Imagine No Religion

Richard Dawkins für eine religionsfreie Welt

Stell dir eine Welt vor, sang John Lennon, in der es keine Religion gibt. Stell dir vor, es gäbe keine Selbstmordattentäter, keinen 9.11., keinen 7.7., keine Kreuzzüge, keine Hexenverfolgungen, keine Pulververschwörung, keinen Kashmir-Konflikt, keine Trennung von Indien und Pakistan, keine Kriege zwischen Israel und Palästina, keine Massaker zwischen Serben, Kroaten und Muslimen, keine "Probleme" mit Nordirland. Stell dir vor, die Taliban würde keine antiken Statuen hochjagen, keine Frauen auspeitschen, weil sie einen Zentimeter Haut nicht bedecken, keine öffentlichen Enthauptungen von Gotteslästerern und Apostaten. Stell dir vor, es gäbe keine Judenverfolgungen, ja, keine Juden zum Verfolgen, da sie ohne Religion schon vor langer Zeit in die umgebenden Bevölkerungen eingeheiratet hätten.

 

Natürlich sind die religiösen Morde und Verfolgungen unserer Zeit nicht durch theologische Uneinigkeiten motiviert. Die bewaffneten Gruppen der IRA töten keine Protestanten (oder andersherum), weil sie sich über die Transubstantiation nicht einig werden. Das Motiv ist wahrscheinlich eher Stammesrache. Es war: Einer von "ihnen" hat einen von "uns" getötet. "Sie" haben "unsere" Urgroßväter aus den Ländern unserer Ahnen vertrieben. Der Groll ist wirtschaftlicher und politischer Natur, nicht religiöser, und die Fehden reichen lange zurück.

 

Obwohl zwar die Meinungsverschiedenheiten zwischen Stämmen an sich nichts mit Religion zu tun haben, hat der Fakt, dass es überhaupt zwei Stämme gibt, alles mit Religion zu tun. Es gibt ohne Frage Unterschiede zwischen Stämmen von genetischem oder linguistischem Ursprung, aber was gibt es in Nordirland außer Religion? Das Selbe gilt für Indien-Pakistan, Serbien-Kroatien und viele Regionen in Indonesien und Afrika. Religion ist das wichtigste Unterscheidungsmerkmal der Welt, was Gruppenidentität und Feindseligkeit betrifft. Wenn sich ein Sozialtechniker daran machen würde, ein System für die Aufrechterhaltung der schlimmsten Feindseligkeiten unserer Zeit zu entwerfen, dann könnte er nicht mit einem besseren Rezept daherkommen als konfessionelle Erziehung. Religiöse Schulen, die alle Religionen im Vergleich lehren würden, könnten etwas Gutes tun. Der Sinn hinter religiösen Schulen ist aber gerade, dass den Kindern "unseres" Stammes auch "ihre eigene" Religion gelehrt wird. Angesichts dessen, dass den Kindern des anderen Stammes zur selben Zeit die rivalisierende Religion gelehrt wird, natürlich zusammen mit der rivalisierenden Version der Rache-durchdrängten Geschichte, ist das Ergebnis nur zu vorhersagbar.

 

Was kann es wohl bedeuten, wenn man von der "eigenen" Religion eines Kindes spricht? Stellen Sie sich eine Welt vor, in der es normal ist, von einem Keynesianischen Kind, einem Hayekianischen Kind oder einem Marxistischen Kind zu sprechen. Oder stellen Sie sich einen Antrag bei ihrer Regierung vor, laut dem sie getrennte Grundschulen einrichten soll für Labour-Kinder, Tory-Kinder, LibDem-Kinder und Monstermäßig-rasend-durchgeknallte-Kinder? Jeder stimmt darin überein, dass ein Kind zu jung ist, um zu wissen, ob es keynesianisch oder monetaristisch, Labour oder Tory ist, zu jung, um die Last solcher Stempel zu tragen. Warum ist jedoch unsere gesamte Gesellschaft glücklich damit, einen Stempel wie Katholik oder Protestant, Muslim oder Jude, auf ein kleines Kind zu stampfen? Ist das nicht, wenn man darüber nachdenkt, eine Art gedanklicher Kindesmissbrauch?

 

Ich habe dieses Thema einmal in einer Fernsehdebatte mit einer Vertreterin des römisch-katholischen Glaubensbekenntnisses angesprochen. Ich habe ihren Namen vergessen, aber sie war wahrscheinlich so eine Art Kummerkastentante und gehörte zur Stammbesetzung von Thought for the Day. Als ich sagte, dass ein Grundschulkind zu jung ist, um zu wissen, ob es ein katholisches oder evangelisches Kind ist, strotzte sie: "Kommen Sie nur vorbei und reden sie mit einigen der Kinder in unserer örtlichen katholischen Schule! Ich kann Ihnen versichern, dass sie sehr genau wissen, dass sie katholische Kinder sind." Nun ja, das glaube ich nur zu gerne. Die Prahlerei der Jesuiten -- "Gib mir das Kind während seiner ersten sieben Lebensjahre und ich gebe dir den Menschen" -- ist dadurch nicht weniger schlimm, dass sie uns (in ihren verschiedenen Formen) fast schon wie ein Klischee vertraut ist.

 

Aber, könnten Sie fragen, was, wenn Religion wahr ist? (Was, wenn meine jeweilige Religion wahr ist, sollten Sie lieber sagen, denn sich gegenseitig widersprechende Glaubensbekenntnisse können nicht alle wahr sein.) Konfessionelle Indoktrination wäre gewiss kein Kindesmissbrauch, wenn es die unsterbliche Seele meines Kindes rettet? Trotz ihrer eingebildeten Vermessenheit kann ich erkennen, wie Sie eine derartige Sichtweise vertreten könnten, wenn Sie davon überzeugt wären, über die Gott-gegebene Wahrheit zu verfügen. Lassen Sie mich daher ehrgeizig, wenn auch nicht überheblich sein, wenn ich versuche, Sie davon zu überzeugen, dass Sie nicht im Besitz der Wahrheit sind. Ihr Vertrauen in Ihren Gott ist einfach falsch!

 

Warum glauben Sie an Ihren Gott? Weil er zu Ihnen spricht in Ihrem Kopf? Dies ist gewiss kein verlässliches Argument. Die Morde des Schlächters von Yorkshire wurden befohlen von der wahrgenommenen Stimme von Jesus in seinem Kopf. Das menschliche Gehirn ist ein perfekter Erzeuger von Wahnvorstellungen und Wahnvorstellungen sind keine gute Basis für Glaubensannahmen über die Wirklichkeit. Vielleicht glauben Sie an Gott, weil das Leben ohne ihn unerträglich wäre. Das Argument ist sogar noch schlechter. Vielleicht ist das Leben einfach unerträglich. Na und! Alle möglichen Dinge sind unerträglich, das macht sie aber nicht unwahr. Es mag unerträglich sein, dass Sie gerade verhungern, aber Sie werden keinen Stein essbar machen, indem Sie glauben -- egal wie hingebungsvoll und ernsthaft -- dass er aus Käse besteht.

 

Der bei Weitem beliebteste Grund, an Gott zu glauben, ist das Unwahrscheinlichkeits-Argument. Es ist zu unwahrscheinlich, dass Augen und Skelette, Herzen und Nervenzellen durch Zufall entstanden sein könnten. Vom Menschen hergestellte Maschinen sind auch zu unwahrscheinlich und sie wurden von Ingenieuren zu einem Zweck hergestellt. Natürlich kann jeder Idiot erkennen, dass Leber und Flügel, Ohren und Blutkörperchen auch zu einem Zweck hergestellt sein müssen, vielleicht von einem Meister-Ingenieur? Nun, vielleicht kann jeder Idiot das erkennen, aber dann hören wir doch auf, den Idioten zu spielen und werden erwachsen. Es sind nun 146 Jahre vergangen, seit uns Charles Darwin das gegeben hat, was man die wohl klügste Idee nennen könnte, die jemals einem menschlichen Geist widerfahren ist. Er zeigte einen Arbeitsprozess auf, in dem Naturkräfte, ohne jedwedes Design, durch langsame, schrittweise Stufen eine elegante Illusion von Design bis hin zu beinahe unendlichen Komplexitätsgraden bilden können.

 

Ich habe über dieses Thema Bücher geschrieben und kann natürlich nicht die gesamte Argumentation in einem kurzen Artikel wiederholen. Lassen Sie mich Ihnen nur zwei Richtlinien geben, um die Sache verständlich zu machen. Erstens handelt es sich bei der Annahme, dass natürliche Selektion eine Zufallstheorie sei, um den beliebtesten Fehlschluss. Falls natürliche Selektion wirklich ein Zufallsvorgang wäre, dann könnte sie ganz offensichtlich die Design-Illusion nicht erklären. Die natürliche Selektion ist jedoch, wenn man sie richtig versteht, das Gegenteil von Zufall. Zweitens wird oft gesagt, dass natürliche Selektion Gott überflüssig macht, seine Existenz jedoch zu einer völlig offenen Möglichkeit erklärt. Ich denke, dass wir weiter gehen können. Das Unwahrscheinlichkeits-Argument, das normalerweise zum Vorteil Gottes angeführt wird, verwandelt sich in das stärkste Argument gegen ihn, wenn Sie es richtig durchdenken.

 

Das Schöne an der darwinistischen Evolution ist, dass sie das sehr Unwahrscheinliche durch schrittweise Stufen erklärt. Sie beginnt mit der urzeitlichen Einfachheit (recht leicht zu verstehen) und arbeitet sich mit nachvollziehbar kleinen Schritten zu komplexen Wesen hinauf, die durch irgendeinen nicht-schrittweisen Vorgang zu unwahrscheinlich für eine ernsthafte Erwägung wären. Design ist eine echte Alternative, aber nur, wenn der Designer selbst das Ergebnis eines aufsteigenden Vorgangs wie Evolution durch natürliche Selektion ist, entweder auf diesem Planeten oder auf einem anderen. Es könnte außerirdische Lebensformen geben, die so weit entwickelt sind, dass wir sie als Götter anbeten würden. Sie müssen jedoch ebenfalls letztlich durch schrittweisen Aufstieg erklärbar sein können. Götter, die von Anfang an existieren, werden durch das Unwahrscheinlichkeits-Argument ausgeschlossen, sogar noch sicherer als spontan erscheinende Augen oder Ellbogengelenke.

 

Religiöser Glaube ist nicht nur eine Hauptquelle für Böses auf der Welt. Sogar seine Fundamente werden durch wissenschaftliche Logik untergraben und abgelehnt. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der niemand Angst hat, solche Gedanken zu verfolgen, egal wohin sie auch führen mögen.

 

Übersetzung: Andreas Müller
Original: Dawkins, Richard: "Imagine No Religion", RichardDawkins.net, 11. April 2006

 

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