Das Ende einer Schande

dr._karl_lueger-ring_01a.jpg

Straßenschild / Foto: wikimedia commons

WIEN. (hpd) Der Wiener Gemeinderat wird den Dr.-Karl-Lueger-Ring im Stadtzentrum umbenennen. Eine lokalpolitische Entscheidung um ein wenige hundert Meter langes Straßenstück mit einer Bedeutung, die weit über Wien hinausgeht.

Ein Kommentar von Christoph Baumgarten

Wäre mein Leben anders verlaufen, wenn ich in dieser Nacht vor zehn oder zwölf Jahren eine Leiter gefunden hätte? Das Straßenschild „Dr.-Karl-Lueger-Ring“ auf der Fassade des Hauptgebäudes der Universität Wien hatte mich immer schon gestört. In dieser Nacht besonders. Das mag am Alkohol gelegen haben. Von sturzbetrunken weit entfernt, aber die Menge, die einem jungen Mann Mutproben oder Justamenttaten sinnvoll erscheinen lassen, hatte ich mit Freunden konsumiert. Und die standen der Idee nicht gerade feindlich gegenüber. Insofern war es wahrscheinlich gut, dass ich keine Steighilfe auftreiben konnte. Leiter und Alkohol vertragen sich nicht so gut. Ein Taschenmesser für die Schrauben hatte ich zufällig dabei. Eine gute Idee war es rückblickend nicht. Man hätte mich an der vielbefahrenen Straße im Wiener Stadtzentrum sicher erwischt. Und was hätte ich mit dem Schild, das meinen Ärger auslöste, auch anfangen sollen? Näher bin ich in meinem Leben einer Straftat nie gekommen. Als Täter. Betroffen war ich leider von mehreren.

Für Außenstehende mögen die Emotionen, die ich dem Namen auf den Schild entgegenbrachte, wenig verständlich sein. Allein, dass gerade die Hauptuni Wien, die in Österreich das Symbol für Wissenschaftlichkeit, Humanismus und geistigen Fortschritt ist, an einem Straßenstück steht, das nach einem rabiaten Antisemiten benannt ist, war für mich damals ein unlösbarer Widerspruch und ist es bis heute. Es war und ist für mich eine Schande. Karl Lueger war einer der Erfinder des politischen Antisemitismus. Er ist bis heute Vorbild für alle politischen Bewegungen im Deutschsprachigen, die Wählerstimmen mobilisieren wollen, indem sie Vorurteile gegenüber Minderheiten bedienen und verstärken. Dass er nebenbei wissenschaftsfeindlich war, erklärt sich aus seinem Populismus, dessen bestimmender Teil der Antisemitismus war. Für so jemanden ist jedermann ein Feind, der den Anspruch erhebt, Meinungen sorgfältig abzuwägen.

Dass die FPÖ am lautesten von allen politischen Parteien fordert, dass Luegers Name auf der Uni stehen bleibt, sollte nicht großartig überraschen. Mit Verve verteidigt die Rechtsaußen-Partei der heimischen Innenpolitik einen Antisemiten, der mit Hassparolen Wiener Bürgermeister wurde. Ein Schelm, wer böses dabei denkt. Der denkende Mensch sagt es ungern: Lueger war in einem Punkt seinen blauen Möchtgern-Wiedergängern voraus. Er stand dazu, dass er Vorurteile bediente um Stimmen zu bekommen. Die FPÖ tut so als sei „Heimatliebe statt Marrokaner-Diebe“, „Abendland in Christenhand“ oder „Daham statt Islam“ eine bloße Überspitzung einer offenkundigen Wahrheit und natürlich kein Rassismus. Wenn die den Dr.-Karl-Lueger-Ring so vehement verteidigen, nach wem wollen die noch Plätze und Straßen in Wien benennen? Das heimische Medienrecht verbietet, weiterzudenken.

Der Wiener Gemeinderat soll vor Sommer beschließen, den Dr.-Karl-Lueger-Ring in Universitätsring umzubenennen. Eine überfällige Entscheidung. Keine mutige. Mutig wäre es 1945 gewesen, mitten im allparteiischen Kuschelkurs nach dem Krieg, gegen die voraussehbaren Widerstände der ÖVP. Die hält Karl Lueger teilweise bis heute für einen Säulenheiligen. Er war der erste und einzige christlich-soziale Bürgermeister, den Wien je hatte und je haben wird. Und das nur dank Zensus-Wahlrechts. Eine Stimmenmehrheit hatte der Mann nie.

Manche Teile der Partei lieben solche zweifelhaften Gestalten. Engelbert Dollfuß' Portrait hängt bis heute in den Klubräumen der ÖVP im Nationalrat. Nicht wenige ÖVP-Funktionäre pilgern zum „Dr.-Engelbert-Dollfuß-Museum“ in Texing. Dass der faschistische Bundeskanzler, der die Demokratie und die Arbeiter Wiens in ihren Wohnhäusern niederkartätschen ließ, bis heute ein Ehrengrab hat, wird von Teilen der ÖVP verteidigt. Der Protest gegen den Universitätsring fällt vergleichsweise handzahm aus und wirkt beinahe wie eine Pflichtübung. Vielleicht ist die immer noch vorhandene Liebe zu Lueger bei der aktuellen Wiener Parteiführung weniger ausgeprägt als an der Basis. Vielleicht spiegelt das auch nur den schlechten Zustand der Wiener ÖVP wieder.

Der neue Name ist eine naheliegende Entscheidung. Auch hier war man nicht sonderlich mutig. Man hätte auf den Namen aus der Ersten Republik zurückgreifen können: 11.-November-Ring, nach dem Jahrestag der Ausrufung der Republik. Im modernen Österreich ein kaum beachtetes Datum. Mir hätte ein „Sigmund-Freud-Ring“ gefallen. Das wäre eine politische und intellektuelle Antithese zu Karl Lueger gewesen. Schön wäre vielleicht auch Therese Schlesinger gewesen, eine der ersten Frauen, die Vorlesungen an der Uni Wien besuchten und eine der ersten Frauen im österreichischen Nationalrat. Wie Freud starb sie im Exil, in das sie die Nazis gedrängt hatten. Als Sozialdemokratin und mit jüdischen Vorfahren hätte sie keine Überlebenschance gehabt. Die Grundlagen für die Vertreibung beider hat ein gewisser Karl Lueger mit zu verantworten. Er machte den Antisemitismus zu einer politischen Allzweckwaffe und war einer der wenigen Politiker, die ein gewisser Adolf Hitler als seine Vorbilder bezeichnete.