Dies leitet nahtlos zum wichtigsten Punkt über. Der Nationalsozialismus verzerrte das katholische Erlöserbild selbst. Dass Jesus sich mit den jüdischen Autoritäten seiner Zeit anlegte, führte Hitler zu der Annahme, dass es sich bei ihm untrügerisch um einen Arier gehandelt haben müsse; schon im April 1921 hatte er verkündet:
"Ich kann mir Christus nicht anders vorstellen als blond und mit blauen Augen, den Teufel aber nur in der jüdischen Fratze."
Auch Joseph Goebbels sprach durch seine Romanfigur Michael:
"Christus kann gar kein Jude gewesen sein. Das brauche ich erst gar nicht wissenschaftlich zu beweisen, das ist so."
Die „wissenschaftliche“ Begründung lieferten andere NS-Größen. Bereits in der Antike war der Gedanke der Jungfrauengeburt Marias verspottet wurden. Die frühen Gegner des Christentums waren der Meinung, dass eher der römische Besatzungssoldat Panthera als Vater Jesu infrage käme. Im völkisch aufgeladenen Denken des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde dieser Mythos erneut aufgegriffen. Wenn man annahm, dass auch germanische Legionäre im römischen Heer dienten, war ein arischer Jesus tatsächlich denkbar. Damit war nicht nur die Stellung Jesu als Sohn Gottes gefährdet, sondern gleichermaßen die unbefleckte Empfängnis befleckt.
Alfreds Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“, der als große programmatische Schrift der NSDAP gilt und Vorstellungen wie diese noch weiter „untermauerte“, stieß in der katholischen Hierarchie auf viel Kritik und wurde vom Vatikan auf die Liste der verbotenen Bücher gesetzt. In Rom warnte man zu dieser Zeit vor gefährlichen Irrlehren wie Nationalsozialismus und Nudismus.
Die bayerischen Oberhirten, die sich zur Freisinger Bischofskonferenz trafen, bekräftigten am 10. Februar 1931 in einer pastoralen Weisung an den Klerus noch einmal ihre theologische Ablehnung des Nationalsozialismus, wiesen aber deutlich darauf hin, dass dessen politischen Ziele ihre Entscheidung nicht beeinflusst hatten:
„Der Nationalsozialismus enthält in seinem kulturpolitischen Programm Irrlehren, weil er darin wesentliche Lehrpunkte des katholischen Glaubens ablehnt oder doch schief auffaßt und weil er nach der Erklärung seiner Führer eine neue Weltanschauung an die Stelle des christlichen Glaubens setzen will. Es liegt uns ferne, uns mit den staatspolitischen Zielen des Nationalsozialismus zu befassen; wir fragen uns nur, was für eine Stellung er zum katholischen Christentum einnimmt.“
Gleichzeitig zeigten die Bischöfe jedoch Nachsicht für die Beweggründe des einzelnen Wählers:
„Unter den Massen, die bei der letzten Wahl nationalsozialistisch gewählt haben, gibt es ohne Zweifel eine große Zahl, die nur die vaterländischen Ziele des Nationalsozialismus (z.B. Überprüfung des Friedensvertrages) oder die volkswirtschaftlichen Ziele (z.B. Besserung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiterschaft, höhere Aufwertung) mitmachen, dagegen die kulturpolitischen Gegensätze gegen Christentum und Kirche gar nicht kennen oder wenigstens für ihre Person nicht wollten und so subjektiv in gutem Glauben leben.“
Man müsse daher „von Fall zu Fall prüfen, ob der Betreffende nur ein Mitläufer der Bewegung ist“, oder ob er sich für die „gesamten Ziele seiner Partei“ eingesetzt hatte. Wenn der gläubige Katholik die NSDAP wählte, war dies zwar nicht gewünscht, wurde aber zähneknirschend hingenommen. In der Ablehnung der Nachkriegsordnung er Pariser Vorortverträge unterschieden sich die Bischöfe nicht von den Nationalsozialisten, wie im übrigen das gesamte deutsche Parteienspektrum dem „Versailler Schanddiktat“ kritisch gegenüberstand. Weite Teile der Eliten, ebenso der Klerus, waren meist stramm national sozialisiert worden.
Ein führender Nationalsozialist wurde tatsächlich exkommuniziert. Doch nicht wegen seiner flammenden Reden gegen Demokratie und Juden. Der Katholik Goebbels hatte es gewagt, Magda Quandt, eine geschiedene Protestantin, die später zur Vorzeigemutter des Dritten Reichs avancierte, zu heiraten.
Doch letztlich war der Aufstieg des Nationalsozialismus nicht mehr aufzuhalten. Hitler war bereits seit dem 30. Januar 1933 Reichskanzler, als er am 5. März erneut Reichstagswahlen abhalten ließ. Wenngleich man Hitler keinen Betrug bei der Stimmauszählung vorwerfen kann, waren alle Parteien im Vorfeld eingeschüchtert worden, saßen die ersten linken Politiker bereits im KZ. In diesem Klima der Angst war die Abwendung der Katastrophe mit demokratischen Mitteln immer unwahrscheinlicher geworden.
So lässt sich wohl auch der Wahlaufruf des Ermländer Bischofs Maximilian Kaller deuten:
„Wenn auch der Nationalsozialismus sympathische Züge an sich hat und manche berechtigte Forderung erhebt, müssen wir ihn doch ablehnen, solange er noch an den Prinzipien festhält, die von den deutschen Bischöfen als Irrlehre verworfen sind. Wir lehnen aber auch - und die Gerechtigkeit verlangt, dieses zu betonen – ebenso scharf jeglichen Marxismus, sei es als Sozialismus, sei es als Bolschewismus, als völlig gottlos und volksfeindlich ab. Aus meiner innersten Überzeugung sage ich: Die einzige für uns im gegenwärtigen Kampf in Betracht kommende Partei ist das Zentrum. Jetzt mehr denn je!“
Eine entschiedene Absage sieht anders aus. Kaller glaubte wohl selbst nicht mehr an einen strahlenden Wahlsieg der Zentrumspartei und zeigte sich kompromissbereit in Richtung der NSDAP. Sympathiebekundungen und die Aufzählung gemeinsamer Gegner ließen eine Zusammenarbeit wahrscheinlicher wirken. Vor allem wurde signalisiert, dass die katholische Kirche ihre Position überdenken könnte, sofern Hitler zu theologischen Zugeständnissen bereit war. Man lehnte den Nationalsozialismus ab, solange, nicht weil er Irrlehren vertrat.
In vielen Punkten war Kallers Annäherung an den Nationalsozialismus aufrichtig und nicht taktisch bedingt. Die Bischöfe waren antikommunistisch gesinnt seit der sowjetischen Kampagne gegen die russisch-orthodoxe Kirche, antidemokratisch gesinnt seit der Novemberrevolution, national gesinnt seit dem Kaiserreich und antijudaistisch gesinnt seit fast 2000 Jahren. Wer echten Widerstand und nicht nur theologische Diskurse im katholischen Lager sucht, wird ihn am ehesten noch in der Zentrumspartei finden. Doch einerseits war ihr Verhältnis zur Bischofskonferenz oft abgekühlt, da sie zur Koalition mit der SPD bereit war, andererseits fanden sich auch in ihr Stimmen, wie z.B. Franz von Papen, die den Schulterschluss mit der NSDAP suchten.
Doch auch wenn die Bischöfe vor 1933 immer Stellung gegen Hitler bezogen hatten, waren einzelne Kirchenmitglieder schon früh zur Zusammenarbeit bereit. Abt Schachleiter, der das Emmaus-Kloster in Prag leitete, wandte sich nach seiner Ausweisung aus der Tschechoslowakei 1920 dem radikal nationalen Lager zu. Er war einer der frühesten Vertreter des „Brückenschlags“ zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus und ein gern gesehener Gast auf den Reichsparteitagen. Mehrere rechte Prälaten wie Schachleiter erleichterten den deutschen Bischöfen die Zusammenarbeit mit Hitler, nachdem er ihnen im Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 weitreichende kirchliche Privilegien zugestanden hatte.
Lukas Mihr
Foto: Teilnehmer der Bayerischen Bischofskonferenz 1931. Vorne von links: Jakobus von Hauck (Bamberg), Adolf Bertram (Breslau), Michael von Faulhaber (München und Freising), Johann Leo von Mergel OSB (Eichstätt). Hinten von links: Joseph Kumpfmüller (Augsburg), Ludwig Sebastian (Speyer), Sigismund Felix Freiherr von Ow-Felldorf (Passau), Matthias Ehrenfried (Würzburg), Michael Buchberger (Regensburg). (Quelle)