Die leere Wette

Sam Harris über Pascals berühmte Wette

Die Berichterstattung über meine letzte Debatte auf den Seiten von Newsweek begann und endete damit, dass Jon Meacham und Rick Warren jeweils anerkennend auf die Pascalsche Wette hinwiesen. Wie sich viele Leser erinnern werden, ging Pascal davon aus, dass religiöse Gläubige einfach die schlauere von zwei Wetten annehmen: Wenn ein Gläubiger über Gott im Unrecht ist, dann fügt er sich selbst und anderen keinen großen Schaden damit zu und wenn er Recht hat, gewinnt er ewiges Glück; falls jedoch ein Atheist im Unrecht ist, dann wird er zur Hölle fahren. So gesehen scheint der Atheismus geradezu die Definition halsbrecherischer Dummheit zu sein.

 

Aber in diese berühmte Wette sind viele fragwürdige Annahmen eingebaut. Eine ist die Behauptung, dass die Leute keinen schrecklichen Preis für religiösen Glauben zahlen. Es erscheint lohnend, sich in diesem Kontext an die Art der Kosten zu erinnern, groß und klein, die wir dank der Religion tragen müssen. Angesichts der zerstörerischen Technologie, die sich weltweit mit der Effizienz des 21. Jahrhunderts ausbreitet, was ist da der gesellschaftliche Preis von Millionen von Muslimen, welche an die Metaphysik des Märtyrertums glauben? Wer möchte den Preis für die tief empfundenen religiösen Differenzen festlegen, den die Sunniten und die Schiiten momentan im Irak zum Ausdruck bringen (mit Autobomben und Elektrowerkzeugen)? Was ist das Nettoergebnis, wenn so viele jüdische Siedler glauben, dass ihnen der Schöpfer des Universums ein Fleckchen Wüste am Mittelmeer versprochen hat? Was waren die psychologischen Kosten, welche die christliche Angst vor Sex die letzten siebzig Generationen verursacht hat? Die laufenden Kosten der Religion sind unberechenbar. Und sie sind schrecklich.

 

Während Pascal seinen Ruf als brillianter Mathematiker verdient, war seine Wette nie mehr als eine niedliche (und falsche) Analogie. Wie bei vielen niedlichen Ideen in der Philosophie, erinnert man sich oft an sie und wiederholt sie oft und dies hat ihr einen unverdienten Anschein der Tiefsinnigkeit verliehen. Falls die Wette zulässig wäre, könnte sie dazu verwendet werden, jedes Glaubenssystem (egal, wie lächerlich es ist) als einen "guten Tipp" zu rechtfertigen. Muslime könnten sie dazu verwenden, um die Behauptung zu stützen, dass Jesus nicht göttlich war (der Koran besagt, dass jeder, der an die Göttlichkeit von Jesus glaubt, zur Hölle fahren wird); Buddhisten könnten sie dazu verwenden, um die Glaubenslehre von Karma und Wiedergeburt zu stützen; und die Herausgeber der TIME könnten sie benutzen, um die Welt davon zu überzeugen, dass jedem, der Newsweek liest, eine feurige Verdammnis bevorsteht.

 

Aber das größte Problem mit der Wette -- und es ist ein Problem, das religiöses Denken allgemein betrifft -- ist ihre Behauptung, dass sich eine vernünftige Person willentlich dazu entschließen kann, an eine Vermutung zu glauben, für die es keine Beweise gibt. Eine Person kann natürlich jeder Behauptung Glauben schenken, der sie will, aber um wirklich daran zu glauben, muss sie auch daran glauben, dass der zu Grunde liegende Glaubenssatz wahr ist. An, zum Beispiel, die Existenz eines Gottes zu glauben, bedeutet zu glauben, dass man sich nicht einfach etwas vormacht, sondern dass man in einer Art von Beziehung zu Gott steht, die, falls es ihn nicht gäbe, dazu führen müsste, dass man nicht an ihn glaubt. Wie passt die Pascalsche Wette in dieses Schema? Sie tut es nicht.

 

Glaubenssätze sind nicht wie Kleider: Komfort, Nützlichkeit und Attraktivität können nicht die bewussten Kriterien sein, um sie zu erwerben. Es ist wahr, dass Leute oft aus schlechten Gründen an Dinge glauben -- Selbsttäuschung, Wunschdenken und eine große Mannigfaltigkeit an kognitiven Voreingenommenheiten könnten tatsächlich unser Denken vernebeln -- aber schlechte Gründe neigen nur dann zu funktionieren, wenn sie unerkannt bleiben. Die Pascalsche Wette behauptet, dass eine vernünftige Person bewusst an eine Annahme glauben kann, einfach nur, weil sie es auf eine zukünftige Belohnung absieht. Ich nehme an, dass niemals jemand seine religiösen Glaubenssätze auf diese Weise erwirbt (Pascal hat dies sicherlich nicht getan). Aber selbst wenn einige Leute das tun, wer könnte so töricht sein zu denken, dass solche Glaubenssätze mit hoher Wahrscheinlichkeit wahr sind?

 

Übersetzer: Andreas Müller
Original: "The Empty Wager" auf Newsweek, 18. April 2007

 

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