Von links nach rechts

(hpd) Der Historiker Manuel Seitenbecher geht in seiner Studie der politischen Entwicklung mancher Alt-Achtundsechziger von links nach rechts nach. Es handelt sich um eine überaus informative Darstellung mit differenzierten Einschätzungen, worin aber Analyse und Stringenz eine höhere Bedeutung hätten haben können.

Warum entwickeln sich Menschen politisch von links außen nach rechts außen? Warum wurden Alt-Achtundsechziger später Rechtsextremisten? Das bekannteste Beispiel eines solchen Weges ist sicherlich Horst Mahler: Der ehemalige Aktivist der RAF engagierte sich später für die NPD. Hierbei handelt es sich um keinen Einzelfall: Reinhold Oberlercher war eine der führenden Aktivisten des Hamburger SDS und schrieb später Programme für eine neue Reichsregierung, Günter Maschke gehörte zu den bedeutenden Protagonisten der Achtundsechziger-Bewegung in Österreich und wandelte sich zu einem intellektuellen Protagonisten für die Lehren des autoritären Staatsrechtlers Carl Schmitt, und der ehemalige Dutschke-Mitstreiter Bernd Rabehl galt zeitweise als potentieller Bundespräsidentschaftskandidat von DVU und NPD. Der Historiker Manuel Seitenbecher hat nun diesen Entwicklungen eine historisch-biographisch ausgerichtete ausführliche Studie gewidmet: „Mahler, Maschke & Co.. Rechtes Denken in der 68er Bewegung?“

Über sein Erkenntnisleitendes Interesse schreibt der Autor: „Mittels der Darlegung dieser Biographien soll den Fragen nachgegangen werden, wie weit sich aus den Biographien bzw. den Verlautbarungen und Schriften der Protagonisten Brüche, Wandlungen oder Prozesse ergeben, oder ob auch Konstanten in deren Denken und Handeln sichtbar werden“ (S. 12). Entsprechend des gewählten methodischen Ansatzes geht Seitenbecher chronologisch und personenbezogen vor: Nach einem kurzen Überblick zu den seinerzeitigen politischen Rahmenbedingungen steht die Entwicklung der genannten Personen im Sinne von individuellen Wegen hin zur Achtundsechziger-Bewegung, den Reaktionen auf deren Zerfall und die Weiterentwicklung von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart im Zentrum des Interesses. Hier und da spielen für den Autor auch Personen wie Rudi Dutschke oder Tilman Fichter eine Rolle, positionierten diese sich doch auch mit für Linke eher ungewöhnlichen Auffassungen zur „nationalen Frage“ vor und nach dem politischen Jahr 1968.

Die genaue Betrachtung der Entwicklung und Positionen der genannten Personen macht zwar deutlich, dass sie sich von „links“ nach „rechts“ wandelten. Hierbei lässt sich aber weder bezogen auf die neue ideologische Ausrichtung noch hinsichtlich der persönlichen Motive von einem einheitlichen Phänomen sprechen.

Seitenbecher bemerkt: „Keineswegs kann man von einer geschlossenen Strömung nationaler oder (neu)rechter Alt-68er sprechen ...“ (S. 385). „Und auch seit den 90er Jahren einte die vorgestellten Protagonisten mehr die von außen vorgenommene Einordnung in eine Gruppe nationaler und rechter Konvertiten aus der 68er-Bewegung denn tatsächliche ideologische Übereinstimmung oder organisatorische Zusammenarbeit“ (S. 386). Eine Ausnahme bildeten ansatzweise lediglich Mahler und Oberlercher. Darüber hinaus könne kein gleich lautendes Muster ausgemacht werden: „Auch den vermeintlichen und tatsächlichen Wegen zur Rechten liegen letztlich allesamt individuelle Entscheidungen vor den jeweiligen Zeitumständen zu Grunde“ (S. 388).

Die letztgenannte Deutung mag manchen Leser, der sich eine griffige Erklärung wünscht, enttäuschen. Aber wenn die Fakten so etwas nicht hergeben, kann man auch nicht damit dienen. Es spricht für Seitenbechers Differenzierungsvermögen, dass er sich allzu einfacher Interpretationen verweigert. Seine Arbeit beeindruckt darüber hinaus durch die intensive Aufarbeitung der persönlichen und politischen Lebenswege der genannten Personen. Auch macht er zutreffende „ideologische Konstanten“ (S. 389) wie Antiamerikanismus und Antiparlamentarismus aus. Und um der Vermeidung von Missverständnissen willen betont der Autor: Man könne „nicht von einer generellen nationalrevolutionären Motivation bei der deutschen 68er-Bewegung sprechen“ (S. 392). Insgesamt hätte man sich aber doch etwas mehr Analyse und Systematik gewünscht. Historische Arbeiten müssen nicht nur primär Fakten aneinander reihen. Interessant wäre auch ein Vergleich mit Vorläufern der Entwicklung von links nach rechts wie Robert Michels oder Benito Mussolini gewesen.

Armin Pfahl-Traughber

Manuel Seitenbecher, Mahler, Maschke & Co. Rechtes Denken in der 68er-Bewegung?, Paderborn 2013 (Ferdinand Schöningh-Verlag), 557 S., EUR 39,90.