Aufklärung und Kritik 3/2024 erschienen

Das aktuelle Heft von Aufklärung und Kritik (A&K), der umfangreichen Vierteljahreszeitschrift der Gesellschaft für Kritische Philosophie Nürnberg (GKP), ist erschienen. Die Redaktion hat dem hpd wieder das Vorwort zur Verfügung gestellt.

Im ersten Artikel legt Dr. Hans-Joachim Niemann eine an Popper’schen Grundgedanken orientierte und damit entwickelte Theorie dar, betitelt "Positiver Darwinismus: Alle Evolutionen sind Wachstum von Wissen und Können". Eine zentrale Rolle spielen dabei die Begriffe "Wirklichkeit", "Möglichkeiten", spezifiziert als "Möglichkeitsräume", sowie deren Verhältnis zu Kultur und Technik, denn der Autor befasst sich mit allen Evolutionen, der biologischen, der kulturellen, der wissenschaftlichen und der technischen. Für all diese weist er nach, dass sie nach denselben Methoden funktionieren, nämlich den von Popper in seinen Werken zur Logik beschriebenen. Als abschließenden Schwerpunkt zeigt der Autor auf, welchen Einfluss dieser Nachweis auf eine Erweiterung der Darwin’schen Theorie insofern haben könne, als dadurch die Gültigkeit der "Kampf-ums-Dasein"-These beschränkt werden könne.

In "Von der apriorischen Metaphysik zur wissenschaftsorientierten Ontologie" macht Dr. Martin Morgenstern die Entwicklung der Metaphysik nachvollziehbar, vom klassischen Rationalismus über die völlige Abkehr von metaphysischen Fragen im Wiener Kreis bis hin zu neuen, auch der Wissenschaft verpflichteten, metaphysischen Fragestellungen. Dabei zeigt er die Sackgassen Descartes‘ und Kants ebenso auf wie Methoden rationaler Metaphysikdiskussion, angelehnt an Poppers Theorie der Problemlösung und unter Einbeziehung anerkannter wissenschaftlicher Ergebnisse. Zur Vermeidung von Missverständlichkeiten schlägt er als Begriff "Ontologie" statt Metaphysik vor.

Ausgehend von Kants Eingeständnis der "Dunkelheit" seines "Hauptfundaments" des "Systems der Kritik der Vernunft" (S. 46) skizziert Prof. Dr. Dragan Jakovljević in "Drei Einwände Nelsons gegen Kants Transzendentale Rechtfertigung der Erkenntnis" zuerst die durch diese ausgelösten philosophischen Kontroversen, dann neuere Lösungen des Problems. Als beispielhafte Widerlegungen stellt er die logischen Einwände Nelsons auf die Argumentationsweisen Kants dar und gibt eine abschließende Wertung zu Kants Verfahren der transzendentalen Erkenntnisrechtfertigung ab.

Dr. Ludwig Coenen wiederum untersucht in "Liberale Ökonomie-Konzepte zur Zeit der Aufklärung" (Teil 2) Kants Philosophie darauf hin, ob sie einen Beitrag zu einer rationalen Klimaschutzdebatte leisten könne. Nach einer Darstellung der vergleichbaren "Luxusdebatte" im 18. Jahrhundert, mit den differierenden Ansichten von Friedrich II. und Hume, werden Kants Lösungsvorschläge dazu aus vielen seiner Werke zusammengetragen, ehe im letzten Teil die Ergebnisse Ulrike Herrmanns mit denen Kants zusammengedacht werden.

In seinem Aufsatz "Die Anerkennung des Göttlichen als Selbstbescheidung der Vernunft in der Naturphilosophie Goethes" unternimmt Dr. Jan Kerkmann den Versuch, aus Goethes Naturverständnis Orientierungshilfe für Lösungsansätze für gegenwärtige Mensch-Natur-Problematiken zu gewinnen. Dazu stellt er anhand von Belegtexten aus Goethes Naturphilosophie dessen vier "Zugänge" zum Göttlichen dar und belegt sowohl dessen dynamisches Naturverständnis "mit unbekanntem Zentrum" als auch dessen Einsicht in Wert und Grenzen der menschlichen Vernunft sowie dessen Folgerungen daraus.

Mit einer anderen Problemlage der Gegenwart setzt sich Prof. Dr. Rudolf Lüthe in seinem Artikel "Das Unbehagen in der Moderne. Gestalten der Aufklärungskritik im 20. Jahrhundert" auseinander. Sein Schwerpunkt sind einflussreiche Ansätze der Gegenaufklärung, die sich selbst als Modernisierung der Aufklärung verstanden haben, z.B. unter dem Stichwort "Perversion der Aufklärung" oder "Überforderung durch Aufklärung". Im letzten Abschnitt analysiert der Autor die gegenwärtige "Krise der Aufklärung" und fordert zu ihrer unverminderten Verteidigung gegen unberechtigte Kritik auf.

Mit der Dialektik von Gut und Böse als Grunderfahrung des menschlichen Lebens setzt sich Dr. Jutta Georg in ihrem Beitrag "Zur Phänomenologie des Bösen" auseinander. Zuerst legt sie eine Phänomenologie der Sünde dar, dann eine der Schuld. Diese beleuchtet sie unter philosophischen Aspekten von Aristoteles bis Nietzsche, ehe sie aus Freuds Theorien rationale Einordnungsmöglichkeiten gewinnt. In der abschließenden Phänomenologie des Bösen werden die zwei Hauptdeutungen des Bösen – Abwesenheit des Guten oder eigenständiges Prinzip – mit mannigfachen Beispielen aus der Philosophiegeschichte belegt.

An der sich derzeit aufbauenden neuen Debatte über die Abtreibungsregelung beteiligt sich Dr. Christian Zeller mit "Das Abtreibungsrecht im Klammergriff von links- und rechtsidentitärer Bewegung: Warum die deutsche Gesetzgebung keiner fundamentalen Änderung bedarf" mit einem moralphilosophischen Beitrag. Darin zeigt er auf, dass die ethische Problemlage der Abtreibungsfrage nicht mit einfachen Lösungen aus der Welt zu schaffen sei, da zu große Liberalisierung den Kern liberaler Ethik – Freiheit im Verbund mit Verantwortung – gefährde. Außerdem weist er auf das in gängigen Argumentationen versteckte Problem der Dehumanisierung hin und auf dessen Folgen für unser gesamtes Wertekonzept.

Eine Gegenposition vertritt Jessica Hamed in ihrem Artikel "Die vollständige Legalisierung des selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruchs als konsequente rechtliche Lösung". Darin begründet sie ihre Forderung schwerpunktmäßig mit juristischen Ungereimtheiten rund um den § 218. Zunächst untersucht sie die juristischen Begründungen der "rechtlich nicht begründbaren Vorgaben" wie Lebensschutz und Menschenwürde für das Ungeborene oder die Gleichstellung der Grundrechtsgüter von Frau und Fötus. In einem zweiten Teil weist sie die Inkonsistenzen der derzeitigen Regelungen nach, um als Fazit nochmals die Straffreiheit des fristenlosen Schwangerschaftsabbruchs zu befürworten.

Ausgehend von einer Skizze der historischen Auseinanderentwicklung der russischen und der westlichen Philosophie gibt Prof. Dr. Anton Grabner-Haider in seinem Aufsatz "Dynamik der russischen Philosophie seit dem Ende der Sowjet-Union" einen breiten Überblick über wichtige Entwicklungen und Denkschulen. Als grundsätzliche Strömungen stehen sich die Befürworter der Globalisierung und die des Panslawismus gegenüber, wobei die Bandbreite von westlich orientierter Philosophie über Kultur-, Sprach- und Sozialphilosophie bis hin zu den Nationalisten und Eurasiern reiche.

Das FORUM wird eröffnet von drei Artikeln mit unterschiedlichem Blick auf den Islam: Prof. Dr. Bijan Nowrousians Beitrag "Herkunft, Mentalität und Religion – Zu den Elefanten im Raum der Integrationsdebatten" zeigt die genannten Stichpunkte als Problemfelder für gelingende Integration und einige Lösungsvorschläge. Ein ganz anderes Gesellschafts- und Religionsmodell stellt Prof. Dr. Dr. Dr. Roland Benedikter in seinem Artikel "Zukunft als Gott? Das Modell Dubai als religiöser Hort einer technologischen Radikalmoderne" vor, mit kritischen Überlegungen zu dessen Übertragbarkeit. Prof. Dr. Hartmut Heuermann stellt in seinem Beitrag "Die Islamisierung Europas: Schreckgespenst oder reale Gefahr?" jede Menge Informationen zum Islam, muslimischer Theologie und islamistischer Ideologie zusammen und begründet so die Unwahrscheinlichkeit der Islamisierung. Mit einem Beispiel von humanistischer Haltung aus dem 20. Jahrhundert macht uns Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber in "Nicht nur 'Farm der Tiere' und '1984'. George Orwells demokratischer Sozialismus" bekannt. PD Dr. Thomas Krumm sucht in "Antisemitismus – (K)ein Problem in Poppers 'Offener Gesellschaft'?" Gründe für die Abwesenheit dieses Themas bei Popper und mahnt dessen Behandlung an. In seinem "Impulsbeitrag" kritisiert Dr. Steffen M. Diebold aufs heftigste "Political correctness und Gendersprache in Medien und Wissenschaft". Ganz unaufgeregt weist dagegen Gopal Kripalani auf neue Forschungen zu den Fähigkeiten von Pflanzen hin, in "Bezaubernde Welt der Flora. Neurobiologische Kognition der Pflanzen – ein Wunderwerk der Evolution". Ulrike Ackermann-Hajek gibt im "Bericht über das Symposium 'Philosophie der Aufklärung. Ausgewählte Aspekte und Aktualität' vom 16. März 2024" einen fundierten Überblick über Verlauf und Inhalt der Veranstaltung. In "Philosophie der Migration?" setzt sich Dr. Gerhard Engel kritisch mit dem gleichnamigen Buch auseinander und präsentiert konstruktive Lösungsskizzen. Im letzten Beitrag des Forums stellt Dr. Bruno Heidlberger "Hannah Arendts Theorie der Menschlichkeit" anhand der Besprechung der Dissertation von Lea Mara Eßer vor.

Die Rezensionen eröffnet die umfang- und inhaltsreiche Buchbesprechung von Dr. Tobias Jung zu einer Neuerscheinung zum Weltbild der modernen Physik. Diverse weitere Rezensionen bieten eine breite Palette von Themen und Autoren. Das Heft wird abgeschlossen mit den "Wortfackeln" von Helmut Walther, der Vorstellung einiger Neuzugänge in der Redaktion und den Terminen der GKP.

Bezug der Ausgabe über die Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg: www.gkpn.de (Schutzgebühr 12,00 EUR zuzügl. 2,50 EUR Verp. u. Porto).

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