BERLIN, IRGENDWO IN BAYERN. Es könnte ein verspäteter Nachspruch zum Muttertag sein, dieses kleine Interview.
Es handelt vom Druck, dem Zwiespalt und dem Nichts tun Können, dem junge ostdeutsche Mütter und Familien unterliegen, wenn sie ihre Kinder im Westen Deutschlands atheistisch erziehen möchten. Beim „Humanistischen Verband“ sind in diesem Frühjahr zahlreiche Mails und Anrufe aus Gegenden eingegangen, in denen meist Mütter nach Jugendweihen, Lebenskunde oder Ethikunterricht fragten, wo es aber einen HVD nicht gibt.
Von 1989 bis 2002 siedelten gut drei Millionen Ostdeutsche nach Westdeutschland über. Es kann davon ausgegangen werden, dass in der „Glaubensstruktur“ dieser Personen wahrscheinlich sogar eine noch höhere „Atheistenquote“ vorherrscht als die von fast sechzig Prozent in der durchschnittlichen ostdeutschen Bevölkerung, weil diese Generation ihren Lebenslauf vollständig in der DDR „absolvierte“.
Die 13. Shell-Studie „Jugend 2000“ stellte zudem fest, dass besonders die jungen Ostfrauen selbstbewusst auf ihrem Weg sind. Ihre Leistungsbereitschaft ist hoch. Sie sind weniger genuss- (sprich konsum-)orientiert, dafür stärker individualisiert, mobiler, anpassungsfähiger – und beruflich qualifizierter als ihre Schwestern, die im Westen sozialisiert wurden. Das haben sie – so steht zu vermuten – stückweit auch von ihren emanzipierten Müttern im Osten und deren selbstverständlicher Integration in Beruf und Gesellschaft. Ihre Anpassungsbereitschaft ist auch darauf zurückzuführen, dass sie keine religiösen Vorbehalte haben, sich in ihrer neuen Umgebung rasch akklimatisieren und generell eher tolerant als kämpferisch sind.
Was aber tun, wenn dort, wo sie gelandet sind, alles Katholisch ist? Was geschieht nun, wenn diese Mütter unter Druck geraten, Ihr Kind eventuell taufen lassen zu sollen? Welche Konsequenz aus der Taufe ergibt sich später für das Kind, wenn es nicht an Gott glaubt? Wo und bei wem finden sie Rat? Das ist der Grund, warum sich die junge Mutter, mit der ich spreche, an den hpd gewandt hat. Sie ist in Ostberlin ganz normal atheistisch aufgewachsen, ebenso wie ihr Mann. Es hat sie auf der Suche nach Arbeit nach Bayern verschlagen, nicht in eine anonyme Großstadt, sondern in ein kleines, aber hübsches Nest. Es gefällt ihnen dort im Grünen. Es ist ein Ort, in den Menschen geraten können, wenn sie als Arbeiter oder Angestellte einigermaßen erfolgreich sind. Es ist auch ein schöner Flecken für ihre zwei Mädchen, fünf und zwei.
Das Gespräch mit Frau B. findet in der Nähe statt, wo sie 1991 ihre Jugendweihe hatte (Foto). Die Familie besucht Berliner Verwandte und ist auf der Durchreise nach Brandenburg, wo sie zu einer Jugendweihe eingeladen ist. Da bietet sich der Treffpunkt an. An dem Gespräch nimmt auch der Mann teil, der aber nicht mit aufs Bild möchte, auch nicht in das anonymisierte Interview.
hpd: Was kann ich für Sie tun und wie kann ich Ihnen helfen?
Frau B.: Danke für den kurzfristigen Termin. Wir leben in A. in einem Dreifamilienhaus. Die eine Familie hat erwachsene Kinder, die sind aus dem Haus. Die jungen Leute über uns haben noch keine Kinder. Es geht uns gut. Zwar würde ich gern voll arbeiten, aber Kitas nehmen generell die Kinder erst ab drei Jahre. Einer Elterninitiative ist es zu danken, dass die Jüngste wenigstens an zwei Vormittagen in der Woche mit Gleichaltrigen spielen kann. Beiden Kindern gefällt es. Sie sind sehr gemeinschaftstauglich. – Aber nun zu meinem Problem: Der Kindergarten, den die Große besucht, ist katholisch, ein nichtkirchlicher zu weit weg. Es ist ein sehr guter Kindergarten, mit sehr viel Platz, kleinen Gruppen, ganz modern, mit sehr viel Hinwendung zu den Kindern. Dass da gebetet wird, war für uns nie ein Problem. Dort unten ist ja alles kirchlich. Das gesamte öffentliche Leben, jede Feier. Einige Dinge kann unsere Tochter nicht mitmachen, weil sie nicht getauft ist. Sie selbst findet aber alles wunderbar und möchte auch überall dabei sein. Eine Anfrage meinerseits an die Kita, wie das denkbar wäre, ergab die Möglichkeit einer Taufe für das Kind, ohne dass mein Mann und ich in die Kirche eintreten müssen.
hpd: Und Sie möchten nun, dass Ihr Kind nicht getauft wird?
Frau B.: Sehen Sie, ich bin da sehr unentschlossen, weil ich gar nicht weiß, was das bedeutet. Nirgends in meiner Familie oder der meines Mannes gibt es Gläubige. Auch hier im Ort ist es so, dass ich noch keine strengen Christen getroffen habe. So richtig glaubt hier keiner. Aber sie halten sich an die Regeln. Die Taufe gehört dazu, sieht man von der kleinen Türkin Leyan einmal ab. Die islamische Türkin und das atheistische Ossi-Kind in einem Topf ... schon seltsam, das alles.
hpd: Aber Sie als Eltern sind doch beide Atheisten oder?
Frau B.: Was das ist, hat uns nie interessiert, wie auch Religion. Man sagt, das würde nichts machen. Man braucht lediglich einen Paten für das Kind. Den könne man besorgen. Der würde dann auch das Kind auf seinem „Glaubensweg“ begleiten. Soll ich das verweigern? Mir ist immer das Horrorbild vor Augen: Alle Kinder im Ort haben Kommunion und meines hat kein schickes weißes Kleid an und steht abseits.
Wissen Sie, ich war bei den Pionieren [Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ in der DDR, hpd], weil ich nicht außen stehen wollte. Und meine Eltern wollten das auch nicht. Irgendwie geht es dort, wo wir wohnen, sinngemäß auch um Pioniere, wo alle drin sind, die nicht draußen sein wollen. Da wird viel geboten, glauben muss man’s ja nicht. Dabei sein ist alles.
hpd: Das ist aber noch ein Stück hin zur Kommunion, erst in der dritten Klasse ...
Frau B.: ... naja, da ist ja schon das zweite Problem. Wenn mein Kind im kommenden Jahr eingeschult wird, gehen alle zum Eröffnungsgottesdienst und dann in den Religionsunterricht – und mein Kind? Von Ethikunterricht haben die noch nie was gehört. Aber insgesamt führt das zum gleichen Problem: Leyan und mein Kind im „Sonderunterricht“.
hpd: Vielleicht müssen die beiden im Religionsunterricht hinten sitzen, weil es gar keine Klasse dafür gibt?
Frau B.: Tolle Aussichten. Wie ich Ihnen schon am Telefon sagte: Das ist mir alles zu ungewiss. Und ich habe nichts gefunden, wo ich gut beraten werde. Ich habe bei Google „Ethikunterricht in Bayern“ eingegeben und bin auf einen „Bund für Geistesfreiheit“ gestoßen [sie meint, wie sich nachträglich herausstellt, diese Seite]. Alles prima ... für Philosophen. Ich habe nichts gefunden, was mir in elementaren Fragen Rat gibt. Da bin ich dann durch Zufall auf diesen hpd gestoßen, über die Sache mit der Betroffenengruppe Kirchensteuer. Ich will dazu jetzt nicht viel sagen. Das betrifft uns nicht. Aber ich hoffe, es gibt noch mehr Mütter wie mich, die die gleichen Probleme haben wie wir. Da könnten wir uns ja gegenseitig informieren ...
Für uns ist einfach wichtig zu wissen, was passiert, wenn wir uns zu einer Taufe entschließen? Meine Tochter, die jetzt noch nicht für sich entscheiden kann, hat vielleicht in zehn Jahren absolut keinen Sinn mehr für das was sie heute gut findet. Wird es für sie dann einfach sein, aus der Kirche wieder austreten zu können?
hpd: Vielleicht ist dieses kleine Interview dafür nützlich? Die Redaktion wird gern Kontakte dieser Art vermitteln. – Was würden Sie denn noch wünschen?
Frau B.: Literaturhinweise. Nicht ein Kinderbuch ist auf dem Markt, dass ich vorlesen kann und das Fragen beantwortet, die mein Kind jetzt hat, und die ich nicht erwidern kann außer mit gesundem Menschenverstand. Das mit dem Jesus und dem lieben Gott – davon weiß ich nichts, will ich auch nichts ernstlich davon wissen. Wenn ringsum gebetet wird, verhalten wir uns still. Wir beten nicht mit, das wird auch akzeptiert. Der Fünfjährigen macht nun aber plötzlich das Beten und Kirchenliedersingen Spaß. Soll ich ihr das untersagen? Wie sollen wir reagieren und antworten, wenn sie uns Ostern die Geschichte der „Auferstehung“ völlig überzeugend erzählt? Tot ist tot? Wo ist denn das Buch, die homepage oder was auch immer, um diese Fragen, kind- und altersgemäß oder eltern- und müttergerecht zu beantworten? Wissen Sie, als Ossis sind wir doch mit Religion gar nicht in Berührung gekommen. Mir fehlt auch nichts, aber dem Kind irgendwie, weil es hier aufwächst.
hpd: Es gibt aber doch Verbände, die sich diesen Fragen widmen ...
Frau B.: ... die wollen auch, dass wir Mitglied werden, dass wir Arbeit vor Ort machen. Ich hab da mal bei zweien angerufen. Wir wollen aber keine Politik, sondern Beratung, Hinweise, Konkretes. Außerdem, die sind ja alle weit weg.
hpd: Wir bedanken uns für dieses Gespräch und hoffen, wir können Hilfen vermitteln, die Sie wünschen.
Die Fragen stellte GG