, durch seine Rechtsprechung immer engmaschigere Strukturen in das Recht der Sterbehilfe einzufügen

Wie stellen Sie sich persönlich ein würdiges Sterben vor?

Das ist eine schwierige Frage. Man denkt ja gewöhnlich nicht viel über das Sterben nach. Ich persönlich hoffe auf ein schmerzfreies Sterben nach einem erfüllten Leben, ein Sterben in Würde und ohne langes Siechtum. Mit diesem Wunsch unterscheide ich mich sicher nicht von den meisten anderen Menschen.

Wird sich in nächster Zeit etwas ändern, was die gesetzliche Regelung angeht?

Wir konstatieren seit ungefähr 20 Jahren einen Prozess fortlaufender Liberalisierung der Sterbehilfe, angestoßen durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Ich begrüße diese Rechtsprechung, meine aber, dass derartige Entwicklungen vom Gesetzgeber getragen werden sollten, nicht von den Gerichten. Richter sind ja grundsätzlich demokratisch nur mittelbar legitimiert, sie werden nicht durch die Bevölkerung gewählt und man kann sie auch nicht mehr abwählen. Alle für die Gesellschaft wesentlichen Entscheidungen sollten vom Parlament getroffen werden. Das ist übrigens eine Position, die sehr viele Juristen teilen. Dieser ganze Prozess der Liberalisierung von Sterbehilfe sollte deshalb endlich vom Gesetzgeber aufgenommen und in Gesetzesform festschrieben werden.

Was kann die DGHS tun, um dieses Gesetzvorhaben voranzubringen?

Gute Pressearbeit leisten, viele Veranstaltungen in der Öffentlichkeit durchführen, sich an Diskussionen beteiligen um die eigenen Positionen voranzubringen. Meines Erachtens ist die Diskussion in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Positionen der DGHS sind keine Außenseiterpositionen. Darum sollte sie sich selbstbewusst einbringen. 

Gibt es Hoffnung, dass es bald eine gesetzliche Regelung geben wird?

Ich bin nicht sehr optimistisch. Mein Eindruck ist, dass die Parteien sich um die nötigen Entscheidungen herumdrücken und es dem Bundesgerichtshof überlassen, die heißen Kartoffeln aus dem Feuer zu holen. Viele Abgeordnete geben im persönlichen Gespräch durchaus zu, dass die Sterbehilfethematik gesetzlich geregelt werden sollte. Die Parteien nehmen aber wohl auch aus taktischen Gründen davon Abstand, das Thema aufzugreifen, weil es einfach zu heikel ist. Ich hoffe dennoch, dass die eine oder andere Partei den Mut haben wird, die Fragen anzugehen, denn wenn die Politik nicht tätig wird, wird die Rechtsprechung weiter auf ihrem jetzigen Weg fortfahren und das gesamte Feld durch ihre Entscheidungen regulieren.

Herr Prof. Hilgendorf, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch mit Professor Hilgendorf führte HLS-Redakteurin Dr. Simone Scheps

 

Erstveröffentlichung in der aktuellen HLS 2012-2, S. 32-33.