Ökumene von Ratzinger, Huber und Käßmann

Ein besonderer „Leckerbissen“ in der „Theologie“ und Bibeldeutung Käßmanns ist ihre Beschreibung der Gotteserfahrung des Propheten Elia, der nach ihr „Gott im Säuseln“ erlebt habe. Das ist in Käßmanns Deutung eine Gotteserfahrung „in ganz leisen Tönen“ gewesen. Deswegen unterscheide sich auch das Gottesbild dieses Propheten „schon im hebräischen Teil der Bibel von all diesen Bildern vom gewalttätigen Donnergott… Sanft, zart, zuwendend, so erlebt der Prophet Gott“. Käßmanns großartiges Fazit auf der Basis des eben Gesagten: „Gott und Gewalt gehen nicht konform“. Dass dieser „sanft säuselnde Gott“ seinem braven Diener Elia befahl, 450 Baal-Priester zu töten, was dieser auch prompt erledigte, stört Frau Käßmann nicht und verschweigt sie auch vor den gläubigen Schafen, die ihre Bücher lesen.

Was soll’s?! Die Frau ist populär, ihre Bücher verkaufen sich blendend, ihre Auftritte ziehen Massen des Kirchenvolkes an, und den Verantwortlichen der evangelischen Kirche geht es längst nicht mehr um die Wahrheit, sondern nur noch um Popularität und Profit. So ist diese Frau mit ihrer dürftigen Theologie die geeignete Botschafterin und Propagandistin für ein Mega-Event, das Luther-Jubiläums-Jahr 2017, bis zu dem es ihr dann endgültig gelungen sein wird, den Reformator zu einer mythischen Kultfigur ohne Fehl und Tadel aufgebaut zu haben (vgl. dazu aber das Buch des Rezensenten „Luther ohne Mythos“, Freiburg, 3. Auflage 2013).

Privates vs. Offizielles

Zu der Heuchelei und einer fast schon als Schizophrenie zu bezeichnenden Haltung der Theologen gehört aber auch, dass ihre Privatmeinung weit von ihren offiziellen Bekenntnissen abweicht. Auch darauf hätte Rießinger in seiner sauber und klar geführten Theologenkritik näher eingehen können. Ratzinger hat z.B. sowohl als oberster Glaubenswächter als auch als Papst Benedikt XVI. niemals auch nur die kleinste Kritik an der „Heiligen“ Schrift, also der Bibel, geübt.

Sozusagen als Privatmann, nämlich als noch nicht in die Amtsstruktur der Kirche eingebundener Theologe lästerte er aber durchaus über die (un-)ethische Niveaulosigkeit der großen Gestalten des Alten Testaments. Hier ein paar etwas versteckte Kostproben in seinem Buch „Glaube – Wahrheit – Toleranz“: „Abraham, Isaak, Jakob, Mose erscheinen mit all ihren Schlichen und ihrer Schläue, mit ihrem Temperament und ihrer Neigung zur Gewalttätigkeit zumindest recht mittelmäßig und armselig neben einem Buddha, Konfutse oder Laotse, aber selbst so große prophetische Gestalten wie Hosea, Jeremia, Ezechiel machen bei einem sol-chen Vergleich keine ganz überzeugende Figur… Vor der Erhabenheit des griechischen Den-kens erscheinen die Träger der Geschichte des Glaubens beinahe pöbelhaft“. Oder eine andere Aussage Ratzingers im selben Buch: „Religionsgeschichtlich gesehen, sind Abraham, Isaak und Jakob wirklich keine großen religiösen Persönlichkeiten“. Deshalb kommt Ratzinger zu dem Schluss: „Für die Griechen war das Christentum… Barbarei gegenüber der eigenen Kulturhöhe“. Erst „der griechische Geist hat dem christlichen Glauben wesentliche Formen des Denkens und Redens geliefert“.

Bankrotterklärung der gesamten Theologie

Rießingers Buch ist in prägnanter Kürze im Grunde eine Bankrotterklärung der gesamten Theologie katholischer und evangelischer Provenienz. Da können die Theologen aller Couleur ihren theologischen Ausführungen einen noch so vornehmen, intellektuellen, akademischen, stilistisch und ästhetisch anregenden Anstrich geben, es handelt sich bei alledem doch immer nur um den theologischen Überbau einer durch und durch primitiven, von abergläubischen Mythen und Legenden durchsetzten Religion.

Die künftige Richtung eines säkularen Humanismus müsste dahin gehen, dass die monotheistischen Theologien als Überbausysteme primitiver, niederer Religiosität in Zukunft, weil schon hunderte Male widerlegt, links liegen gelassen werden und stattdessen eine Ausei-nandersetzung mit den von diesen Religionen unabhängigen Formen der Spiritualität, nämlich den kosmisch-pantheistischen Philosophien Giordano Brunos, Keplers, Newtons, Einsteins, Heisenbergs, Sir Arthur Eddingtons, Julian Huxleys, Albert Schweitzers, Mahatma Gandhis usw. geführt wird. Rießinger deutet diese Richtung zumindest an, indem er darauf hinweist, „dass die untersuchten Entitäten gerade der modernen Physik die Grenze des Ma-teriellen oft übersteigen“.

Hier wäre dann auch der „Heilsegoismus“ der monotheistischen Religionen mit Bestrafung in der Hölle und Lohn im Himmel außer Kraft gesetzt, denn Klassiker der kosmisch-pantheistischen Spiritualität wie Einstein und Teilhard de Chardin haben übereinstimmend erklärt, dass ihnen an einer individuellen Unsterblichkeit nicht gelegen sei. Trotzdem wäre es durchaus ein überlegenswerter Gedanke, die Frage nach irgendeiner Art Fortexistenz des Bewusstseins angesichts dessen im Laufe der Evolution immer noch weiter gestiegenen Be-deutung und zweifelsohne enormen Dominanz über alles Leben neu zu stellen.

Sam Harris, eines der Mitglieder des berühmten Vierer-Clubs angelsächsischer Atheisten, ist dieser Frage unter Einbeziehung diverser ostasiatischer Methoden zur Erlangung höchster Bewusstseinsformen systematisch und akribisch nachgegangen. Atheisten wie er und der aus einer ganz anderen Richtung kommende Neo-Marxist Ernst Bloch haben in umfassenden Theorien nachgewiesen, dass ein Weiterleben des Bewusstseins von der Existenz oder Nichtexistenz eines personalen Gottes völlig unabhängig wäre und gar nichts damit zu tun hätte.

Man verzeihe dem Rezensenten, aber auch solche Perspektivfragen haben sich aufgrund der Lektüre der analytisch scharfsinnigen und zugleich zu weiteren Überlegungen anregenden Schrift Rießingers einfach aufgedrängt.

Thomas Rießinger, Joseph Ratzinger - Ein brillanter Denker? Kritische Fragen an den Papst und seine protestantischen Konkurrenten, Berlin (LIT-Verlag) 2013, 224 Seiten, ISBN: 978-3-643-12129-5, € 29,90.

Die Rezension ist ein Vorabdruck und erscheint in gedruckter Form bei Aufklärung & Kritik 2/2013 im Juli 2013.