Argumente für Religion auf dem Prüfstand (3)

Glaube und Rechtschaffenheit

Eine Leugnung der Gültigkeit der Vernunft und damit auch der Logik, besitzt den großen Vorzug, jede Behauptung als Wahrheit ausgeben zu können und wenn es das glatte Gegenteil von dem ist, was man im Satz vorher behauptet hat. Alle Immunisierungstechniken, welche Sekten gegenüber Kritik anwenden, laufen letztlich auf die Leugnung des Widerspruchssatzes hinaus. Für sie gilt: „Widersprüche zählen nicht“ und „widersprich mir nicht“.

Wer einfach auf einen Sprung verweist, der den anderen das Recht auf Kritik nimmt, kann für alle seine Ansichten und Handlungen behaupten, sie seien der Wahrheit letzter Schluss, weil einer höheren Region entsprungen. Die hochmütige Haltung des Fideismus bietet sich deshalb besonders gut an für Diskussionsverweigerer, Diktatoren, Fundamentalisten und Terroristen.

Wer über seinen Glauben keine kritische Rechenschaft ablegt, ist ein unmündiger, ein unselbstständiger, ein indoktrinierter Mensch, jemand der sich immer sagen lässt, was er tun und denken soll. Er glaubt entweder aus Gewohnheit und/oder weil er es aus psychischen Gründen benötigt, aber nicht, weil er gute Gründe hat, das heißt Gründe, die in der Realität verankert sind.

Die Philosophen Rüdiger Vaas und Michael Blume entgegnen in ihrem Buch „Gott, Gene und Gehirn“ auf das Argument, da Gott weder belegbar noch beweisbar, sei er ja eine Sache des Glaubens, dass „doch auch persönliche Erfahrungen nicht im luftleeren Raum“ gedeihen, sie haben immer einen Bezug zur Realität und dieser muss geprüft werden, sonst könnten sie „nur als irrationaler Sprung oder gar Geistesverwirrung erscheinen“ (S. 211). Damit der Glaube „geerdet“ sein kann, lassen sich Fragen nach den Gründen des Glaubens und der richtigen Deutung von Erfahrungen nicht umgehen.

Genau genommen kommt der Mensch aus dem Anspruch vernünftig zu sein gar nicht heraus. Auch derjenige der die Vernunft ablehnt, gibt Gründe für diese Ablehnung an. In seinen Augen sind es gute Gründe, sonst würde er ihnen ja nicht Folge leisten. Aber dabei hat er getan, was er ablehnte, nämlich versucht, vernünftig zu argumentieren.

Bei Diskussionen über die Religion wird oft, meist von religiöser Seite, eine grundlegende Unterscheidung nicht beachtet: die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Wissen auf der einen Seite und Gefühlen und Wünschen auf der anderen Seite. Als Frage formuliert lautet diese Unterscheidung: Was wissen wir über religiöse Dinge, Jenseitiges wirklich? Welche Behauptungen über Jenseitiges, Religiöses können wir mit gutem Gewissen als wahr oder auch nur als einigermaßen plausibel bezeichnen? Und was behaupten wir über Religiöses nur, weil uns unsere Gefühle und Wünsche dazu drängen?

Wer sich vor Strafen durch Geister fürchtet, nimmt anerzogene Gefühle als Beweis für die Existenz von übernatürlichen Wesen. Wer für Religion plädiert, weil ohne sie das Leben keinen Sinn habe, setzt einen Wunsch an die Stelle von Wissen; nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Wer religiös ist, weil ihm übernatürliche Wesen die Geborgenheit, Anerkennung, Liebe und Bedeutung  „geben“ oder „versprechen“, die ihm in diesem Leben fehlt, der setzt viele Wünsche an die Stelle von Wissen.

Die Vermengung von Wissen, Gefühlen und Wünschen ist der Hauptgrund, warum viele Menschen mit der Religion nicht ins Reine kommen. Gefühle und Wünsche sagen aber nichts darüber aus, ob es das Gewünschte gibt. Auch die poetische Qualität religiöser Texte erhöht nicht ihren Wahrheitsgehalt, auch sie bringt nur Gefühle zum Schwingen.

Gefühle sind nicht wahr oder falsch, sie sind angenehm, unangenehm oder neutral. Gefühle zeigen uns, wie unsere Psyche, aufgrund unserer biologischen Programme und unserer Erziehung, die Welt verarbeitet. Gefühle zeigen nicht, wie es sich „da draußen“ tatsächlich verhält, sie beweisen letztlich nur ihre eigene Existenz. Dass uns Gefühle oft in die Irre führen, beweist allein schon die Existenz der vielen sich widersprechenden Religionen, die einfach nicht alle wahr sein können. (Im nächsten und letzten Artikel dieser Serie werden wir die Vorstellung, alle Religionen sind im Grunde wahr, zurückweisen.) Um die „Vernunft“, den Versuch, unsere Überzeugungen und Handlungen mit guten Gründen, mit Wissen, zu rechtfertigen, kommen wir, wenn wir redlich sein wollen, nicht herum.

Fazit: Gläubige, die meinen, ihr Glaube sei durch ihre Gefühle bewahrheitet, verdrängen die Tatsache, dass sich Gefühle oft „irren“. Allein die vielen Andersgläubigen beweisen das.

Gläubige, die behaupten, ihr Glaube sei nicht mit der Vernunft vereinbar oder entziehe sich ihr, weil er übervernünftig sei, haben kein Recht, mit Verweis auf ihren Glauben, anderen Menschen irgendwelche Vorschriften zu machen. Ihre Aussagen sind unüberprüfbar und letztlich beliebig. Mit der fideistischen Position haben sich Gläubige das Recht auf Teilnahme an gesellschaftlichen Diskussionen entzogen, denn diese müssen immer mit prinzipiell einsichtigen Argumenten geführt werden.

 

Alfred Binder studierte Sozialarbeit und Philosophie. 2009 erschien sein Buch „Mythos Zen“, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Zen-Buddhismus. Der vorliegende Text basiert auf einem Kapitel aus seinem neuen Buch „Religion. Eine kurze Kritik“, das im Herbst als erster Band der Reihe Kritikpunkt.e im Alibri Verlag erschienen ist.

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.