Kommentar

Ohne Objektivität und gegen Säkulare?

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Statue vor der Aula und Universitätskirche der Uni Leipzig.

In einer Studie mit dem Titel "Ohne Gott und gegen die Kirche?" wollen Mitarbeitende des Instituts für Praktische Theologie der Universität Leipzig die Einstellungen organisierter Konfessionsfreier untersuchen. Doch unter den Forschungsobjekten gibt es durchaus Kritik an der Studie. Ein Kommentar von Adrian Gillmann.

Ohne Objektivität und gegen Säkulare? – Wem dieser Titel gegenüber einem Projekt der Praktischen Theologie der Universität Leipzig trotz Fragezeichen zu polemisch erscheint, dem sei gesagt, dass "Ohne Gott und gegen die Kirche?" als Titel des Projektes für Säkulare, seien sie nun organisiert oder unorganisiert, mitunter ebenso fragwürdig erscheinen kann. Will die Studie mit Ironie die Absicht glaubwürdiger machen, mit Vorurteilen aufzuräumen, dass "Atheisten" eben mehr sind als Kirchengegner und "Gottlos Glückliche"? Oder will sie sich selbst gegenüber der eigenen Institution rechtfertigen, die als strukturell-konfessionsgebundene Theologie nun alles andere als unbefangen gegenüber ihrem Forschungsgegenstand erscheinen mag?

Auf der einen Seite wirkt es löblich, dass man sich Untersuchungen in der Schweiz zum Vorbild nehmen möchte und herausfinden will, wie sie es wirklich mit Gott und den Kirchenmenschen halten, die "Atheistinnen und Atheisten". Die Wahl dieses Oberbegriffes, dem man dann den Populationsbegriff "Konfessionsfreie" beiordnet, verweist auf die theologische Abgrenzungstradition, die es schließlich mit den Atheisten als den Gottlosen oder den Gottesverweigerern gegeben hat. Dabei mag schon Magengrimmen verursachen, dass mit dem Atheismus ebenso eine voraussetzungsreiche Philosophie gemeint sein kann wie eine Position über die Negation von Göttlichem. Wer mag denn schon positiv negativ bestimmt sein? Sicher, einige aus dem säkularen Spektrum fühlen sich dem Kampfbegriff "Atheismus" näher als einem sachlichen "Säkularen", der womöglich noch religiöse, plurale oder wechselnde Orientierungen mit aufnehmen mag. Warum allerdings ein ergebnisoffenes Forschungsprojekt gleich wieder zu einem Abgrenzungs- als Sammelbegriff greift, ist das allein mit behaupteter Objektivität zu erklären?

Systematisch wie strukturell versuchen die theologischen Fächer sich selbst und ihre Forschungsmethoden aufzuwerten, die sie alle aus anderen Fächern beziehen, denn es gibt keine theologische Methodik, sondern nur Gegenstände, welche die Theologie als vermeintliche Wissenschaft auszeichnen. Selbstredend gehört dazu auch eine Erforschung mutmaßlicher Gegner oder eben der "anderen", denn diese sollen mit den Mitteln moderner Gesellschaftswissenschaften, welcher sich die Theologie hier bedient, untersucht werden, um entsprechend die Expertise über den organisierten Säkularismus zu behaupten.

Begriffliche Unsauberkeit vermag nun angesichts des empirisch-religionssoziologischen Methodenideals nicht weiter zu verstören, schließlich ist der 25-minütige Fragebogen der Studie durchaus nach bester quantitativer Sozialforschung gestaltet und Professor Gert Pickel hat sich durch seine soziologischen wie politikwissenschaftlichen Arbeiten über Religionspluralismus, Religiosität und sozialen Wandel, mit starkem Drang zur Erforschung von Rechtsextremismus und Populismus, nicht gerade als "Missionierer" einen Namen gemacht. Man fragt sich eher, was dieser Politologe und Soziologe an einer theologischen Fakultät, noch dazu in einem praktisch-theologischen Arbeitsbereich, verloren hat, außer eben, dass man ihm die unbefristete Festanstellung und das projektunabhängige, finanzielle Auskommen mehr als gönnen mag. Im Falle eines DFG1-Projektes gönnt man dies seinen wohl eher befristet angestellten Mitarbeitenden ohnehin schon zweimal!

Viele andere Möglichkeiten verbleiben für gute Religionssoziologen auch nicht, denn immer noch spricht in Sachen Kompetenz über Religionen sowie Weltanschauungen die Theologie als gruppen- bis konfessionsgebundene Philologie, Philosophie, Sozial- oder Geschichtswissenschaft das strukturell-institutionelle Machtwort an deutschen Universitäten. Wie wäre es denn, wenn dieses Forschungsprojekt nicht im Namen einer theologischen Fakultät, sondern einer religions- und weltanschaulichen Fakultät mit mehr- bis multikulturellem Ansatz verfolgt worden wäre? Könnten sich die "organisierten Säkularen" denn nicht mehr in Sicherheit wiegen, wenn nicht kirchlich rückgebundene Lehrstühle mitunter über derartige Datenerhebungen wachen würden? Das bleibt Spekulation.

Was jedoch keine Spekulation ist, sind folgende kritische Argumente, die in anderer Form schon in säkularen Netzwerken ausgebreitet wurden und die die Kritiker sowie die Wohlwollenden einmal in Betracht ziehen sollten, bevor Sie nach bestem Wissen und Gewissen an der Studie teilnehmen. Selbiges wird der Verfasser dieses Textes auch tun, denn privat und persönlich sieht man es doch gerne, dass eine Zuwendung zu Einstellungserhebungen sowie nüchternen Erhebungen von Daten der Säkularen Szene selbst im Rahmen der eher suspekten Theologie nicht gescheut werden. Ist das noch "Gegneranalyse" oder nicht schon das Wetterleuchten einer pluraleren, säkularen Zukunft?

  1. Strukturelles Argument: Fächerbezogen möchten Säkulare und Humanisten kulturwissenschaftliche Religionswissenschaft, Philosophie und Sozialwissenschaften stärken und sind langfristig für die Abschaffung konfessioneller Wissenschaften an deutschen Hochschulen. Anfragen oder Forschungsprojekte dieser Fakultäten sind entsprechend nicht als gegenstands-, wertneutral oder strukturell "objektiv" anzusehen.
     
  2. Deutungshoheits-Befangenheits-Argument: Mit diesem konkreten Vorhaben als theologischer Fachbereich, der eine entsprechende Bezugsreligion besitzt, die strukturelle Zusammensetzung von "organisiertem Säkularismus" analysieren und deuten zu wollen, bezeugt, dass sich die Theologie anmaßt, die Deutungshoheit über Personen erreichen zu wollen, die diese als eigenständige und folglich "befangene" Wissenschaft mindestens kritisch sehen.
     
  3. Veränderungs-Argument: Indem wir nicht einfach die Forschungsvorhaben der theologischen Fächer und Disziplinen bedienen, sondern diese gezielt auffordern, bei solchen Vorhaben aufgrund ihrer strukturellen und gegenstandsbezogenen Befangenheit mindestens die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Philosophie, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften zu suchen, indem solche Forschungsprojekte anders aufgestellt und in Fächerverbünden angesiedelt werden, werben wir für eine Veränderung der religions- und weltanschaulichen Wissenschaftskultur.

1Deutsche Forschungsgemeinschaft

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