Mit einem Ehrendoktortitel sollen akademische Verdienste gewürdigt werden. Doch der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit leidet, wenn Journalisten lediglich für ihr publizistisches Engagement zur Präsenz religiöser Fragestellungen und zur öffentlichen Wahrnehmung hoher christlicher Feiertage ausgezeichnet werden.
Der Ehrendoktortitel genießt einen zwiespältigen Ruf. Ursprünglich war er eine Anerkennung für herausragende Verdienste auf wissenschaftlichem Gebiet. Doch nicht selten wurde er auch Politikern für ihre langjährige Tätigkeit verliehen, so etwa Max Streibl, Wolfgang Thierse oder Wolfgang Schäuble, der ihn sogar mehrfach erhielt. Selbst Arnold Schwarzenegger wurde unlängst in Berlin zum Doctor honoris causa ernannt. Den Rekord im Sammeln solcher Ehrentitel hält der Amerikaner Theodore Hesburgh, der bis zu seinem Tod 2015 insgesamt 150 (sic!) Ehrendoktorwürden bekam.
Ein Doktortitel schmückt – das wissen besonders Zahnärzte und Juristen, die sich mit oft wenig relevanten Arbeiten den begehrten Titel sichern, um ihn auf Praxisschildern oder Kanzleibriefköpfen zu führen. Doch auch in der schreibenden Zunft hat der Ehrendoktortitel eine gewisse Strahlkraft. So verweist die Homepage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Lebenslauf des Autors Reinhard Bingener auf seinen Ehrendoktor. Das Impressum der Zeit listet wiederum mehr als ein Dutzend promovierter Redakteure und Autoren auf, aber einzig Evelyn Fingers Name ist ein Dr. h.c. vorangestellt.
Das weckt Neugier: Für welche Verdienste und von welcher Universität wurden Reinhard Bingener und Evelyn Finger im letzten Jahr mit einem Doctor honoris causa "für ihr herausragendes journalistisches Gesamtwerk" ausgezeichnet? Wer die beiden Journalisten nicht kennt oder noch nie bewusst einen Text von ihnen gelesen hat, könnte annehmen, es handele sich um zwei Edelfedern, die verdientermaßen für ihre jahrelange publizistische Tätigkeit geehrt wurden, während ihren Kollegen von der Zeit und der FAZ diese universitäre Ehre mangels Stilsicherheit und Recherchetiefe bisher verwehrt blieb.
Warum also Evelyn Finger und nicht Tina Hildebrandt, Ijoma Mangold oder Iris Radisch? Die Frage ist schnell beantwortet. Die evangelisch-theologische Fakultät der Universität Münster würdigte mit Reinhard Bingener und Evelyn Finger zwei Journalisten für ganz spezielle Verdienste. Evelyn Finger leitet bei der Zeit das Ressort "Glauben und Zweifeln", das weniger für kritischen Journalismus bekannt ist, sondern der Religion und christlichen Sinnfragen viel Raum gibt. Reinhard Bingener hingegen berichtet für die Frankfurter Allgemeine Zeitung seit Jahren als Korrespondent schwerpunktmäßig über die evangelischen Kirchen.
Die Begründung der Universität für die Verleihung der Ehrendoktorwürden im Schloss von Münster ist interessant: "Evelyn Finger komme das Verdienst zu, Religion und christlichen Glauben in ihrer Vielgestaltigkeit sowie kulturellen und spirituellen Bedeutung zur Sprache zu bringen. Die Journalistin trage zur regelmäßigen Präsenz religiöser Fragestellungen in der öffentlichen Diskussion bei, ohne sich dabei einer bestimmten Position zu verpflichten." Reinhard Bingener erhielt "die Ehrung für seine kontinuierliche Berichterstattung über die evangelischen Kirchen in Deutschland, seine publizistische Aufarbeitung von theologischen Grundsatzfragen und der gegenwärtigen ethischen Debatten sowie für seine prägnanten Beiträge zu den hohen christlichen Feiertagen" und der Interpretation ihrer "existentiellen Bedeutung für die Gegenwart".
Ohne näher auf die Frage einzugehen, ob die Theologie überhaupt eine Wissenschaft ist, verblüfft diese Begründung. Eine Ehrendoktorwürde für langjährige Kirchenberichterstattung? Das klingt wie ein Bundesverdienstkreuz für Hofberichterstattung. Für einen theologischen Ehrendoktortitel scheint es laut Arnulf von Scheliha, dem Dekan der evangelisch-theologischen Fakultät, vor allem wichtig zu sein, "Religion in ihrer kreativen Vielfalt zur Sprache" zu bringen oder "die Relevanz des christlichen Glaubens und der evangelischen Kirchen in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs" zu integrieren. Letztlich wird damit in Zeiten des Mitgliederschwundes und des eigenen Bedeutungsverlustes das journalistische Engagement gewürdigt, christliche Themen in den Medien präsent zu halten.
Über die Vergabe der Ehrendoktorwürde an der theologischen Fakultät einer staatlichen Universität wie in Münster entscheiden Professoren, deren Ernennung im Einvernehmen mit der Kirche erfolgt sein muss, da sie ein sogenanntes konfessionelles oder kirchengebundenes Staatsamt innehaben. Doch wird hier der universitäre Anspruch auf wissenschaftliche Freiheit nicht missbraucht, wenn Personen geehrt werden, nur weil sie öffentlich für christliche Werte eingetreten sind und die christliche Religion in den Mittelpunkt ihres publizistischen Schaffens stellen?
Keine Universität in Deutschland würde eine Journalistin der Zeit oder einen Journalisten der FAZ zum Doctor honoris causa ernennen, nur weil er "die Philosophie in ihrer kreativen Vielfalt zur Sprache" gebracht oder "die Relevanz der Philosophie in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs" gebracht hat. Vor diesem Hintergrund erscheint es prinzipiell fragwürdig, dass Promotionen theologischer Fakultäten der Status eines akademischen Titels zuerkannt wird – sie werden nicht aufgrund wissenschaftlicher Verdienste, sondern einzig des richtigen Glaubens halber verliehen. Doctor propter fidem (Doktor durch Glauben).
By the way: Der Ehrendoktortitelrekordhalter Theodore Hesburgh war ein katholischer Theologe.
4 Kommentare
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Kommentare
Gerhard Lein am Permanenter Link
Naja, dass solche "wissenschaftlichen" Fakultäten einen Karlheinz Deschner nicht ehren würden, ist nicht überraschend. Blamabel für die Zeitungen (incl. dieser Redakteure) ist's dennoch.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Habe sowieso den Eindruck, dass so ein Dr. hc relativ zusammenhanglos mit der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin vergeben wird. Honoriert werden da wohl meist Geld und Macht.
Die Internet-Suche mit den Stichworten Theologie und Wissenschaft hat auf https://www.aphorismen.de/suche?text=wissenschaft+theologie einen Aphorismus geliefert, den ich für so gelungen halte, dass ich ihn hier zitieren möchte:
Theologie als forsche Wissenschaft vom Unerforschlichen ist oft Unwissen vom Erforschlichen.
© Rolf Friedrich Schuett (*1941), Systemanalytiker und Computer-Programmierer in der Atom- und Raumfahrtindustrie
Quelle: Schuett, Wandert oder seid bewandert! (Manuskript), 2013
Angela H am Permanenter Link
Nicht vergessen: Der bizarrste Ehrendoktortitel ist immer noch der des Dalai Lama.
Thomas Schneider am Permanenter Link
"Nach der Nobelpreisverleihung wurden Feynman diverse Ehrendoktorwürden angetragen, er lehnte dies aber grundsätzlich ab, weil er nichts von Ehrendoktorwürden hielt.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Feynman