Das Elend der konfessionsgebundenen Theologie

TÜBINGEN. Fakultäten an deutschen Universitäten, in denen die Kirchen bestimmen dürfen,

wer lehren darf und was zu lehren ist, sind Fremdkörper in einer der Aufklärung verpflichteten Wissenschaft. Der ebenso renommierte wie streitbare Göttinger Neutestamentler Prof. Dr. Gerd Lüdemann schilderte am 3. Mai vor über 100 Zuhörern in der Universität Tübingen das Elend konfessionsgebundener Theologie.

Obwohl die wissenschaftliche Theologie seit nunmehr über 150 Jahren Hervorragendes bei der historischen Untersuchung religiöser Texte - insbesondere des Alten und des Neuen Testaments - geleistet hat, befinden sich die Fakultäten immer noch im Würgegriff der Kirchen. Konsequent die Bibel als Menschenwort zu verstehen und damit die Vielgestaltigkeit der in ihr enthaltenen religiösen Vorstellungen aufzuweisen, ist eine Voraussetzung wissenschaftlichen Arbeitens. Wer dagegen Theologie als eine auf die Bibel als „Wort Gottes" bezogene Wissenschaft versteht und den Wahrheitsanspruch der christlichen Rede von Gott absolut setzt, steht außerhalb jedes normalen Wissenschaftsverständnisses.

Der auf Einladung der „Humanisten Württemberg" und des humanistisch-philosophischen Arbeitskreises Tusculum nach Tübingen gekommene Referent machte anschaulich an zwei Bereichen deutlich, dass der Widerspruch zwischen konfessioneller Bindung und Wissenschaft unaufhebbar ist: Jungfrauengeburt und Auferstehung Jesu. Es besteht unter allen Neutestamentlern Einigkeit, dass der Glaube an die Geburt Jesu aus einer Jungfrau in den ältesten Texten des Neuen Testaments nicht enthalten ist, ebenso wenig ist die Vorstellung vom leeren Grab Bestandteil aller Schichten des Neuen Testaments. Was aber allen historisch arbeitenden Bibelwissenschaftlern bekannt ist, darf nicht öffentlich geäußert werden. Wer es doch wagt, wie Prof. Lüdemann, wird diszipliniert, bekommt Prüfungsberechtigungen entzogen; sein Lehrstuhl wird umbenannt.

In der lebhaften, stets fair geführten Diskussion gelang es dem Referenten sein Plädoyer für eine neue theologische oder religionswissenschaftliche Fakultät, in der alle Religionen der Vergangenheit und Gegenwart wissenschaftlich erforscht werden, deutlich zu machen.

In einer solchen Fakultät hätte ein Machwerk wie das Jesusbuch von Benedikt XVI nur ein Schicksal zu erwarten: Nichtbeachtung. Ein Buch, das hundert Jahre wissenschaftlicher Arbeit ignoriert, richtet sich selbst.

 

Günter Kehrer