Die ehemalige Bundesvorsitzende von pro familia, Gisela Notz, hielt am 7. Dezember in Berlin eine Rede anlässlich der Demonstration für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Darin verwies sie auf die lange Geschichte des Kampfes der Frauen.
Der hpd veröffentlicht die Rede im Wortlaut.
Wir setzen uns ein für die ersatzlose Streichung des Paragrafen 218, der seit 1871 im deutschen Strafgesetzbuch steht.
Mit dem Slogan "Dein Bauch gehört dir" stritten Frauen schon um die Jahrhundertwende für die Freigabe des Abbruchs. Sie wussten, dass restriktive Gesetze nicht dazu führen, dass weniger Schwangerschaften abgebrochen werden, sondern dass der illegale Abbruch zum lebensgefährlichen Risiko wird, vor allem für arme Frauen; vermögende Schwangere fanden immer einen Arzt. Der Abtreibungsparagraf war immer ein Klassenparagraf. Das Strafrecht bestrafte Frauen als Verantwortliche, während die Ehegesetze sie zu rechtlosen Objekten machten, denn die Verweigerung der "ehelichen Pflichten", dazu gehörte der Geschlechtsverkehr, waren bis 1953 ein Scheidungsgrund und Ehemänner durften ihre Frauen in der BRD bis 1997 straflos vergewaltigen.
Der Bund Deutscher Frauenvereine schlug 1909 mit einer Petition Straffreiheit und eine Fristenlösung (ohne Zwangsberatung) vor. Erfolg hatte er bei den im Reichstag vertretenen Herren nicht. Schon damals wurde der Geburtenrückgang beklagt. Der Kaiser brauchte Soldaten. Sexualpolitik, Familienpolitik, Militärpolitik und Bevölkerungspolitik waren immer eng verbunden. Die AbtreibungsgegnerInnen beriefen sich schon immer auf den christlichen "Gott im Himmel", der allein über Geburt und Tod entscheiden könne. Wir sagen: Kirche raus aus den Gebärmüttern! Auch jedes Kind hat das Recht, erwünscht zu sein!
Obwohl seit 1920 Frauen im Reichstag saßen und trotz der massenhaften Proteste unter dem Motto "Dein Bauch gehört dir", die sich gegen die Klassenjustiz richteten, konnten die damals linken Parteien mit verschiedenen Gesetzentwürfen zur Liberalisierung beziehungsweise Streichung des Paragrafen 218 StGB keine Mehrheit erzielen. Lediglich die Zuchthausstrafe wurde 1926 in Gefängnisstrafe umgewandelt. Die Abtreibungsgegner*innen waren mächtiger; und die Sozialist*innen waren sich nicht einig. Das darf nicht wieder passieren!
Die Nazi-Faschisten verboten und erzwangen die Abtreibung. Abtreibung, die die Fortpflanzung von nach ihrer Ansicht "minderwertigen Volksgruppen" verhinderte, blieb straflos oder wurde erzwungen. Für den Fall, dass "die Lebenskraft des deutschen Volkes" beeinträchtigt wurde, galt ab 1943 die Todesstrafe. Es ging um rassenbiologische Geburtenkontrolle, an der konservative Ärztinnen eifrig mitarbeiteten. Das darf nie wieder geschehen!
In der BRD galt nach 1949 der in den 1920er Jahren geringfügig geänderte Paragraf 218 und der Nazi-Paragraf 219a blieb bestehen. In der DDR wurde 1972 gegen die Stimmen der dortigen CDU die Fristenlösung ohne Zwangsberatung eingeführt. Der Ruf der Neuen Frauenbewegung in der BRD "Mein Bauch gehört mir!" wurde von scharfen Protesten der Konservativen und der Kirchen begleitet. Nach der Wiedervereinigung 1990 fand trotz lautstarker Proteste die Übernahme der DDR-Fristenlösung für die BRD keine Mehrheit. Abtreibung ist bis heute ein Straftatbestand und ist nur unter strengen Bedingungen und nach Zwangsberatung und Bedenkzeit straffrei. Dass die DDR-Frauen diese Entmündigung schlucken mussten ist ein Skandal!
Wir sagen:
Ersatzlose Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch, weg mit der Zwangsberatung, stattdessen freiwillige ideologiefreie Beratung, vollständige Kostenübernahme.Abtreibung ist Teil der Gesundheitsversorgung und kann nicht mit Verweis auf eine höhere Macht im Himmel von Gesundheitsexpert*innen und Ärzt*innen abgelehnt werden.
Wir fordern, dass das grundlegende Menschenrecht auf sexuelle Selbstbestimmung und reproduktive Gerechtigkeit für alle, die schwanger werden können, verwirklicht wird. Dafür kämpfen wir weiter.
Siehe dazu auch den Artikel der Autorin beim hpd: 150 Jahre Paragraf 218 – Zeit, ihn endlich in den Ruhestand zu schicken!