Die USA deportieren ihren letzten Rest Menschlichkeit

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Kristi Noem, Chefin des "Department for Homeland Security", in El Salvadors berüchtigtem Giga-Gefängnis CECOT
Kristi Noem im Gefängnis CECOT

Die Vereinigten Staaten haben begonnen, selbst Menschen mit legalem Aufenthaltstitel verschwinden zu lassen. Hunderte wurden in den vergangenen Wochen unter Berufung auf ein Gesetz aus Kriegszeiten verhaftet und sitzen nun ohne Aussicht auf einen Prozess in einem Hochsicherheitsgefängnis in El Salvador. Was man ihnen zur Last legt? Ihre Tattoos – und ganz offensichtlich ihre Herkunft.

Eine kurze Geschichte des Alien Enemies Act

Wir schreiben den 7. Dezember 1941. Nach den Angriffen der japanischen Luftwaffe auf den US-amerikanischen Marinestützpunkt Pearl Harbor unterzeichnet Präsident Franklin D. Roosevelt drei Proklamationen, die Angehörige der Staaten Japan, Deutschland und Italien zu sogenannten "alien enemies" ("ausländische Feinde") deklarieren. Am Mittag des 8. Dezember erklärt der Kongress Japan den Krieg. Mehr als 120.000 japanische Zivilist*innen sollten in den kommenden Jahren ohne Gerichtsverhandlung in Haftanstalten verbracht werden, die selbst von der US-Regierung als "Konzentrationslager" bezeichnet wurden.

In Korematsu v. United States entschied der US-Supreme Court im Jahr 1944, dass die Aussetzung von Habeas Corpus und die Inhaftierung japanischstämmiger US-amerikanischer Staatsbürger*innen basierend auf deren Race rechtmäßig sei. 74 Jahre später, im Fall Trump v. Hawaii, korrigierte sich das höchste Gericht der Vereinigten Staaten. Chief Justice John Roberts erklärte: "Die mit Zwang durchgesetzte, ausschließlich und explizit durch Race begründete Umsiedlung US-amerikanischer Staatsangehöriger in Konzentrationslager ist objektiv ungesetzlich und kein Teil der präsidialen Autorität."

Es sollte das dritte und letzte Mal seit dem Krieg von 1812 und dem Ersten Weltkrieg sein, dass die USA dieses Gesetz nutzen – bis zu einem schicksalhaften Freitag vor drei Wochen. Ohne Kriegserklärung des Kongresses beschwört Präsident Donald Trump am 14. März den Alien Enemies Act gegen die in Venezuela ansässigen Gangs "MS-13" und "Tren de Aragua", die sich, so der Präsident, in einem "asymmetrischen Krieg" gegen die Vereinigten Staaten befänden und die Nation infiltriert hätten. Trump hatte die mit dem Codenamen "Operation Aurora" versehene Aktion in seiner Kampagne mehrfach angekündigt.

Der Juristin Katherine Yon Ebright zufolge sei dies fundamental illegal. Der Text des entsprechenden Statuts setzt einen "erklärten Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und einer fremden Nation oder Regierung" oder aber eine "Invasion or ein gefährliches Eindringen […] in das Gebiet der Vereinigten Staaten durch eine fremde Nation oder Regierung" voraus. Nun ist "Tren de Aragua" weder ein Staat noch hat der Kongress dieser Organisation den Krieg erklärt. Ob die Gang die Vereinigten Staaten tatsächlich infiltriert hat, muss basierend auf Trumps erratischem und subjektivem Umgang mit dem Begriff "Invasion" ebenfalls bezweifelt werden. Die Implikationen dieser präsidialen Machtbeanspruchung allerdings sind gigantisch.

"Du bist wegen deiner Tattoos hier"

Kilmar Abrego Garcia floh aus El Salvador, als er noch ein Teenager war. Seit 2011 lebt der heute 29-Jährige in den Vereinigten Staaten und bekam 2019 einen sogenannten "temporären Schutzanspruch" und eine Green Card zugesprochen, die ihn vor der Deportation schützen sollte. Nun sitzt er in einem der brutalsten Gefängnisse der Welt, dem "Terrorism Confinement Center" (CECOT) in El Salvador. Die US-Regierung gestand bereits ein, dass es sich bei Abrego Garcias Deportation um einen "administrativen Fehler" gehandelt habe, die gerichtlich angeordnete Rückführung aber unmöglich wäre, denn Abrego Garcia befände sich im Gewahrsam einer souveränen Nation.

Die zuständige Richterin Paula Xinis fasst die Perfidität dieses Arguments zusammen: "[Die Regierung] klammert sich an den unfassbaren Gedanken, jede Person, egal ob eingewandert oder im Besitz der Staatsbürgerschaft, unter Zwang in Gefängnisse außerhalb der Vereinigten Staaten deportieren zu können, und behauptet dann frecherweise, dass sie keine Möglichkeit zur Rückführung habe, weil sie die fragliche Person nicht mehr in Gewahrsam und ein US-amerikanisches Gericht daher keine Zuständigkeit mehr habe."

Mittlerweile ist klar, wie hanebüchen das Hauptkriterium ist, nach dem die US-Einwanderungsbehörde ICE – die dem Department of Homeland Security untersteht – Personen für die Verhaftung auswählt. Verschiedene Gerichtsverfahren zeigen: Es geht vordergründig um Tattoos. Das entsprechende Briefing-Dokument besteht allem Anschein nach aus einer willkürlich zusammengewürfelten Liste von Tattoo-Motiven, anhand derer man angebliche Mitglieder von "Tren de Aragua" identifizieren könne. US-amerikanische Geheimdienste allerdings wissen bereits seit langem, dass die Gang keine Tätowierungen als Erkennungszeichen benutzt.

Jerce Reyes Barrios ist einer von 238 Menschen aus Venezuela, die am 15. März entgegen einer gerichtlichen Anordnung nach El Salvador ausgeflogen und im CECOT inhaftiert wurden. Begründet wurde dies durch ein Tattoo mit Fußballhintergrund. Reyes Barrios ist Profifußballer und floh vergangenes Jahr über den offiziellen Weg in die USA, nachdem er wegen der Teilnahme an regierungskritischen Protesten verhaftet und gefoltert wurde.

Neri Alvarado Borges, der Ende 2023 aus Venezuela in die Vereinigten Staaten einreiste, wurde Anfang Februar vor seiner Wohnung verhaftet. "Du bist wegen deiner Tattoos hier", soll ihm in der Untersuchungshaft gesagt worden sein. Und obwohl ICE keinen Zusammenhang zwischen Alvarado Borges Tätowierungen – darunter ein Autismus-Awareness-Tattoo mit dem Namen seines kleinen Bruders – und den angeblichen Erkennungszeichen der "Tren de Aragua" feststellen konnte, wurde der Mann weiter festgehalten und am 15. März ebenfalls nach El Salvador deportiert.

179 der 238 Deportierten, das entspricht 75 Prozent, haben keine strafrechtliche Vorgeschichte. Für die US-Einwanderungsbehörde allerdings ist das kein Hindernis: "[D]as Fehlen spezifischer Informationen über jedes einzelne Individuum verdeutlicht nur, welches Risiko von ihnen ausgeht", so ein hochrangiger Mitarbeiter. Damit hat das Department of Homeland Security klargestellt, dass Kriminalität und die Legalität des Aufenthalts de facto kein Deportationskriterium sind. Auch die vermeintliche Zugehörigkeit zu gewalttätigen Gangs fußt offenkundig auf fadenscheinigen Argumenten. Was bleibt hier also noch als kleinster gemeinsamer Nenner zwischen all diesen Menschen, wenn nicht ihre Herkunft?

Zelebrierte Menschenfeindlichkeit

Am 19. Februar postete das Weiße Haus auf seinem offiziellen X-Account einen wahrlich verstörenden Beitrag. Im Video stehen Dutzende in Ketten gelegte Menschen vor einem Flugzeug, während man im Hintergrund ihre Fesseln klackern und die Turbinen dröhnen hört. Der Post trägt den Titel "ASMR: Deportationsflug für illegale Ausländer".

ASMR, kurz für "autonomous sensory meridian response", ist eine Art von Content, der in den vergangenen Jahren rapide an Beliebtheit gewann. ASMR-Videos bieten eine kuratierte Geräuschkulisse, die von raschelndem Papier bis hin zum Abschuss von Softair-Waffen reicht, und die das menschliche Nervensystem beruhigen soll. ASMR ist Wellness-Content und einen Abschiebeflug so zu bezeichnen, ist wahnhaft. Es ist zur Schau gestellte, zelebrierte Menschenfeindlichkeit.

Kristi Noem im Gefängnis CECOT, Foto: DHSgov, PD
Kristi Noem, Chefin des Department for Homeland Security, in El Salvadors berüchtigtem Giga-Gefängnis CECOT, Foto: DHSgov, PD

Einen Monat später steht Kristi Noem, Chefin des Department for Homeland Security, in El Salvadors berüchtigtem Giga-Gefängnis CECOT und lässt sich vor bis zum Bersten gefüllten Zellen voller angeblicher Terroristen fotografieren. Im Rahmen dieses Besuchs erklärte Noem, dass man sich El Salvador in den Vereinigten Staaten zum Vorbild genommen habe: "Diese nie dagewesene Beziehung mit El Salvador wird die Blaupause für die Zusammenarbeit anderer Staaten mit den USA werden", so Noem.

Die Grausamkeit ist der Punkt

Um also die Strategie der US-Regierung zu verstehen, müssen wir die Strategie des Präsidenten El Salvadors, Nayib Bukele, verstehen. Es ist richtig, dass El Salvador die weltweit mit Abstand höchste Mordrate der Welt hatte, als Bukele sein Amt antrat. Es ist auch richtig, dass Bukeles Strategie die Mordrate, die Gangkriminalität und die Zahl schwerer Körperverletzungen dramatisch reduzierte. Doch dafür zahlt das Land einen heftigen Preis.

"Wir haben die explizite Order erhalten, eine bestimmte Zahl von Menschen zu verhaften, ganz egal ob sie Gangster sind oder nicht. Viele Unschuldige wurden verhaftet und ihre Rechte verletzt. Wir haben Verbrechen begangen", konstatiert ein Polizist gegenüber der Associated Press. Die Polizeigewerkschaft in El Salvador schätzt, dass etwa jede sechste Person, die von der Straße wegverhaftet wurde, unschuldig ist.

Human Rights Watch und die lokale Menschenrechtsorganisation Cristosal haben in den vergangenen drei Jahren tausende Menschenrechtsverletzungen in den Gefängnissen des Landes dokumentiert, insbesondere gegen Kinder, denen eine Gangmitgliedschaft vorgeworfen wird.

Alleine das CECOT soll bis zu 40.000 Menschen fassen können – wie viele sich im Moment dort in Haft befinden, ist nahezu unmöglich herauszufinden. Die Zeitung La Prensa Gráfica berichtete im Juni 2024, dass zu diesem Zeitpunkt etwa 14.500 Menschen im Hochsicherheitsgefängnis festgehalten wurden. CNN schätzte die Zahl an Inhaftierten im März 2025 auf zwischen 10.000 und 20.000.

Das hieße, dass zwischen 1.600 und 3.200 Unschuldige im "Terrorism Confinement Center" sitzen – ohne Aussicht auf einen fairen Prozess oder Freilassung. Der Justizminister El Salvadors, Gustavo Villatoro, erklärte kürzlich, dass kein Häftling Aussicht auf Rehabilitation habe, geschweige denn jemals wieder entlassen würde.

Die Bedingungen in diesem Gefängnis werden selbst von Regierungsangehörigen mit Folterkammern verglichen. Die Zellen fassen 80 Menschen, haben aber gerade mal Betten – ohne Matratze – für die Hälfte. Das fluoreszierende Licht brennt 24 Stunden am Tag, wovon die Inhaftierten 23,5 in der Zelle verbringen. Das einzige Buch, das sie lesen dürfen, ist die Bibel. Mangelernährung, Schläge und Folter sind an der Tagesordnung.

Bei allen Ähnlichkeiten zwischen Trump und Bukele – dem illegalen Flirt mit einer dritten Amtszeit oder der extensiven Instrumentalisierung von Internet-Trollen beispielsweise – gibt es doch einen essentiellen Unterschied zwischen El Salvador und den USA: In El Salvador gilt seit 2022 der Ausnahmezustand, sprich, das Kriegsrecht. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Vereinigten Staaten nachziehen, ist real – so hat Donald Trump direkt am Tag seines Amtsantritts das Verteidigungsministerium und das just von Kristi Noem geleitete Department of Homeland Security per Exekutivbefehl dazu aufgefordert, binnen drei Monaten eine Empfehlung auszusprechen, ob das Kriegsrecht auszurufen sei. Diese Frist endet am 20. April – und das ist wahrlich kein gutes Omen.

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