FRANKFURT. (hpd) Ein bestens besetztes Podium diskutierte ebenso konträr wie qualifiziert den Sinn bzw. Unsinn des Verfassungsschutzes. Peter Menne von der HU Frankfurt führte in das Thema ein und stellte die Teilnehmer vor:
Catrin Rieband, stellvertretende Präsidentin des hessischen Verfassungsschutzes und Spezialistin für Rechtsextremismus; Dr. Rolf Gössner, RA, Publizist, Geheimdienstkritiker - und jahrzehntelang rechtswidrig vom Verfassungsschutz ausspioniert worden; Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber von der FH des Bundes, zuvor Referatsleiter für Rechtsextremismus beim Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz und Matthias Quent, Rechtsextremismus-Forscher an der Uni Jena und Sachverständiger beim Thüringer Landtag.
Menne grenzte das Thema darauf ein, was der Verfassungsschutz im Bereich Rechtsextremismus leistet bzw. nicht leistet. Viele andere Aspekte wie der Radikalenerlass von 1972 oder die aktuelle Steuergesetzgebung, wonach der Verfassungsschutz die Gemeinnützigkeit von Vereinen aufheben kann, sollten nicht nur oberflächlich gestreift werden - weshalb Menne einen eigenen Abend hierfür ankündigte. Die auf zweieinhalb Stunden ausgedehnte Debatte blieb dank souveräner Moderation von Peter Menne und Co-Moderator Volker Schmidt von der FR durchgehend spannend. Nach den Eingangsstatements aller Referenten beleuchtete das Podium drei Fragenkomplexe eingehend: wer wird V-Mann, wie arbeiten diese? Wie läuft die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei? Und wie steht's um die Analysefähigkeit des Verfassungsschutzes?
Die Einschätzungen der Podiumsteilnehmer gingen - wie zu erwarten - weit auseinander: die Frankfurter HU hatte die ganze Bandbreite in das FR-Foyer geholt. Rolf Gössner erläuterte, warum der Verfassungsschutz Teil des Rechtsextremismus-Problems ist: ein guter Teil der Rechtsextremisten arbeitet zugleich als Spitzel, nicht nur mindestens ein Drittel der Bundesvorstandsmitglieder der NPD (weshalb das Verbotsverfahren vor dem Verfassungsgericht scheiterte). Sondern beim "Thüringer Heimatschutz" (THS), einer rechtsextremen Kampfgruppe, war nicht nur der Chef Tino Brand die ergiebigste Quelle des Thüringer Verfassungsschutzes: von den ca. 130 bis 160 Mitgliedern spitzelten mindestens 40 für den Verfassungsschutz!
Natürlich schützt der seine Quellen - doch sind das in dem Fall nur zu oft Kriminelle - Gewalttäter bis hin zu verurteilten Mördern wie Carsten Szczepanski, Deckname "Piato". Damit solche Quellen weiter sprudeln, müssen sie schon mal vor Polizeimaßnahmen gewarnt werden (Schäfer-Bericht). Die Spitzelhonorare fließen zum einem gut Teil in den Aufbau der Organisation - so dass der Verfassungsschutz dadurch zu einem Teil des Systems wird. Vor den Morden der NSU konnte er nicht warnen - mithin sei der Verfasssungsschutz-Etat ein Fall für den Rechnungshof.
Matthias Quent ergänzte, wie rechtsextreme Gewalttäter durch den Verfassungsschutz geschützt werden: gegen eine Thüringer Führungsfigur liefen 35 Ermittlungsverfahren - wegen schwerwiegenderer Delikte als Hakenkreuz-Schmierereien. Doch alle 35 wurden eingestellt.
Moderator Peter Menne mit Catrin Rieband und Armin Pfahl-Traughber
In Hessen ganz anders
Catrin Rieband konzedierte, dass es keine "einheitlichen Richtlinien" gebe, wen man als V-Mann gewinnt. In ihrem Bereich seien es keine Führungspersonen der extremistischen Organisationen - und auch von Gewalttätern trenne man sich schnell. Moderator Menne fragte nach, wie vielen V-Leuten denn im Schnitt von Seitens des Amtes gekündigt werde? Doch über Zahlen wollte Frau Rieband schweigen. In Hessen laufe es eben anders, meinte sie auf den Vorhalt, dass in Thüringen die Spitze des "THS", in Brandenburg der NPD-Vorstand auf der Verfassungsschutz-Gehaltsliste standen. Gleiches gelte für Gewalttäter: zwar nicht wegen jeder Hakenkreuz-Schmiererei, doch schon ab Körperverletzungsdelikten trenne man sich hier von V-Leuten.
Informationelle Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz
Das Stichwort "informationelle Zusammenarbeit" fiel schon in den Eingangsstatements. Peter Menne zitierte aus dem "Schäfer-Gutachten" des Freistaats Thüringen, das die Informationspolitik des Thüringer Verfassungsschutz vernichtend kritisierte, um seine Gäste um Stellungnahmen hierzu zu bitten. Auch hier laufe es in Hessen ganz anders, so Catrin Rieband: man treffe sich täglich zum informellen Austausch mit der Polizei, zusätzlich zum "offiziellen" Austausch von Mitteilungen oder Aktenvermerken. Genau damit werde das Trennungsgebot von Geheimdienst und Polizei unterlaufen, das die Alliierten aus gutem Grund verhängt hatten, warf Rolf Goessner ein: gerade aufgrund der Gestapo-Erfahrung sollten das zwei definitiv geschiedene Bereiche bleiben.
Doch mit der Gestapo-Erfahrung ist das so eine Sache: Matthias Quent wies darauf hin, dass das Amt seine eigene Geschichte längst nicht aufgearbeitet hat. Es waren reichlich ehemalige SD- oder SS-Mitarbeiter oder andere alte Nazis, die den Verfassungsschutz aufgebaut und zunächst strikt antikommunistisch ausgerichtet hatten.
Rolf Gössner und Matthias Quent
Analysefähigkeit
Armin Pfahl-Traughber vermisste ausreichende Analysefähigkeit beim Verfassungsschutz. Schon während seiner Zeit beim Kölner Bundesamt hatte er dafür gekämpft, dass es nicht darauf ankomme, möglichst viele Informationen zu verwalten - sondern sie angemessen zu analysieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Catrin Rieband pflichtete ihm bei: hier gebe es auch beim hessischen Verfassungsschutz noch manches zu tun. Sie plädierte für eine verbesserte Weiterbildung des Personals: manche Mitarbeiter durchliefen eine spezielle Agentenausbildung, andere kämen von der Polizei - doch wieder andere sind z.B. ehemalige Postbeamte. Da wäre eine gründlichere Weiterbildung als bislang angesagt.
Zu den ehemaligen Postbeamten gehörte auch der berühmt-berüchtigte "kleine Adolf" Andreas T., der beim Kasseler "Dönermord" zugegen war - wie Gössner und Quent anmerkten. Inzwischen hat sich der hessische Verfassungsschutz von ihm getrennt - doch hatte er die Sicherheitsüberprüfung der Stufe 3 bestanden, wie Frau Rieband ausführte. Dabei wird nicht nur die Person selbst, sondern auch ihr Umfeld, ihre Freunde oder Nachbarn befragt. Dabei sei im Falle Andreas T. nichts Auffälliges bekannt geworden. Es gebe eben kein hunderprozentig sicheres System - hier bildet Hessen dann doch keine Ausnahme.
Was ist ein V-Mann wert?
An den V-Leuten schieden sich die Geister. Mehrere Hundert Euro erhielten sie pro Monat für ihre Spitzeldienste - jedenfalls nicht so viel, dass man alleine davon leben könne, so Frau Rieband. Tickt Hessen da anders? Im Nachbarland Thüringen kassierte Tino Brand alias "Otto" 200.000 Euro (steuerfrei) in sechs Jahren und ex-NPD-Vorstandsmitglied Wolfgang Frenz ("Die Schlapphut-Affäre") beteuert, stets die Hälfte an die Parteikasse abgeführt zu haben.
Gössner wies darauf hin, dass das Spitzelwesen grundsätzlich nicht mit den demokratischen Prinzipien Transparenz und öffentlicher Kontrolle vereinbar ist. Pfahl-Traughber spielte das als Gedankenexperiment mal durch: was wäre, wenn man auf V-Leute verzichten würde? Die Skandale würden bekannt, nicht aber die Erfolge. So habe man ein Attentat auf die Münchner Synagoge verhindern können - dank Hinweisen von V-Leuten. Wenn man auf die verzichte, dann müsse man dazusagen, dass man solche Attentate wie das vereitelte in Kauf nehme. Doch der Widerspruch folgte umgehend: gerade im Falle des NSU sei der Verfassungsschutz bestmöglich vernetzt gewesen - und habe vor nichts und niemandem gewarnt.
Die Diskussion auf dem Podium dauerte weit über eine Stunde - und wurde keine Minute langweilig: stets sachlich, Moderator Menne sorgte dafür, dass jeder zu Wort kam, stets ausreden konnte. Doch irgendwann scharrte das Publikum mit den Füßen - zwei Fragerunden, an denen sich u.a. der ehemalige hessische Justizminister Rupert von Plottnitz oder der Geschäftsführer der Partei "Die Partei" Jan Steffen beteiligten. Mit rund 140 bis 150 Gästen war das "Rundschau"-Foyer bestens besucht. So gelungen, wie das Podium es war, hatte es das auch verdient. Dank an die Sebastian-Cobler-Stiftung, die mit ihrer finanziellen Unterstützung eine solche Podiumsdiskussion ermöglicht hat.
Oliver Kalldewey