Union und SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag verständigt. Aus säkularer Perspektive stellt das Papier bedeutende positive Entwicklungen in Frage.
Augenfällig wird dies etwa beim Thema Abtreibung. Nachdem die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zur Zeit der Ampel-Regierung gescheitert ist, ist auch unter der schwarz-roten Koalition kein Durchbruch für die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen zu erwarten. So liest sich der entsprechende Passus im Koalitionsvertrag eher vage. Die Koalitionspartner belassen es bei der Beteuerung, sie wollten "Frauen, die ungewollt schwanger werden, in dieser sensiblen Lage umfassend unterstützen, um das ungeborene Leben bestmöglich zu schützen" und Frauen in Konfliktsituationen den Zugang zu medizinisch sicherer und wohnortnaher Versorgung ermöglichen. Immerhin stellt das Papier in Aussicht, die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus zu erweitern.
Das reicht Selbstbestimmungsbefürworterinnen aber nicht: "Wir sind enttäuscht von der Geringschätzung der Themen reproduktive Rechte und hier insbesondere des Themas Schwangerschaftsabbruch", sagt Christiane von Rauch, Vorsitzende von Pro Choice Deutschland, dem hpd. "Die Koalitionär*innen missachten erneut den Willen der Bevölkerungsmehrheit, den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des StGB zu regeln. Wir vermissen des weiteren eine klare Aussage, wie die Lage ungewollt Schwangerer konkret verbessert werden wird (Stichwort Versorgungslage/ELSA-Studie)." Zum Vorhaben der Koalitionäre für eine kostenlose Abgabe von ärztlich verordneten
Verhütungsmitteln für Frauen bis zum 24. Lebensjahr erklärt Rauch: "Kostenfreie Verhütungsmittel für alle gebärfähigen Menschen müssen eine Selbstverständlichkeit sein, denn Sexualität und die Möglichkeit auch ungewollt schwanger zu werden endet nicht mit dem 25. Lebensjahr".
Das viel diskutierte Selbstbestimmungsgesetz, nach dem trans Personen ihren Geschlechtseintrag beim Standesamt anpassen können, soll bis Ende Juli 2026 evaluiert werden. Die Koalitionsparteien bekennen sich dabei zur Wahrung der Rechte von trans- und intersexuellen Menschen. Der Fokus bei der Evaluation soll auf den Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, Fristen zum Wechsel des Geschlechtseintrags sowie dem Schutz von Frauen liegen.
Änderungen sind auch beim Informationsfreiheitsgesetz (IFG) vorgesehen. Immerhin bleibt das IFG erhalten – entgegen einer Initiative des CDU-Politikers Philipp Amthor, der für eine Abschaffung in der bisherigen Form plädiert hatte. Dies hatte der Zentralrat der Konfessionsfreien kritisiert. Das IFG verpflichtet Behörden, auf Anfrage Dokumente und Informationen herauszugeben. Damit ist es laut Philipp Möller vom Zentralrat "ein unverzichtbares Werkzeug im säkularen Rechtsstaat", etwa um das Ausmaß der staatlichen Förderung von kirchlichen und islamischen Organisationen publik zu machen. Noch während der Koalitionsverhandlungen erinnerte Möller daran, dass das IFG es in der Vergangenheit in mehreren Fällen ermöglicht hatte, Informationsansprüche gegenüber Ministerien und Behörden gerichtlich durchzusetzen. Dies zeige das hohe Ausmaß an Widerstand gegen Transparenz in politischen Bereichen, in denen sich Politik, Religion und Steuergeld vermengen.
Aus säkularer Sicht bleibt der Koalitionsvertrag zudem hinter der Forderung zurück, Kinderrechte nach Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention im Grundgesetz festzuschreiben. Eine Forderung, die in der Bevölkerung breite Unterstützung findet. Laut einer kürzlich veröffentlichten repräsentativen forsa-Umfrage für das Deutsche Kinderhilfswerk betrachten 73 Prozent der Befragten die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz als wichtige Aufgabe für die nächste Bundesregierung. Entsprechend deutliche Kritik übt die Organisation jetzt an den Plänen der Regierungskoalition. Es sei sicherlich kein Zufall, dass das Wort Kinderrechte im Koalitionsvertrag nicht einmal vorkomme, heißt es in einer Stellungnahme des Deutschen Kinderhilfswerks. Das zeige symbolhaft auf, dass die Interessen der Kinder und Jugendlichen weiterhin viel zu kurz kämen. Die Organisation drängt auf "eine rechtliche Normierung im Grundgesetz, dass das Kindeswohl vorrangig zu beachten ist, dass Kinder das Recht auf Entwicklung, auf Schutz, auf Förderung und das Recht auf Beteiligung haben." Dafür brauche es "im Grundgesetz einen eigenen Passus für die Kinderrechte, die unabhängig von den Elternrechten und ohne mit ihnen in Konflikt zu geraten gegenüber dem Staat gelten."
Einige weitere aus säkularer Sicht drängende Themen finden im Koalitionsvertrag ebenso keine Erwähnung. So sucht man vergebens nach einem Anlauf zur Reform des kirchlichen Arbeitsrechts – ein Rückschritt gegenüber der Ampelregierung, die zumindest einen Prüfprozess vorgesehen hatte. Die Staatsleistungen kommen ebenfalls nicht vor – was nicht überraschend ist, da sich CSU-Chef Markus Söder zuletzt vehement und den Verfassungsauftrag missachtend für deren Beibehaltung aussprach. Auch zur gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe schweigt das Dokument – was aber auch positiv gesehen werden kann: somit sind zunächst keine bevormundenden Einschränkungen zu erwarten.

15 Kommentare
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Kommentare
Helene am Permanenter Link
Kinderrechte werden insbesondere von Religionsgemeinschaften ausgehebelt. Beispiele: sexualisierter Missbrauch in der evangelischen und katholischen Kirche. Genitale Zwangsverstümmlung von Jungen im Islam.
David Wolf am Permanenter Link
Die Brit Milah („Bund der Beschneidung“) ist ein sehr altes und identitätsstiftendes Ritual.
"Lasst euch am Fleisch eurer Vorhaut beschneiden, dies soll das Zeichen des Bundes zwischen mir und euch sein. Im Alter von acht Tagen soll bei euch in allen Generationen alles, was männlich ist, beschnitten werden. (Gen 17,11-12).“
https://www.hfjs.eu/juedischleben/rituale-leben/warum-ist-dir-brit-milah-wichtig.html#:~:text=Die%20Brit%20Milah%20(„Bund%20der,und%20Israel%20sowie%20der%20Namensgebung.
FLO am Permanenter Link
@David Wolf
Und das soll ne Rechtfertigung für die Genitalverstümmelung kleiner Kinder sein?!
Nur weils in nem alten Märchenbuch steht?!
Stell dir einfach mal vor, ich würde ein Buch finden, in dem steht, der grosse Zauberer befiehlt allen Anhängern seines Kultes, ihren Kindern die Ohrläppchen zu durchtrennen...
Was gäbe es dann für einen Aufschrei religiöser und sekularer Menschen (berechtigt!) über diese ekelhafte, blutrünstige Sekte von Perversen...
Einfach mal die Perspektive wechseln und nachdenken!!!
David Wolf am Permanenter Link
steht bei "Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg", siehe den link. Protestieren Sie dort!
Paul München am Permanenter Link
Das ist jedoch keineswegs ein Grund, diese grausame Prozedur zu befürworten! Menschen in verschiedenen Kulturkreisen machen alles Mögliche unter Berufung auf Tradition ohne nachzudenken.
Petra Pausch am Permanenter Link
Es gab auch mal schlüssige und seinerzeit logische Begründungen für die Hexenverbrennung. Möchten Sie auch das wieder zurück?
David Wolf am Permanenter Link
"Genitale Zwangsverstümmlung von Jungen im Islam." schreibt Helene. "im Islam": Hat sie da nicht was vergessen? Haben Sie das gar nicht bemerkt?
Petra Pausch am Permanenter Link
Sie schrieben von der Brit Milah - und darauf bezog sich mein Kommentar. Was ist daran unverständlich?
Also: Bitte keine Strohmänner errichten sondern antworten: Weshalb glauben Sie, dass alles, was Tradition hat, bewahrenswert ist?
David Wolf am Permanenter Link
Wie kommen Sie darauf, Zitat, "dass alles, was Tradition hat, bewahrenswert ist?" Das ist Ihre Phantasie.
Petra Pausch am Permanenter Link
Es ist wirklich bemerkenswert, wie Sie einer Antwort ausweichen.
Nur, damit wir uns richtig verstehen: Ich bin gegen die Beschneidung unmündiger Kinder. Dabei ist es gleichgültig, ob dafür Religion oder Tradition herhalten muss. Und zudem ist mir das Geschlecht der Kinder dabei ebenfalls gleichgültig.
Sie jedoch bauen hier einen Strohmann nach dem nächsten auf (in diesem Falle hier kommen Sie plötzlich und völlig aus dem Nichts mit der Beschneidung in den USA - Das Thema war aber die islamische und/oder jüdische Beschneidung) ohne je auf meine Fragen eingegangen zu sein. Ich denke, eine weitere Diskussion mit Ihnen erübrigt sich.
David Wolf am Permanenter Link
Ich habe doch gesagt, worum es mir geht: dass nicht dauernd der "Islam“ exklusiv als das Universell-Böse genannt wird, wie bei "Helene", oben.
Zu Ihrer Frage: Nein, ich möchte die "Hexenverbrennung nicht zurück"! (was für eine Frage!)
Und passend zum Thema habe ich angemerkt, dass, falls Sie ein Problem mit der Beschneidung haben, Sie dringend gegen die USA protestieren sollten: die maximal 0,3% Juden in Deutschland können Sie mal mit den Betroffenen in den USA vergleichen, dann wissen Sie, WO das Problem ist
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Auch die neue Regierung knickt vor den Forderungen der Kirchen wieder ein, so sieht kein säkularer Staat aus und die Frauen werden wieder ihres Selbstbestimmungsrechts´ betrogen und müssen weiterhin nach der Pfeife de
Säkularer Staat, Fehlanzeige, naja kein Wunder mit einem "Pfaffen" als Bundespräsident.
H.-J. Ludwig am Permanenter Link
Es gibt scheinbar nur eine Partei die die Pfaffen zum Teufel jagen würde, aber die wollen wir ja nicht...Den Teufel mit dem Belzebub austreiben, ist das die Lösung?
Marg66 am Permanenter Link
Gerade die Sozialdemokraten haben das historische Zeitfenster der letzten Legislatur mit einer starken Bundestagsfraktion - die wohl nie wieder diese Größe erreichen wird - nicht genutzt, wichtige (säkulare) Themen an
Trotz bestehender Partei-Beschlusslage seit 2013 auf Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts, ist seitens der SPD-Bundestagsfraktion auch diesmal keine Anstrengung zu erkennen gewesen, dieses wichtige Gerechtigkeitsthema endlich überzeugt & überzeugend, engagiert und nachhaltig im Sinne der 1,8 Mio. Betroffenen in kirchlichen Betrieben, die weiterhin Arbeitnehmer minderen Rechts bleiben, anzupacken.
Eine bemerkenswerte Geringschätzung auch der eigenen Basis, die an verschiedener Stelle immer wieder auf das Thema aufmerksam gemacht hatte.
Die Forderung nach Streichung des §218 StGB - ein vermeintlich so wichtiges Thema der einzigen "Partei für Frauenrechte" - wurde zu spät und dann wenig entschlossen angegangen. Da haben diverse NGOs deutlich mehr bewegt!
Insofern sollte auch die Blockadehaltung der "liberalen" FDP bei beiden Themen nicht davon abhalten, das mangelnde Engagement der Sozialdemokraten an dieser Stelle deutlich zu kritisieren.
Die kirchennahen Vertreter beider Parteien haben in ihren Fraktionen offenbar den Ton bestimmt und sich - da wohl jeglicher Widerstand der übrigen Fraktionsmitglieder unterblieb - (mal wieder) durchgesetzt.
Dies zum Leidwesen der vielen betroffenen Frauen und der durch das kirchliche Arbeitsrecht diskriminierten Arbeitnehmer.
Die Prognose für die nächste Zeit sieht für humanistische, säkulare Themen eher düster aus.
H.-J. Ludwig am Permanenter Link
Leider, kann man da nur sagen...warum eigentlich? Jagt die Kirche zum Teufel (da kommt sie her) und der Staat spart Geld!