Steiners Apologet im Zwielicht

(hpd) Dass Anthroposophen häufig ein gestörtes Verhältnis zu Meinungsfreiheit und unabhängiger Medienberichterstattung haben, ist durch viele Beispiele belegt. Nun will einer ihrer „Vordenker“, Lorenzo Ravagli, Zitate aus unveröffentlichtem Material verbieten lassen.

Kompromittierend sind dabei nicht nur die Aussagen, die Ravagli einmal mehr als Wirrkopf zeigen, sondern auch die Wahl seines verhinderten Co-Autors: der NPD-Funktionär und ehemalige Waldorflehrer Andreas Molau.

Die Geschichte beginnt im Herbst 2007. Damals war im Verlag Johannes M. Mayer ein Buch mit einem Briefwechsel zwischen Lorenzo Ravagli und Andreas Molau angekündigt. Unmittelbar vor Erscheinen machte Ravagli jedoch einen Rückzieher: Ein Buchprojekt „mit einem bekennenden Rechtsaußen“, so zitierte ihn die Online-Ausgabe des Stern damals, könnte „derzeit von der Öffentlichkeit im falschen Kontext bewertet werden“. Dieser „falsche Kontext“ war die unmittelbar zuvor erfolgte Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien über zwei Bücher von Rudolf Steiner. Diesen wurde bescheinigt, dass sie „Elemente aufweisen, die aus heutiger Sicht als rassistisch zu bewerten sind“. Da es über den Fall eine umfassende Berichterstattung in zahlreichen Medien gegeben hatte, fürchtete Ravagli offenbar, durch seinen Dialog mit einem NPD-Funktionär Öl ins Feuer zu gießen und vor allem das Image der Waldorfschulen zu beschädigen. Der Rückzug durfte also als taktischer verstanden werden.

Lorenzo Ravagli: Apologet Steiners

Nun ist Lorenzo Ravagli kein beliebiger Schreiberling der anthroposophischen Szene; ausgerechnet er hat die Aufgabe übernommen, in mehreren Büchern Rudolf Steiners rassistische Einlassungen in ihr Gegenteil umzuinterpretieren. Obwohl längst gezeigt wurde, wie unseriös Ravagli vorgeht und dass er in seinen Apologien Steiners Aussagen in einer Weise zurechtgebogen hat, die wissenschaftlicher Zitierweise spottet, wurden seine Arbeiten immer wieder angeführt, wenn es darum ging, den Begründer der Anthroposophie vom Vorwurf des Rassismus reinzuwaschen. Durch das klare Votum der Bundesprüfstelle war Ravaglis Urteilskraft nun jedoch grundlegend in Frage gestellt, das Buch mit Andreas Molau hätte ihn als Experten wohl auch in anthroposophiefreundlichen Kreisen und vor allem für die Medien vollends unmöglich gemacht.

Ob dies Lorenzo Ravagli selbst gedämmert ist, mag dahingestellt bleiben. Normalerweise spiegelt sich in seinen Äußerungen wenig differenziertes Denken. Im Anthroblog fabuliert er über „Klassenkampf“ und „Rassenkampf“ als Auslöser zweier Weltkriege und beklagt, dass es Menschen gibt, die etwas anderes sehen oder hören als er selbst. Zu all jenen, die durchschauen, welche Auffassungen sich hinter wolkigen Formulierungen verbergen, hat eine klare Meinung: „Die rassistoiden Antirassisten, die faschistoiden Antifaschisten, die sektiererischen Sektenjäger, sie alle missbrauchen andere Menschen lediglich als Objekte ihrer ideologischen Selbstrechtfertigung.“ So erscheint es wahrscheinlicher, dass sein Rückzug aus dem Buchprojekt mit Andreas Molau nicht aus freien Stücken erfolgte, sondern durch einen Wink seiner Förderer aus der oberen Etage des anthroposophischen Netzwerkes angestoßen wurde.

„Spiritueller Auftrag“ der Deutschen

Für eine Einschätzung der Seriosität des Rassismus-„Experten“ Ravagli wäre es durchaus interessant gewesen, das geplante Buch in voller Länge zu studieren, denn bereits die wenigen an die Öffentlichkeit gelangten Passagen haben es in sich. Bizarr erscheint, was Lorenzo Ravagli als zentrale Errungenschaften der Bundesrepublik ansieht: „Was haben die Deutschen denn seither aus den politischen Möglichkeiten gemacht, die ihnen das Grundgesetz bietet? Nun gut, es gibt inzwischen eine Waldorfschulbewegung, eine biologisch-dynamische Landwirtschaft usw., aber das Beste, was man darüber sagen kann ist, dass die Bundesrepublik sie nicht verhindert hat...“ Nicht Demokratisierung oder Emanzipation schweben ihm als gesellschaftliche Zielsetzungen vor, sondern ein nebulöser „spiritueller Auftrag“. Sein Geschichtsbild ist mehr als bedenklich: „Bereits die Deutschen des 19. Jahrhunderts haben ihren spirituellen Auftrag verraten, deswegen sind sie am Ende auch im Nationalsozialismus gelandet, der der ultimative Verrat an der spirituellen Aufgabe des deutschen Volkes war.“

Wer ähnliche Glanzlichter anthroposophisch gefärbter Geschichtsinterpretation lesen möchte, findet in Ravaglis Bücher oder Artikeln zahlreiches Anschauungsmaterial. Derartige die Ursachen des Nationalsozialismus verschleiernde Peinlichkeiten stecken den Rahmen seiner intellektuellen Möglichkeiten also ganz gut ab. Als Anfang März jedoch auf der Internetseite npd-blog.info, die Material zur NPD und ihren menschenfeindlichen Einstellungen dokumentiert, in einem Interview mit Andreas Molau über das Buchprojekt einige Zitate aus dem Briefwechsel auftauchten, wollte der sonst so mitteilungsfreudige Anthroposoph der Welt seine Weisheiten vorenthalten. Sein Anwalt wurde beim Betreiber des Blogs mit der Forderung vorstellig, den Text aus dem Netz zu nehmen. Vom Autor des Beitrags wurde gar verlangt, auf die im Interview von Molau zitierten Passagen aus dem ehemals gemeinsamen Buchprojekt bei zukünftigen journalistischen Arbeiten zu verzichten. Dieser Eingriff in die Pressefreiheit wurde mit der Begründung geführt, das Urheberrecht bzw. das Persönlichkeitsrecht Ravaglis werde verletzt, weil er seinerzeit die Zustimmung zur Veröffentlichung des Buches zurückgezogen habe. Ein derartiges Vorgehen gegen die Veröffentlichung aus unveröffentlichten oder internen Unterlagen durch sektiererische Kreise ist nicht neu: In den 1990er Jahren versuchte Scientology mehrfach unter Hinweis auf das Urheberrecht zu verhindern, dass die Inhalte aus „streng geheimen“ Schriften öffentlich bekannt wurden. Dass Ravagli auf diese Methode zurückgreift, ist bezeichnend und wirft ein deutliches Licht auf sein gestörtes Verhältnis zu demokratischen Grundrechten wie Presse- und Informationsfreiheit.

Obwohl er sich gute Chancen bei einer juristischen Auseinandersetzung ausrechnete, hat sich Autor Andreas Lichte auf einen Vergleich eingelassen, der ihm die weitere Verwendung der ihm vorliegenden Stellen aus der Korrespondenz zwischen Ravagli und Molau untersagt. „Das Prozesskostenrisiko lag letztlich bei einem fünfstelligen Betrag“, sagte er gegenüber dem Humanistischen Pressedienst. Dies alleine zu tragen, habe er nicht gewagt. So können die Anthroposophen einen weiteren Etappensieg verbuchen in ihren Bemühungen, jegliche kritische Berichterstattung zu unterbinden – insbesondere wenn diese Querverbindungen zu rechtem Gedankengut oder rechten Organisationen aufzeigen.

Gunnar Schedel

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