KLEVE/MÜNSTER. Die aktiven Mitglieder der katholischen Kirche ziehen gern mit ihren Heiligen
durch die Strassen. Und man könnte meinen, es wurde die Devise ausgegeben: „Neue Heilige braucht das Land."
„1.308 Selige und 477 Heilige sind unter Johannes Paul II vom Band gelaufen" – das sind in den 25 Jahren von 1978 bis 2003 (rund 2 Heilige und 5 Selige pro Monat) deutlich mehr Selig- und fast doppelt so viele Heiligsprechungen als bis dahin seit 1588, also mehr als unter allen anderen Päpsten zusammen - eine Inflation der Heiligen?
Vielleicht soll deshalb auch Karl Leisner, der als Märtyrer und Vorbild der Jugend von Papst Johannes Paul II. am 23. Juni 1996 in Berlin selig gesprochene Priester, in den Stand eines katholischen Heiligen gehoben werden?
Der Diözesanbischof des Bistums Münster, Dr. Reinhard Lettmann, beauftragte die Eröffnung eines so genannten „Wunderprozesses in de Causa des Seligen Karl Leisner". Falls der Kandidat der Heiligkeit tatsächlich auch „vor Gott heilig ist", so werde dies gemeinhin durch besondere Vorkommnisse, durch "Zeichen", bestätigt und deshalb wird die "fama signorum", der "Ruf der Wundertätigkeit" - zumeist ein Heilungswunder - überprüft.
Wunder gibt es immer wieder, bemerkte auch die WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung), doch erstaunlicher Weise tauchen die meisten davon auf, wenn ein neuer Heiligen ernannt werden soll.
Und so wundersam und unergründlich wie die katholische Kirche ist, meldete sich schon ein nicht näher genannter Mann. Dieser führte seine „medizinisch unerklärbare" Heilung vom Krebs auf die persönliche Fürsprache des Seligen Karl Leisner zurück.
Karl Leisner, der im August vor 62 Jahren im Waldsanatorium Planegg bei München an TBC gestorbene Geistliche, hat also das Wunder vollbracht, welches - nach Ansicht der katholischen Kirche - den Antrag auf Heiligsprechung rechtfertigt - ein für normale menschliche Begriffe später Nachweis.
Karl Leisner ist nicht irgendein Priester. Er ist eine "Schönstatt-Persönlichkeit", sowie Namensgeber und Patron der Karl-Leisner-Jugend. Nach ihm sind bereits Schulen, Straßen, und z.B. das Karl-Leisner-Jugendcenter „KALLE" benannt. Der Internationale Karl-Leisner-Kreis verkauft die Karl-Leisner-Bronze-Gedenkmedaille für 50 Euro plus Porto und Verpackung.
Er hat alle Stufen einer posthumen katholischen Karriere durchlaufen: August 1945 Beerdigung in Kleve, 1950 erste Biographie, 1966 Exhumierung und Beisetzung in der Krypta des Domes in Xanten, 1973 Gründung eines Freundeskreises, 1975 Internationaler Freundeskreis, 1977 Einleitung des Seligsprechungsprozesses, 1996 Seligsprechung, 2007 Eröffnung des Heiligsprechungsprozesses.
Parallel dazu werden Legenden aufgebaut.
Im Waldsanatorium bei Planegg besteht eine „Gedenkstätte für den seligen Karl Leisner: Das Zimmer 76, in dem er am 12. August 1945 starb, wurde im ursprünglichen Zustand erhalten und erinnert an den Aufenthalt des Priesters vom Niederrhein." So die Barmherzigen Schwestern.
Nach aktueller telefonischer Auskunft einer Schwester des Waldsanatoriums Planegg ist erst seit 1998 eine Gedenkstätte für Leisner eingerichtet: Das Zimmer mit der Nummer 76 wurde jedoch, wie man im Internetauftritt betont, so belassen, wie er es bewohnte.
Da drängt sich die Frage auf, was mit diesem Zimmer von 1945 bis 1998 passierte ist?
Es starben viele Menschen, die gegen das NS Regime kämpften, so zum Beispiel die Geschwister Scholl, die sich aktiv gegen Hitler und seinen Krieg auflehnten und diesen Kampf mit dem Tod durch das Fallbeil bezahlen mussten.
So ist es nicht unproblematisch, wenn die Karl-Leisner-Jugend zum "Dritten Reich" schreibt: „Betrachtet man das Verhältnis der Katholischen Kirche zum Nationalsozialismus bis 1933, wurde der Nationalsozialismus in eindrucksvoller Geschlossenheit abgelehnt. In allen Diözesen des Deutschen Reiches war es den Katholiken verboten, Mitglied der NSDAP zu sein."
Ebenso zeigt die „Rattenlinie" – die Verstrickung des Vatikans in das transatlantische Netz der organisierten Fluchthilfe für Nazis nach Südamerika – auch andere Dimensionen des Verhältnisses von katholischer Kirche und NS-Regime.
Die heutige Generation muss sich selber aktiv mit der Geschichte Deutschlands befassen, sie aufarbeiten und Lehren ziehen. Man muss derer gedenken, die dazu beigetragen haben, dieses Unrechtsregime zu stürzen. Aber man sollte keine Verherrlichung betreiben und schon gar nicht aus „Märtyrern" (Menschen, die für ihren Glauben gestorben sind) Heilige machen, um diese dann eventuell zu „vermarkten".
In Zeiten leerer Kirchen kommt eine Heiligsprechung sicher der Region Niederrhein - und sollte es klappen -, auch der Stadt Kleve zu gute. Ob es so kommt, wird abzuwarten sein, denn für die Heiligsprechung sind mindestens zwei weitere "fama signorum" nötig - die sich bisher noch nicht gemeldet haben.
Doch die Stadt Goch, nur ein paar Kilometer von der Geburtsstadt Leisners entfernt, macht mit einem anderen „Heiligen" schon gute Geschäfte.
Thomas Häntsch